In ihrem Buch „Im Freibad“ beschreibt Libby Page die generationsübergreifende Freundschaft zweier Frauen – einer 26-jährigen Reporterin und einer 86-jährigen Freiluftschwimmerin. Hier erzählt sie, welche ältere Dame ihr als Inspiration für diese Geschichte diente und weshalb sie es selbst kaum erwarten kann, dem Alter mit einem geblümten Badeanzug und einer Badekappe entgegenzutreten.
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Wenn ich darüber nachdenke, wer ich sein will und mit wem ich Zeit verbringen möchte, richtet sich mein Blick zunehmend auf ältere Frauen.
Sie war ungefähr 70 Jahre alt und, abgesehen von den Flip-Flops an ihren Füßen, völlig nackt. Anders als ich scheute sie sich nicht, es war ihr einfach egal, und plötzlich wurde mir klar, dass ich wie sie sein wollte – aber mehr noch, dass ich mit ihr befreundet sein wollte.
Das war in London, im Sommer, am Kenwood Ladies‘ Pond – einem Ort, an dem sich Frauen jeden Alters treffen, in der Umkleidekabine vollständig voreinander entblößen und gemeinsam schwimmen. Ich kannte nicht einmal den Namen dieser Frau, aber das Selbstvertrauen, das sie an den Tag legte, als sie erst in ihren Badeanzug und dann ins kalte Wasser stieg, blieb mir im Gedächtnis haften. Die „betagte nackte Dame“ ist eine Gestalt, die jede Schwimmerin aus ihrer eigenen Umkleidekabine kennen dürfte: Sie ist zwischen 60 und 90 Jahre alt und einfach nicht wegzudenken, wie sie sich in der Gemeinschaftsdusche abschrubbt und kein bisschen darum schert, was andere von ihr denken. Sie ist vielleicht nicht das gängigste Vorbild für eine 26-Jährige wie mich, aber das macht nichts. Wenn ich darüber nachdenke, wer ich sein will und mit wem ich Zeit verbringen möchte, richtet sich mein Blick zunehmend auf ältere Frauen.
Die meisten meiner Freunde sind Mitte zwanzig bis Anfang dreißig. Ich liebe sie, aber ich würde mir andererseits wünschen, dass meine soziale Gruppe ein wenig breiter aufgestellt wäre – und älter. So schön es auch ist, Freunde zu haben, die eine ähnliche Geschichte aufweisen (Universität, unbezahlte Praktika, erste Jobs und ein paar mit ersten Karriereversuchen verbrachte Jahre), ich möchte auch Zeit mit Menschen verbringen, die einen anderen Blick auf die Dinge haben und andere Geschichten, aus denen man etwas lernen kann.
Es ist mir egal, dass sie 40 Jahre älter sind als ich – sie sehen aus wie Frauen, mit denen man Spaß haben kann.
Diese Suche hat sich besonders zugespitzt, seit ich vor über einem Jahr meinen Bürojob an den Nagel gehängt habe, um mich ganz und gar auf das Schreiben zu konzentrieren. Fast alle meine Freunde haben Bürojobs. Ich kann mir meine Zeit jetzt viel flexibler einteilen, so dass ich, wenn ich nachmittags in einem Café arbeite oder mir nach einem mit Schreiben verbrachten frühen Morgen einen Schwimmbadbesuch am späten Morgen gönne, das Café bzw. den Pool mit Ruheständlerinnen teile. Ich beneide sie und bewundere die Herzlichkeit ihrer Freundschaften, die selbst für eine Außenstehende unübersehbar ist. Ich möchte Einlass in ihre Welt finden und mich ihrer Clique anschließen. Es ist mir egal, dass sie 40 Jahre älter sind als ich – sie sehen aus wie Frauen, mit denen man Spaß haben kann.
Es kann jedoch schwierig sein, einen Anfang zu finden, wenn es um das Schließen von generationenübergreifenden Freundschaften geht. Wollen diese älteren Damen wirklich eine 26-Jährige zur Freundin? Und wenn der ganze Freundeskreis ein ähnliches Alter hat, wo findet man dann überhaupt Menschen außerhalb des eigenen sozialen Umfelds, die für eine Freundschaft infrage kommen?
Vor ein paar Jahren trat ich einem örtlichen Schwimmverein bei. Wir schwammen nach Leistungsfähigkeit geordnet in Bahnen. Ich startete auf der langsamsten Bahn und war meistens mit mehreren Jahrzehnten Abstand das jüngste Mitglied. Ich mochte vielleicht die Jüngste sein, aber ich planschte eben doch hinter den älteren Männern und Frauen her, die alle erfahrene Schwimmer waren. Wir trafen uns samstags um acht Uhr morgens, und nach einem anstrengenden Programm, das der Schwimmtrainer konzipiert hatte, gingen wir alle gemeinsam in einem nahegelegenen Café frühstücken. Eine der Frauen, die auf meiner Bahn schwamm und mir besonders ans Herz gewachsen war, hatte kürzlich ihren 80. Geburtstag gefeiert. Ich konnte nicht anders, als ihre heitere Einstellung morgens am Schwimmbecken zu bewundern, während ich mir noch den Schlaf aus den Augen rieb.
