Über seinen Roman „Die Rache der Polly McClusky“ sagt Jordan Harper: „Es ist eine blutige Coming-of-Age-Geschichte über ein schüchternes Mädchen.“ Wie aus einem jungen Mädchen ein Bandit wird, wer die Bösewichte seiner eigenen Jugend waren und warum er sich beim Schreiben nicht an Regeln hält, erzählt der Autor im Interview.

© Brian Hennigan
Ich interessiere mich sehr für Menschen, die schwach erscheinen, aber eigentlich recht stark sind.
Wie würden Sie „Die Rache der Polly McClusky“ beschreiben?
„Die Rache der Polly McClusky“ ist eine blutige Coming-of-Age-Geschichte über ein schüchternes Mädchen, das kämpfen und stehlen lernen muss, um am Leben zu bleiben, nachdem sie und ihr krimineller Vater von einer mächtigen Gefängnisgang zum Tode verurteilt wurden. Es ist zu Teilen eine road novel, eine heist story und eine pulpige Liebesgeschichte an meine Wahlheimat Südkalifornien.
Warum haben Sie ein junges Mädchen als Hauptfigur genommen?
Ich interessiere mich sehr für Menschen, die schwach erscheinen, aber eigentlich recht stark sind. Und ich wollte sehen, wie ein junges schüchternes Mädchen, das ihr Gesicht hinter ihren Haaren verbirgt, ein furchterregender Bandit wird.
Was hat es mit dem Teddybären auf sich?
Pollys bester Freund, ihr Teddybär, ist real. Er basiert auf meinem eigenen Teddybären aus meiner Kindheit, der noch heute auf einem Schrank in meinem Schlafzimmer sitzt und mit dem ich so umgegangen bin wie Polly. Meine Beziehung zu ihm war allerdings nicht ganz so tief wie Pollys zu ihrem Bären.
Wie würden Sie die Beziehung zwischen Polly und ihrem Vater Nate beschreiben?
Wenn sie sich am Anfang des Buches treffen, ist Pollys Vater ein Fremder für sie und sie scheinen sehr gegensätzlich zu sein. Aber als sie Zeit miteinander verbringen, erkennen sie, dass sie sich sehr ähnlich sind und durch ihre Taten entsteht ein Band zwischen ihnen. Dennoch war es für mich wichtig, dass sie einander niemals wirklich sagen, dass sie einander lieben. Dafür sind sie beide zu taff.
Warum haben Sie sich für den Hintergrund mit den Nazi-Gangs entschieden?
Ich bin in einem Teil von Amerika großgeworden, in dem es ein sehr großes Problem mit White Power Gangs gibt, besonders in den Punk-Rock-Clubs, in denen ich als Teenager abhing. Daher habe ich mich für sie immer interessiert und als Gegenspieler in vielen meiner Kurzgeschichten benutzt. Als ich dann den Roman geschrieben habe, wollte ich Bösewichte, die wirklich böse sind, und ich wollte in der Lage sein, sie wirklichkeitsnah zu beschreiben. Und da ich mich mit den Gangs seit einer Weile beschäftige, lagen sie nahe.
Denken Sie, dass Ihre Erfahrungen als Drehbuchautor Ihren Stil im Roman beeinflussen?
Ich glaube, dass meine Romane durch das Lernen der strengen Regeln für das Schreiben von Fernsehgeschichten besser geworden sind – in der Art, in der das Lernen strenger Lyrikversregeln aus einem einen besseren Lyriker im freien Stil machen kann. Es ist gut, ein Regelwerk zu kennen, wenn man dagegen verstößt.
Welche Kriminalschriftsteller haben Sie beeinflusst?
James Ellroy ist am wichtigsten für mich – wie er schnelle, actionreiche Geschichten erzählt, in denen zudem komplexe Charaktere vorkommen, die große Veränderungen durchmachen. Seine Sprache ist so brutal und schön, dass ich mich zwingen muss, sie nicht zu sehr zu imitieren. Ich arbeite gerade mit CBS daran, Ellorys „L.A. Confidential“ in eine Fernsehserie zu adaptieren.
Außerdem liebe ich Jim Thompson, der abstoßende Charaktere mit viel Empathie beschreibt. Nachdem der Film „The Grifters“ herauskam, wurde das Buch zu einem meiner Lieblingsromane und hat mich an die Welt der Kriminalliteratur herangeführt.
Viele Kriminalliteraturliebhaber sagen, dass ein Kriminalroman der beste Weg sei, eine Gesellschaft zu beschreiben und zu analysieren. Was denken Sie?
Dem stimme ich zu. Kriminalromane sollten versuchen, die Welt zu sehen, wie sie ist, und es sind die grundlegenden Ungerechtigkeiten in der modernen Gesellschaft, die uns dazu treiben, auf der Seite von bewaffneten Räubern wie Polly und ihren Vater zu stehen. Wenn man mit den Banditen Polly und Nate viel mehr mitfiebert als mit einem Banker, der gerade jemanden zwangsvollstreckt, dann fühlt man diese grundlegende Ungerechtigkeit, ohne dass der Autor pedantisch oder belehrend sein muss.
Haben Sie Pläne für eine Fortsetzung mit Polly?
Wenn man eine Geschichte über jemanden erzählt, sollte es meiner Meinung nach um den wichtigsten Moment in dessen Leben gehen. Das macht eine Fortsetzung sehr schwierig. Wenn man zwei Bücher über jemanden schreibt, welches erzählt dann die wichtigere Geschichte? Deshalb denke ich nicht, dass Polly nochmal der Hauptcharakter in einer Erzählung sein wird. Aber ich kann mir vorstellen, dass sie als Nebenfigur wiederauftaucht. Meine Kurzgeschichten und dieser Roman spielen in derselben fiktionalen Welt – manche der Ereignisse, die im Roman erwähnt werden, passieren in meiner Kurzgeschichtensammlung und die Figur des Meth-Süchtigen Scubby war eine Hauptfigur in einer Kurzgeschichte.
Das Interview führte Sonja Hartl.
Das Buch
Polly McClusky ist elf und eigentlich zu alt für den Teddybär, den sie überallhin mitnimmt, als überraschend ihr Vater vor ihr steht. Nate ist aus dem Gefängnis ausgebrochen, um Polly das Leben zu retten. Denn auf Polly ist ein Kopfgeld ausgesetzt. Nate hat sich im Knast einen mächtigen Feind gemacht: die Gang Aryan Steel hat ihn und seine Familie zu Freiwild erklärt. Nates Exfrau wurde bereits getötet, Polly ist die nächste auf der Liste. Auf der Flucht durch Kalifornien werden Vater und Tochter zu einem starken Team. Nates Kampftraining macht aus dem schüchternen Mädchen einen selbstbewussten Fighter. Und durch Pollys Scharfsinn halten sie den Vorsprung vor ihren Verfolgern. Bald ist Nate jedes Mittel recht, damit Polly wieder ein normales Leben führen kann.
Links
„Die Rache der Polly McClusky“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage
Verbrecherische Mädchen – Sonja Hartl
[…] Hartls Interview mit Jordan Harper und ihr Blogbeitrag im Resonanzboden des Ullstein Verlages. Ihre Texte bei CrimeMag […]