Louise de Bettignies – Königin der Spione

Louise de Bettignies ist eine historische Gestalt, die heute kaum einer kennt – zu Unrecht, wie Kate Quinn findet. Die französische Spionin koordinierte im Ersten Weltkrieg über hundert Agentinnen in ihrem Spionagering, beobachtete Truppenbewegungen, sicherte den Durchmarsch der alliierten Einheiten und schmuggelten Gefährdete außer Landes. Hier schreibt Kate Quinn über die Hintergründe des Netzwerks Alice. 

Foto: Französische Frauen im Ersten Weltkrieg. © Pixnio

Frauen, die aktiv am Krieg teilnahmen, haben ihre Zeitgenossen eindeutig verunsichert. 

Man muss den Mut, die Findigkeit und die Brillanz dieser Frau, die man »Königin der Spione« nannte, nicht einmal übertreiben, um eine spannende Geschichte zu erzählen. Rekrutiert wurde sie von Captain Cecil Aylmer Cameron, der in Folkestone zu dieser Zeit bereits seit längerem Spionageoperationen organisierte und ein Auge für Talente besaß. Die frühere Gouvernante Louise de Bettignies nahm den Codenamen Alice Dubois an (neben vielen anderen; der Spitzname »Lili« ist eine Erfindung von mir) und nutzte ihre Sprachbegabung und ihr Organisationstalent für ihre Spionagetätigkeiten. Und sie enttäuschte nicht, sie baute eins der erfolgreichsten Spionagenetzwerke des Ersten Weltkriegs überhaupt auf.

Das Netzwerk Alice wurde von Louises zahlreichen in und um Lille ansässigen Quellen mit Informationen versorgt und berichtete über die dortigen deutschen Frontaktivitäten mit einer Geschwindigkeit und Genauigkeit, dass britische Spione und Offiziere ins Schwärmen gerieten: »Die Dienste, die Louise de Bettignies uns erwies, sind unschätzbar«; »Eine richtige moderne Jeanne d’Arc«; »Sollte ihr etwas zustoßen, so wäre das nichts weniger als eine Katastrophe«. Die Deutschen waren gleichermaßen beeindruckt (wenn auch wütend) von der frappierenden Genauigkeit des unablässigen geheimen Informationsflusses, der so effizient war, dass neue Artilleriestellungen oft schon nach wenigen Tagen bombardiert wurden. Und das Netzwerk Alice hat sogar noch größere Erfolge vorzuweisen: Es hat über den bevorstehenden Besuch des Kaisers in Nordfrankreich berichtet, wo dessen Zug nur knapp einer Bombardierung entging, und auch über die deutschen Pläne einer Großoffensive auf Verdun – dies war einer der letzten Berichte von Louise de Bettignies (dem auf der militärischen Führungsebene tragischerweise kein Glauben geschenkt wurde).

Chiffrierte Berichte wurden um Haarnadeln gewickelt, in Ringinnenseiten eingelegt, unter Kuchen in Kuchenschachteln verborgen, zwischen die Seiten von Zeitschriften gelegt.

Die Leiterin des Netzwerks Alice war ständig unterwegs zwischen dem von Deutschen besetzten Frankreich, dem freien Frankreich, Belgien, England und den Niederlanden und hat Berichte weitergegeben, Informationen eingesammelt und sich nach ihren  Agenten erkundigt. Alle Methoden des Versteckens von Informationen, die in diesem Roman geschildert werden, hat sie wirklich eingesetzt (chiffrierte Berichte wurden um Haarnadeln gewickelt, in Ringinnenseiten eingelegt, unter Kuchen in Kuchenschachteln verborgen, zwischen die Seiten von Zeitschriften gelegt). Ihr Mut war bemerkenswert. Sie hat sich regelmäßig trotz deutscher Suchscheinwerfer und bewaffneter Wachtposten über die Feindesgrenze geschlichen, obwohl im Grenzgebiet überall tote Flüchtlinge lagen, die entdeckt und erschossen worden waren. Es hat sie auch nicht abgeschreckt, dass sie eines Tages mit ansehen musste, wie ein fliehendes Paar nur wenige Meter vor ihr von einer Mine zerrissen wurde. Und vielleicht sogar noch bemerkenswerter war ihre Fähigkeit, blitzschnell zu reagieren: Louise de Bettignies hatte ein geradezu unheimliches Talent, sich mit einem Bluff durch Kontrollposten zu mogeln, sei es durch das Ablenken mit Taschen und Tüten, bis der Wachtposten entnervt aufgab, oder mit Hilfe spielender Kinder, um sich einen Passierschein zu beschaffen (beides wahre Vorfälle). Wahr ist auch der bemerkenswerte Zufall, dass sie auf dem Weg zu einem Treffpunkt von einem deutschen General erkannt wurde, der ihr einmal in ihrer Zeit als Gouvernante bei einer Schachpartie begegnet war und ihr galant seinen Wagen zur Verfügung stellte. (…)