Aus meiner Sicht sollte das Alter kein Hindernis sein, wenn es darum geht, Interessen zu teilen und letztendlich eine Freundschaft zu entwickeln.
Ich war nur ein paar Monate lang Mitglied; als ich weiter wegzog, war der Termin um acht Uhr nicht mehr zu halten. Aber ein Teil von mir bedauert, die Gruppe verlassen zu haben, bevor ich ganz und gar Teil davon werden konnte. Es gab Augenblicke, in denen ich kurzfristig etwas Vergleichbares vorgefunden habe: Vor ein paar Monaten ging ich zu einem örtlichen Lesezirkel und war mit Abstand das jüngste Mitglied. Ich war bei meiner Ankunft nervös, wurde aber sofort von Sue, der eleganten älteren Dame, die die Gruppe leitet, und zwei ihrer Freundinnen, Hilary und Judy, begrüßt. Ich verbrachte den Abend damit, mit den beiden zu plaudern und stellte fest, dass wir drei fast Nachbarinnen sind. Wir tranken Wein und sprachen über das, was wir an unserer Umgebung am meisten schätzen; eine gemeinsame Liebe zum Lesen hatte uns zusammengeführt und unsere Wertschätzung für den nahe verlaufenden River Lea verband uns noch enger.
Aus meiner Sicht sollte das Alter kein Hindernis sein, wenn es darum geht, Interessen zu teilen und letztendlich eine Freundschaft zu entwickeln. Es war dieser Gedanke, der mir die Idee zur generationenübergreifenden Freundschaft in meinem ersten Roman eingab: Eine 26-jährige Reporterin schließt eine enge Freundschaft mit einer 86-jährigen Freiluftschwimmerin. Es handelt sich um eine rein fiktive Freundschaft, die aber von den Frauen inspiriert wurde, denen ich im Wasser begegnet bin: den Frauen in ihren Sechzigern, Siebzigern, Achtzigern, die in nichts weiter als einem geblümten Badeanzug und vielleicht einer Bommelmütze in eisig kalte Tümpel tauchen, während ich am Ufer Schwierigkeiten habe, in meinen Neoprenanzug zu kommen. Die Liebhaberinnen des Lebens, die Hechterinnen und Springerinnen und Plantscherinnen. Das sind die Frauen, zu denen ich mich mit zunehmendem Alter selbst zu entwickeln hoffe – Frauen, die bestimmte Altersmeilensteine erreicht haben, aber ein Leben jenseits der Erwartungen führen, die die Gesellschaft an dieses Alter stellt. Wir alle werden älter, aber wir haben die Wahl, wie wir dieser Tatsache begegnen, und ich hoffe, dass ich ihr in einem geblümten Badeanzug und einer Badekappe begegne. Ich hatte vielleicht noch nicht das Glück, im wirklichen Leben eine Freundschaft zu schließen, wie sie in meinem Buch beschrieben wird, aber ich gebe nicht auf.
Wir alle werden älter, aber wir haben die Wahl, wie wir dieser Tatsache begegnen, und ich hoffe, dass ich ihr in einem geblümten Badeanzug und einer Badekappe begegne.
Tatsächlich denke ich in meinem Bestreben, ältere Freundinnen zu finden, darüber nach, tagsüber Kunstunterricht zu nehmen und ehrenamtlich in einem lokalen Garten mitzuarbeiten. Es mag seltsam erscheinen, so viel Energie in dieses Vorhaben zu stecken, aber ich werde dazu angespornt von den älteren Frauen aus meinem eigenen Leben, zu denen ich aufblicke. Die Mutter meines Freundes, die meine Liebe für Kunsthandwerk teilt und mit der ich mich unter der Woche oft treffe. Pfarrerin Anne, eine Freundin der Familie und pensionierte Geistliche mit hintersinnigem Humor, die mich so heftig zum Lachen brachte wie lange nicht mehr, als sie mir anschaulich und detailreich schilderte, wie sie früher Sexualkundeunterricht an einer örtlichen Schule gab. Die enge Freundin meiner Mutter, Gay, eine elegante ältere Frau mit einem Stil und Geschmack, von dem ich mir eine Scheibe abschneiden kann. Merle, eine Frau, die es versteht, sich einfach mit jedem zu unterhalten. Pauline, die Mutter der besten Freundin meiner Mutter, die ich mein ganzes Leben lang gekannt habe und die sich bis in ihre späten Siebziger hinein dem Schwimmen und Bodyboarding widmete. Sie sind vielleicht nicht die typischen Freundinnen für jemanden wie mich, aber sie sind die Frauen, zu denen ich aufschaue. Sie führen mir eine Version fortgeschrittenen Lebens vor Augen, auf die ich mich freue.
Dieser Text erschien erstmalig im Sunday Time Style Magazine.