„Wir ziehen oft voreilige Schlüsse über andere Menschen oder unsere eigene Zukunft.“

Ist der Roman autobiografisch?, ist eine Frage die viele Autorinnen und Autoren nur ungern hören. Im Falle des Romans „Die auffällige Merkwürdigkeit des Lebens“ liegen die biografischen Parallelen zwischen dem Protagonisten, Amadeus, und dem schwedischen Autor, Augustin Erba allerdings auf der Hand: Die Mutter eine Prinzessin aus dem Hause Habsburg-Lothringen, der Vater ein Wissenschaftler ägyptischer Herkunft, er selbst ein angehender Journalist, den die Erinnerungen an seine Kindheit auf Schritt und Tritt begleiten. Warum die Fiktion dennoch nie das eigene Leben dokumentiert, erzählt Erba im Interview mit seiner Lektorin Claudia Winkler.

Augustin Erba

Augustin Erba. Foto (c): Sandra Löv

 

Worum geht es in deinem Roman „Die auffällige Merkwürdigkeit des Lebens“?

„Die auffällige Merkwürdigkeit des Lebens“ ist ein Roman darüber, wie man herausfindet, wer man sein will, und den Mut aufbringt, zu dieser Person zu werden. Es ist eine epische, hundert Jahre umspannende Familiengeschichte, erzählt aus der Perspektive eines Jungen, der schneller erwachsen werden musste, als er es gedacht hätte.

Wie sehr hast du dich von deiner eigenen Familiengeschichte inspirieren lassen?

Die meisten meiner fiktionalen Werke sind von Ereignissen inspiriert, die ich selbst erlebt habe. Ich bin in einem armen Vorort aufgewachsen, meine Mutter war eine Prinzessin, mein Vater ein Wissenschaftler und Einwanderer – und ich hatte immer das Gefühl, dass ich das zum Thema meines Schreibens machen müsste. Trotz allem handelt es sich hier um einen Roman und keinen Dokumentarfilm. Das Erzählen einer Geschichte verlangt immer nach einer gewissen Abwandlung der Ereignisse, auf denen sie basiert.

Hat sich der Blick auf deine Familie geändert, seit du angefangen hast, über sie zu schreiben?

Das Schreiben eines so umfangreichen, von der eigenen Familiengeschichte inspirierten Romans erfordert eine große emotionale Anstrengung. Den ersten Entwurf zu einem der Kapitel schrieb ich in den 90er Jahren und verwarf ihn wieder, weil ich das Gefühl hatte, dass ich noch nicht in der Lage war, mich adäquat auszudrücken. Ich konnte einfach nicht die richtigen Worte finden und auch mir selbst gegenüber nicht in Worte fassen, wie ich emotional zu dem stand, was ich durchlebt hatte. Erst nachdem ich mich mit meiner Vergangenheit im Reinen war, konnte ich darüber schreiben.

Warum hast du dich dafür entschieden, die Hauptfigur Amadeus sowohl als kleinen Jungen wie auch als Erwachsenen zu zeigen?

Wir ziehen oft voreilige Schlüsse über andere Menschen oder unsere eigene Zukunft. Ich wollte Amadeus als Erwachsenen zeigen, weil niemand, der ihn kennenlernt, sich ausmalen würde, was er durchgemacht hat. Ich glaube, wir müssen uns immer bewusst machen, dass wir die Sorgen, die die Menschen in unserer Umgebung mit sich herumtragen, nicht kennen.

Außerdem wollte ich Amadeus als Jungen zeigen, weil seine Situation in vielerlei Hinsicht hoffnungslos ist. Aber er kämpft sich durch all das durch; es gibt jemanden, der ihm zu Hilfe kommt, vor allem aber hilft ihm die Zeit. So lange man Zeit hat, gibt es Hoffnung.

Ich mag das Nebeneinander zweier Zeitlinien in einem Roman, weil solche Romane dazu anregen, sich Gedanken über das Leben als Ganzes zu machen, nicht nur über das, was im Moment geschieht. Ich wollte auch mit dem Tempo des Romans spielen, so dass das Leseerlebnis von unterschiedlichen Geschwindigkeiten geprägt ist.

Welches Verhältnis hat Amadeus zu seinen Eltern?

Amadeus‘ Eltern sind in der schwedischen Gesellschaft verloren. Seine Mutter wurde dazu erzogen, in einem Schloss zu residieren, und jetzt  lebt sie am Stadtrand und schiebt einen Einkaufswagen durch den Supermarkt. Sein Vater sollte eigentlich nur ein paar Jahre in Schweden studieren und dann nach Ägypten zurückkehren, um dort Atomkraftwerke zu bauen. Beide Elternteile haben zu kämpfen – die Mutter mit der Mutterschaft und der Vater mit der Wissenschaft. Die einzige Möglichkeit für Amadeus, die Zuneigung seiner Eltern zu gewinnen, ist es, gut in der Schule zu sein. Und wenn er es nicht ist, wird sein Vater manchmal gewalttätig. Amadeus verbringt seine Tage in Angst vor seinem Vater.

Ich schreibe seit 30 Jahren, jeden Tag, egal was. Das ist wie Gassi gehen mit dem Hund. Wenn du einen Hund hast, musst du Tag für Tag mit ihm raus – ob es regnet, schneit oder die Sonne scheint. Mein Schreiben ist mein Hund. 