Als Louise de Bettignies’ Glück sie im Herbst 1915 verließ, wurde eine junge Frau namens Marguerite Le François mit ihr zusammen verhaftet. In Verhören über die nächsten Stunden hinweg kamen die Deutschen rasch zu dem Schluss, dass die junge Marguerite keine Spionin war, sondern nur eine junge törichte Frau vom Land, die einer freundlichen Fremden an einem Kontrollposten ihren Passierschein geborgt hatte. Sie wurde verwarnt, entlassen, und  man riet ihr, nach  Hause zu fahren, während Louise ins Gefängnis gebracht wurde. Die historische Marguerite Le François war höchstwahrscheinlich nur eine unschuldige naive Person … Aber was, wenn nicht? Ich las einen zeitgenössischen Bericht über die Verhaftung: Beide Frauen wurden ausgezogen, durchsucht und bedroht; die junge Marguerite löste bei den Deutschen mit Schluchzen und Ohnmachtsanfällen Mitleid aus; Louise verärgerte sie, indem sie einen chiffrierten Bericht aß und dann um einen Cognac bat. Als ich das gelesen hatte, kam mir unwillkürlich der Gedanke, dass die beiden verhafteten Frauen da einen letzten großen Bluff durchgezogen haben könnten. So erblickte Eve Gardiner das Licht der Welt, die ich dann als größtenteils erfundene dritte Figur in das historische Duo von Louise und ihrem Leutnant eingefügt habe.

Léonie Vanhoutte ist eine sehr reale historische Gestalt, die unter dem Codenamen Charlotte Lameron gearbeitet hat (den Namen habe ich zu Violette Lameron geändert, weil ich schon eine Charlotte hatte). Léonie war zu Anfang des Krieges als Krankenschwester beim Roten Kreuz tätig (es gibt allerdings keinen Hinweis darauf, dass sie Abtreibungen vorgenommen hat) und wurde schon bald darauf als Louise de Bettignies’ zuverlässige Mitarbeiterin und treue Freundin rekrutiert. »Ich war bereit, ihr überallhin zu folgen«, schrieb Léonie später. »Denn ich wusste instinktiv, dass diese Frau zu Großem fähig ist.« Léonie wurde kurz vor Louise verhaftet, die beiden Frauen wurden dann zusammen vor Gericht gestellt und verurteilt und saßen zusammen im Gefängnis Siegburg. Louise starb an einem Lungenabszess, an dem sie in Siegburg erkrankte. Léonie überlebte die Haft, eine hochdekorierte Spionin und Kriegsveteranin, die nach dem Krieg einen Journalisten heiratete und in Roubaix einen Antiquitätenladen für Porzellan hatte. Ihr Ehemann schrieb später das Buch La Guerre des Femmes, Erinnerungen an Louise de Bettignies’ Arbeit im Krieg, so wie seine Ehefrau Léonie Vanhoutte sie ihm erzählt hatte. Léonies präzise Berichte aus erster Hand sind von unschätzbarem Wert und beinhalten detaillierte Beschreibungen der Spionageoperationen des Netzwerks Alice, von Louises Verhaftung, des Prozesses und der Gefängnisjahre in Siegburg, die von abscheulichen Misshandlungen und seltenen triumphalen Momenten geprägt waren: so wie dem, als Louise ihre Mithäftlinge zum Streik aufrief, anstatt weiter Munition herzustellen. Viele von Louises sprühenden Bonmots sind ebenfalls ein direktes Zitat aus dem Buch La Guerre des Femmes.

