Kim Wright über die Zeitkapsel des Elvis Presley

Wenn man einen Roman über eine Kultfigur wie Elvis Presley schreibt, geht damit ein gewisses Risiko einher. Viele Menschen verehren Elvis und haben eine genaue Vorstellung davon, wie er als Romanfigur sein sollte. Als Kim Wright in der Zeitung las, dass man das Auto besichtigen könne, das Elvis Presley am letzten Tag seines Lebens gefahren hatte, wollte sie dennoch ihre eigene Geschichte über Elvis Zeitkapsel schreiben. Was sie auf ihrem Recherche-Trip nach Graceland erlebt hat, erzählt sie hier.

Wenn man sich dafür entscheidet, einen Roman über reale Personen – besonders über eine Kultfigur wie Elvis – zu schreiben, so geht damit ein gewisses Risiko einher. Viele Menschen verehren Elvis und haben bereits eine Vorstellung davon, wie er als Romanfigur sein sollte. Enttäuscht man sie, ist man in ihren Augen nichts als ein Dreckshund – „nothing but a hound dog“, wie es bei Elvis heißt.

Die Idee zu diesem Buch kam mir, als ich eines Morgens im Bett lag und die Sonntagszeitung überflog. Mir fiel eine Schlagzeile ins Auge: LAST RIDE TO GRACELAND. Sie gehörte zu einem Artikel über das Auto, das Elvis Presley am letzten Tag seines Lebens gefahren hatte. Es war ein 1973er Stutz Blackhawk, das ultimative Muscle-Car, und der Artikel besagte lediglich, dass der Wagen nach Elvis‘ Tod sorgsam „wie eine Zeitkapsel“ verpackt worden war, aber nun restauriert und nach Graceland zurückgebracht werden sollte.

Etwas an dieser Szene ließ mich nicht mehr los, besonders das Wort „Zeitkapsel“, und bis zum Mittag hatte ich den Handlungsbogen einer Geschichte skizziert, in der Cory Ainsworth, die Tochter einer der Backgroundsängerinnen von Elvis, das Auto nach dem Tod ihrer Mutter im verwaisten Bootsschuppen der Familie findet. Es ist unklar, wie der Blackhawk dorthin gekommen ist, aber Cory beschließt, ihn zurück nach Graceland zu fahren, indem sie anhand des Krams, den sie im Auto findet, die Route zurückverfolgt, die ihre Mutter 37 Jahre zuvor zurücklegte, als sie am Tag von Elvis‘ Tod verzweifelt aus Memphis floh. Da Cory sieben Monate nach der Heirat ihrer Eltern und mit einem stattlichen Gewicht von achteinhalb Pfund auf die Welt kam, hat sie immer die Fantasie gehegt, dass Elvis Presley ihr richtiger Vater sei. 

Als Verfechterin des Method-Writing brach ich natürlich sofort zur Recherchereise auf und fuhr von Beaufort, South Carolina, nach Memphis, Tennessee, mit Halt in Macon (Georgia), Fairhope (Alabama) und Tupelo (Mississippi). Ich fuhr einen Prius, kein Muscle-Car, und mein Hund Thad ist ein kleiner Kläffer, nicht der schwermütige Coonhound, den ich als Corys Reisebegleiter im Sinn hatte. Aber während meiner einwöchigen Fahrt durch den tiefen Süden begegnete ich einer Menge Kneipen, Predigern, Stripperinnen, Garnelen, Zypressen, Truckstopps und Poeten, so dass ich meine Geschichte bei meiner Ankunft in Graceland schon ziemlich gut im Griff hatte. 

Als man von meiner Pilgerfahrt gehört hatte, empfing Graceland mich mit offenen Armen, und ich bekam einen Stutz Blackhawk zu sehen, wie er gerade in Charlotte restauriert wurde. (Elvis hatte, da er nun mal Elvis war, jedes Jahr einen neuen gekauft.) Aber als ich den Museumswächter fragte, ob ich mich hineinsetzen dürfe, sagte er: „Ma’am, niemand fasst dieses Auto an – außer dem Geist von Elvis.“