Glaubst du, dass deine Arbeit als Journalist dich beim Schreiben dieses Romans beeinflusst hat?

Es war meine Schriftstellerei, die mich zum Journalismus brachte. Anfangs strebte ich eine Karriere als Mathematiker an und studierte zwei Jahre am Royal Institute of Technology. Anschließend wechselte ich in den Journalismus, und zwar weil ich Romane schreiben wollte. Ich dachte, dass ich an der Universität das Schreiben lernen würde. Leider ist das Journalismusstudium in Schweden nicht auf das Schreiben ausgerichtet, also musste ich mich selbst darum kümmern. Aber ich habe es wirklich genossen, Journalist zu sein, wegen all der erstaunlichen Menschen und all der Geschichten, denen man begegnet.

Welche AutorInnen sind dir wichtig?

Im Moment hat es mir Borges‘ Rätselhaftigkeit angetan. Er ist nicht besonders gut, wenn es um Gefühle geht, aber er bringt mich immer wieder zum Grübeln. Ich mochte auch Marie Ndiayes Roman „Ladivine“. Für diesen Sommer hatte ich mir eigentlich vorgenommen, einige der Klassiker wiederzulesen. Ich habe kürzlich noch einmal „Madame Bovary“ gelesen – es bleibt der perfekte Roman. Außerdem genieße ich es, daran erinnert zu werden, dass große Literatur die Grenzen von Zeit und Raum überwindet. Aber ich habe gerade zugesagt, der Jury für einen schwedischen Literaturpreis anzugehören. Also muss ich etwa fünfzehn kürzlich veröffentlichte schwedische Romane lesen, bevor ich wieder an mich selbst denken darf.

Glaubst du, dass Literatur eine Gesellschaft beschreiben und analysieren kann?

Ich denke, dass Literatur die beste Möglichkeit ist, die Gesellschaft zu beschreiben. Es ist die einzige Möglichkeit, in den Kopf einer anderen Person zu schlüpfen. Virtuelle Realität ist heutzutage groß im Trend, aber nichts geht über einen Roman, der einen in den Bann zieht und die Zeit aus den Augen verlieren lässt.

Wird es noch mehr Romane von dir geben? 

Bei meinem nächsten Roman, dessen schwedische Veröffentlichung bei Bonnier für den Herbst 2019 vorgesehen ist, handelt es sich um eine Liebesgeschichte. Es ist eine Geschichte über das Verliebtsein in der Jugend und die Zeit, die man im Leben anschließend damit verbringt, sich zu wünschen, dass die Dinge einen anderen Lauf genommen hätten. Sie hat aber ein Happy End – wenigstens glaube ich das. Dieser Roman ist fast fertig.

Ich habe auch schon den ersten Entwurf zu einem weiteren verfasst, aber da steckt noch eine Menge Arbeit drin. Es geht um einen anständigen Kerl, der gegen seine eigenen Grundsätze verstößt und mit einigen sehr unangenehmen Gestalten aneinandergerät. Während „Die auffällige Merkwürdigkeit des Lebens“ ein Epos ist, wird mein nächster Roman eine Art dunkler Romanze, und der übernächste könnte sogar so was wie ein Thriller werden.

 

Das Interview führte Claudia Winkler.


Das Buch

Augustin Erba: Die auffällige Merkwürdigkeit des Lebens

Wer kann schon von sich behaupten, einen genialen Atomphysiker als Vater zu haben und eine ungarische Prinzessin als Mutter? Für das echte Leben geschaffen ist Amadeus‘ ungewöhnliche Familie aber nicht: Die Mutter verschanzt sich mit Migräne hinter der Schlafzimmertür, der Vater rechnet den ganzen Tag, wenn er nicht grad die Fassung verliert. Amadeus übernimmt die Rolle des Erwachsenen und kümmert sich um seine Geschwister. Nur Schäferhund Felix ist sein Verbündeter und das einzige Familienmitglied, das umarmt werden kann – bis er eines Tages eingeschläfert werden muss. Jetzt hat Amadeus nur noch das Schreiben. Kann es ihm helfen, seine Kindheit hinter sich lassen? Jahrzehnte später ist Amadeus Journalist und Vater, er hat eine liebevolle Frau. Doch die Angst davor, nicht zu genügen, begleitet ihn auf Schritt und Tritt. Er wird immer neurotischer, weigert sich schließlich, das Zentrum Stockholms zu verlassen und gefährdet damit seine Ehe. Aber wie soll er sich gegen seine Herkunft zur Wehr setzen? Und wie viel kann man im Leben selbst bestimmen?

„Die auffällige Merkwürdigkeit des Lebens“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage

 

Augustin Erba

Augustin Erba

Augustin Erba, eigentlich Augustin Petrus Amadeus Osiris Mina Erba-Odescalchi, ist ein renommierter schwedischer Journalist, er arbeitet für das öffentlich-rechtliche schwedische Radio (SR). Er wurde 1968 geboren und ist in einem Stockholmer Vorort aufgewachsen. Sein Vater stammt aus Ägypten, seine österreichische Mutter aus dem Haus Habsburg-Lothringen. Erba lebt mit seiner Familie in Stockholm. „Die auffällige Merkwürdigkeit des Lebens” ist sein zweiter Roman.

Foto: © Sandra Löv

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