Das Massaker an den Bewohnern von Oradour-sur-Glane  ist eine Tragödie und bis heute außerdem ein Rätsel.

Captain (später Major) Cecil Aylmer Cameron ist eine weitere historische Gestalt. Er war seinen Quellen wirklich als Onkel Edward bekannt und rekrutierte nicht nur Louise de Bettignies, sondern auch Léon Trulin, einen weiteren französischen Spion, der durch seine Verhaftung und Erschießung durch die Deutschen zum Märtyrer wurde. Camerons ungewöhnliche Lebensgeschichte entspricht der Wahrheit: Er wurde wegen Versicherungsbetrugs verhaftet, nahm die Gefängnisstrafe wahrscheinlich für seine Ehefrau auf sich, wurde während des Krieges wieder in die Spionageabteilung der Armee aufgenommen und hat nach dem Krieg Selbstmord begangen. Alle Mutmaßungen über die Gründe für den Versicherungsbetrug, den Zustand seiner Ehe oder den Charakter seiner Ehefrau sind reine Erfindungen von mir zugunsten der Romanhandlung. Einer von Camerons Codenamen während des Krieges lautete jedoch tatsächlich »Evelyn«, so hieß sein einziges Kind.

René Bordelon ist wie Eve eine erfundene Figur, die einen kleinen Kern historischer Wahrheit enthält. Kriegsgewinnler wie er haben mit Sicherheit existiert, und ich habe ihn zur Brücke zwischen den zwei Kriegen und den zwei Erzählsträngen gemacht. Außerdem habe ich ihn zu dem – historisch nicht bekannten – Informanten gemacht, der im Zweiten Weltkrieg der Miliz und damit den Nazis das Dorf Oradoursur-Glane nennt.

Das Massaker an den Bewohnern von Oradour-sur-Glane  ist eine Tragödie und bis heute außerdem ein Rätsel. Es gibt unzählige widersprüchliche Berichte dazu: Ein Informant hatte der Miliz anscheinend davon berichtet, dass die französische Résistance dort in der Gegend aktiv sei und einen deutschen Offizier entführt und hingerichtet habe. Es ist jedoch nicht bekannt, ob diese Aktivitäten sich um Oradour-sur-Glane oder um Oradour-sur- Vayres herum konzentriert  haben sollen, und letztlich ist auch nicht gesichert, ob es diese Aktivitäten überhaupt gab. Es wird vermutlich nie mehr zu klären sein, warum der SS-Offizier, der sich um diesen Bericht gekümmert hat, beschloss, zur Vergeltung ein ganzes Dorf auszulöschen (er ist danach von seinen deutschen Vorgesetzten deutlich verwarnt worden), oder ob ein Massaker überhaupt in seiner Absicht lag. Es gibt auch die Vermutung, dass Kämpfer der Résistance in der Kirche von Oradour-sur-Glane bereits Sprengstoff gelagert hatten und dass dieser Sprengstoff zu den Explosionen und dem Feuer geführt hat, bei denen so viele starben. Sicher ist nur dies: Die Männer von Oradoursur–Glane wurden in Scheunen und Häusern des Dorfes zusammengetrieben und erschossen, während die Frauen und Kinder in die Kirche gebracht und dort getötet wurden. An den abseits davon gelegenen Hinrichtungsstätten gab es einige Überlebende, doch nur eine Frau überlebte das Inferno der brennenden Kirche: Madame Rouffanche.