Auf meiner Tour durch Graceland, unter zahlreichen Japanern und einer deutschen Großfamilie, war ich am Schluss der Führung die Erste, die in die Media Hall gelangte. Dort wurden Videos der Elvis Konzerte aus seinen Las-Vegas-Jahren gezeigt und man konnte bleiben, solange man wollte, um sich die Filme anzusehen. Graceland achtet sehr darauf, das Image des Mannes nicht zu beschädigen, aber ich wusste aus meinen Recherchen, dass Elvis zu diesem Zeitpunkt schon stark auf dem Abstieg war – er vergaß oft seine Songtexte und manchmal versagte seine Stimme ganz. Seine Background-Sängerinnen waren darin geschult worden, die Show zu retten, indem sie in die Melodie einstimmten, um ihn zu unterstützen, wenn er versagte, oder indem sie ihn wieder auf die Beine brachten, wenn eine seiner Karatebewegungen schief ging. Der Elvis auf dem Bildschirm über mir war bereits fett, benommen und verschwitzt, eine traurige Parodie des schönen Jungen, der uns am Anfang der Tour noch mit seinen Songs umgarnt hatte.

Die Sache mit Elvis ist die: Selbst an seinem absoluten Tiefpunkt, hatte er noch diese gelegentlichen Momente, in denen er auf der Höhe war, und dann hatte er etwas Magisches. Irgendwann leuchteten die Bildschirme auf und zeigten einen überlebensgroßen Elvis im weißen Overall, der „The Battle Hymne of the Republic“ sang, und ich fordere jeden heraus, einen solch überwältigenden Auftritt gänsehautfrei zu überstehen. Schweiß strömte an diesem Mann herunter, seine Augen waren zugekniffen. Die Hand, die das Mikrofon festhielt, war mit lächerlich großen Ringen besetzt, und der Kamerawinkel war ungünstig. Er war zu diesem Zeitpunkt kein Jahr mehr von seinem Tod entfernt, und doch vergaß ich, während er sich dem Höhepunkt des Liedes näherte, dass ich Elvis gar nicht wirklich mochte und dass Graceland kitschig war, und fing an zu weinen. Als er dann zum „Glory, glory hallelujah!“ kam, schluchzte die Hälfte des Raumes ungehemmt, und dann kamen die Deutschen herein und verloren komplett die Fassung.

„Last Ride to Graceland“ handelt im Grunde von einer Mutter und einer Tochter, die einander nicht verstehen – obwohl sie beide Sängerinnen sind, die einmal vom Starruhm geträumt haben. Welche Mutter und Tochter tun das auch schon? Aber während Cory die Reise unternimmt, um herauszufinden, wer wirklich ihr Vater war, erfährt sie stattdessen, wer ihre Mutter wirklich war. Ich denke, es ist eine bewegte und spaßige Lektüre – mit Elvis Presley, der eine zentrale Rolle im Leben beider Frauen spielt, als Schutzpatron der Geschichte. Ich hoffe, die Leser fühlen sich von der Geschichte der Figuren angesprochen und spielen bei ihren Buchclubtreffen Elvis‘ Musik und servieren dazu Bananen-Erdnussbutter-Milchshakes!

 


Das Buch

Cory Ainsworth schlägt sich nach dem Tod ihrer Mutter als Blues-Sängerin durch. Bis sie im alten Schuppen ihres Elternhauses ein Erinnerungsstück der Rock ’n‘ Roll-Geschichte entdeckt: den Blackhawk, das legendäre Auto von Elvis Presley. Für Cory ist das der langgesuchte Beweis: Elvis muss ihr biologischer Vater sein! Vor 37 Jahren war ihre Mutter Honey Backgroundsängerin beim King persönlich. Alles, was sie weiß, ist, dass Honey nach einem Jahr reumütig nach Hause zurückkehrte, um ihre Jugendliebe zu heiraten. Kurzerhand startet Cory das Auto und fährt dieselbe Route ab, die Honey damals genommen hat. Dabei erfährt sie nicht nur viel über ihre Mutter, sondern auch über Elvis, die 70er und ihren eigenen Platz in dieser Geschichte.

„Das Glück kurz hinter Graceland“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage. 

 

 

Kim Wright

Kim Wright

Kim Wright schreibt für mehrere Lifestylemagazine über Wein, Restaurants und Reisen. Sie ist leidenschaftliche Tänzerin und lebt in Charlotte, North Carolina.

Foto: © privat

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