Die Geschichte ihrer Flucht habe ich beinahe Wort für Wort der Zeugenaussage entnommen, die sie 1953 während des Prozesses machte, in dem die namentlich bekannten SS-Offiziere, die noch lebten, für ihre Verbrechen verurteilt wurden. Es stimmt, dass eine junge Mutter mit ihrem Baby versuchte, nach Madame Rouffanche aus dem Kirchenfenster zu klettern, und dass beide durch Schüsse getötet wurden. Es war jedoch eine Dorfbewohnerin namens Henriette Joyeux mit ihrem Sohn, nicht die erfundene Figur Rose Fournier. Das Dorf Oradour-sur-Glane steht bis auf den heutigen Tag leer als ein unheimlich anmutender Geisterort und ein Mahnmal: Häuser ohne Dächer und mit Einschusslöchern in den Mauern, halb verbrannte Uhren, die für immer vier Uhr nachmittags anzeigen, ein verrosteter Peugeot, für immer auf dem Marktplatz geparkt. Madame Rouffanche hat für den Rest ihres Lebens in der Nähe gewohnt.

Frauen wie Eve und Louise lebten unter härteren Bedingungen, wussten aber selbst nur zu gut, dass Spioninnen entweder als Madonna oder als Hure betrachtet wurden.

Finn Kilgore ist eine erfundene Figur, seine Erfahrungen bei der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen beruhen jedoch auf historischen Aussagen von Soldaten des 63. Panzerabwehrregiments der Königlichen Artillerie, die an der Befreiung beteiligt waren. Charlie St. Clair und ihre Familie sind ebenfalls erfunden. Wahr ist jedoch, dass die Aussichten für ein unverheiratetes junges Mädchen, das schwanger war, zu ihrer Zeit noch immer fast genauso düster waren wie zu Eves. Abtreibungen waren illegal, aber möglich für Frauen, die reich genug waren (wie Charlie) und deshalb einen sicheren Eingriff bezahlen konnten oder verzweifelt genug (wie Eve) und deshalb lieber den Tod riskierten als eine Schwangerschaft. Viele Frauen sahen sich im Ersten Weltkrieg in den von den Deutschen besetzten Gebieten mit dieser furchtbaren Situation konfrontiert: Ich habe den herzzerreißenden Brief einer jungen Französin gelesen, die von deutschen Soldaten vergewaltigt wurde und ihre Familie um Vergebung dafür bat, dass sie sich für eine Abtreibung entschieden habe, statt das Kind ihrer Vergewaltiger in einem Kriegsgebiet zur Welt zu bringen.

Eve wäre sogar noch schlimmeren Konsequenzen als einer Mutterschaft ohne Ehemann ausgesetzt gewesen angesichts der historischen Doppelmoral, die Frauen in der Spionage traf. Das Spionagewesen hatte zu jener Zeit nicht den Glamour, den es später dank James Bond und Hollywood bekam. Es war keine Beschäftigung für einen Gentleman und schon gar nicht für eine Dame. Wenn eine Frau sich beim Spionieren die Hände schmutzig machen musste, hatte sie stets ihren guten Ruf zu wahren; und es wurden große Anstrengungen unternommen, um zu betonen, dass Quellen wie Louise de Bettignies trotz allem natürlich immer noch tugendhafte Frauen waren. »Sie mögen vielleicht kokett gewesen sein, aber sie waren nie Prostituierte«, schrieb ein Biograf von Louise allen Ernstes über die Frauen des Netzwerks Alice. »[Sie] haben nie auf die gebräuchlichen weiblichen Listen zurückgegriffen, um an Informationen zu gelangen.« Frauen wie Eve und Louise lebten unter härteren Bedingungen, wussten aber selbst nur zu gut, dass Spioninnen entweder als Madonna oder als Hure betrachtet wurden: als makellose Visionen der Reinheit, so wie die Märtyrerin Edith Cavell, oder als verführerische unberechenbare Dirnen, so wie Mata Hari.

Wie immer habe ich mir im Hinblick auf die historische Genauigkeit ein paar Freiheiten erlaubt. Manche Ereignisse habe ich verschoben, andere zusammengefasst, wenn es für die Geschichte sinnvoll erschien. Autofähren wie die, die Finns kostbaren Lagonda nach Frankreich transportiert, gab es 1947 bereits. Ich konnte allerdings nicht herausfinden, ob es so eine Fähre auch schon von Folkestone nach Le Havre gab. Louise de Bettignies und Marguerite Le François wurden zur Vernehmung nach Tournai gefahren, bevor Marguerite freigelassen und Louise offiziell verhaftet wurde. Nach dem Prozess in Brüssel dauerte es ein paar Tage, bis den Frauen gesagt wurde, dass ihre Todesstrafe in eine Gefängnishaft umgewandelt worden war.

Louises Verurteilung und die Frage, welche Beweise die Deutschen gegen sie hatten, sind umstritten. Sie weigerte sich in den Monaten ihrer Untersuchungshaft, irgendetwas zu verraten. Die Deutschen  brachten schließlich Mademoiselle Tellier, mit der Louise eine Zelle teilte, dazu, ihnen ein paar von Louises Briefen auszuhändigen. Aber es ist schwer zu sagen, ob sie in diesen Briefen Belastendes fanden. Ich habe die vorhandenen, sich widersprechenden Berichte etwas zugespitzt, um mehr Klarheit zu erreichen. Es ist aber gut möglich, dass Louise de Bettignies’ Verurteilung nur sehr schwache Beweise zugrunde lagen; abgesehen davon, dass man Ausweispapiere auf verschiedene Namen bei ihr fand, als sie mit einem geliehenen Passierschein an einem Kontrollposten vorbeiwollte.

Die Ereignisse rund um Louises Tod habe ich ebenfalls zugunsten der Geschichte zugespitzt. Ihre Operation wegen eines Lungenabszesses fand etwas früher im Jahr statt, und sie starb auch nicht sofort nach der Operation, sondern lebte noch ein paar Monate als Schwerkranke. Ein weiterer Beweis für ihre bemerkenswerte Stärke, denn laut La Guerre des Femmes dauerte Louises Operation vier qualvolle Stunden lang, in einem ungeheizten und unzureichend desinfizierten Raum des berüchtigten Krankenreviers von Siegburg, wo es kurz zuvor eine Typhusepidemie gegeben hatte. Es ist schwer zu sagen, ob die Deutschen wollten, dass Louise de Bettignies bei dieser Operation starb. Durch den Mangel an Hygiene und angemessener medizinischer Versorgung starben viele der Patienten, ohne dass irgendwer es extra darauf angelegt hatte.

Die Spioninnen des Ersten Weltkriegs sind heute größtenteils vergessen. So sehr man ihre Dienste während des Krieges auch schätzte, danach gab es ein gewisses Unbehagen, weil man nicht wusste, wie man mit ihnen umgehen sollte.

Aber Louise war sicher eine problematische Gefangene für die Deutschen, und diese zeigten wenig Mitgefühl in den letzten Tagen vor ihrem Tod: Man verweigerte ihr die letzte Bitte, sie zu ihrer Mutter zu schicken und in deren Pflege sterben zu lassen. Stattdessen schickte man sie schließlich von Siegburg auf ein einsames Totenbett in Köln, weit weg von ihren treuen Freundinnen und Mithäftlingen. Ich wünschte mir von ganzen Herzen, die Geschichte ändern und Louise ein besseres Schicksal bescheren zu können. Und ich gebe zu, dass ich ihre Leidenszeit nach der Operation auch deshalb verkürzt habe. Louises feierliches Begräbnis fand nicht 1919 statt, sondern erst 1920, als ihr Leichnam endlich nach Frankreich überführt wurde. Das Begräbnis in Köln, auf das Cameron sich im Gespräch mit Eve bezieht, hat es so nicht gegeben.

Die Spioninnen des Ersten Weltkriegs sind heute größtenteils vergessen. So sehr man ihre Dienste während des Krieges auch schätzte, danach gab es ein gewisses Unbehagen, weil man nicht wusste, wie man mit ihnen umgehen sollte. Frauen, die aktiven Kriegsdienst geleistet hatten, wurden von der Öffentlichkeit im Allgemeinen auf zweierlei Weise betrachtet: als Frauen, die all ihre Weiblichkeit eingebüßt hatten und aufgrund der Kriegsgefahren hart und männlich geworden waren; oder als tapfere kleine Frauen, die ihr Pflichtgefühl dazu zwang, gefährliche Aufgaben zu übernehmen, die aber im Herzen immer noch zarte Blumen waren. Louise de Bettignies wurde bewundert, gerühmt und mit Orden überhäuft, aber ihre Zeitgenossen konzentrierten sich nicht so sehr auf ihre Stärke und Tapferkeit als vielmehr auf ihre zierliche Gestalt, ihre Weiblichkeit, ihren Patriotismus. »Louise war die weiblichste Frau, die man sich nur vorstellen kann … Sie hatte nichts von einer Amazone an sich.«

Nach dem Zweiten Weltkrieg sah das noch nicht viel anders aus. Hätte die rebellische Rose überlebt, wäre Charlie St. Clair Zeugin geworden, wie von ihrer Cousine allenthalben erwartet worden wäre, dass sie sich nicht mit der Last des Krieges abgibt und zu Heim und Herd zurückkehrt, wohin sie gehört. Frauen, die aktiv am Krieg teilnahmen, haben ihre Zeitgenossen eindeutig verunsichert. Aber sie haben dennoch ein Vermächtnis hinterlassen.

In den 1930er- und 1940er-Jahren gingen junge Frauen zur S. O. E. (Special Operations Executive; Sondereinsatztruppe) und kämpften als Spioninnen gegen die Nazis, weil sie Bücher über Frauen wie Louise de Bettignies gelesen hatten – und sie waren nicht von ihrer weiblichen Anmut inspiriert. Sie waren inspiriert von ihrem Mut, von ihrer Stärke und von ihrer unbeirrbaren Tatkraft, so wie Charlie von Eves Mut, Stärke und Tatkraft. Diese Frauen waren tatsächlich Fleurs du Mal. Mit Härte, Ausdauer und Flair wuchsen sie am Bösen und inspirierten andere, es ihnen gleichzutun.

 

Bei diesem Text handelt es sich um einen Auszug aus Kate Quinns „Morgen gehört den Mutigen“. 


Das Buch 

Charlotte St. Clair ist schwanger, unverheiratet und kurz davor, aus ihrer Familie verstoßen zu werden. Doch so schnell macht ihr nichts Angst. Sie sorgt sich um ihre im Krieg in Frankreich verschwundene Cousine und bittet Eve Gardiner um Hilfe. Eve ist eine trinkfeste, Kette rauchende und erschütternd unfreundliche Lady. Ihr Geheimnis: Sie war Agentin für einen Spionagering aus Frauen. Eve flog auf, danach hat sie die schlimmsten Seiten des Krieges erlebt. Als Charlie den Namen eines Mannes erwähnt, den Eve einmal geliebt hat und den sie verdächtigt, sie an die Deutschen verraten zu haben, ist ihr Interesse geweckt. Lebt er noch, und hat er weitere Frauen auf dem Gewissen? Entschlossen, endlich die Wahrheit über diesen Mann zu erfahren, reisen die beiden Frauen nach Frankreich.

„Morgen gehört den Mutigen“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage

 

Kate Quinn

Kate Quinn

Kate Quinn stammt aus Südkalifornien. Sie besuchte die Boston University, an der sie einen Bachelor und Master in klassischem Gesang erlangte. Ihre lebenslange Begeisterung für Geschichte zeigt sich auch in ihren vier Romanen in der Empress of Rome Saga und ihren zwei während der italienischen Renaissance spielenden Romanen. Alle sind in mehrere Sprachen übersetzt worden. Sie lebt mit ihrem Mann in Maryland, zusammen mit zwei Hunden namens Caesar und Calpurnia. Zu ihren Interessen zählen Oper, Actionfilme, Kochen und die Boston Red Sox. www.katequinnauthor.com

Foto: © Kate Furek

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