Literatur-Insights: Ласкаво просимо до Києва (Willkommen in Kiew!)

Wie funktioniert der ukrainische Literaturbetrieb? Welche Rolle spielt der Buchhandel und wie arbeiten die Verlage dort? Unsere NetGalley-Kollegin Karina Elm war zu Gast in Kiew, um vor 30 ukrainischen Verlagsmitarbeiterinnen und Verlagsmitarbeitern einen Workshop zum Thema Online-Communities und Leseplattformen in Deutschland zu geben. Wie das bei ihrem Publikum ankam und was sie selbst über den ukrainischen Buchmarkt gelernt hat, erzählt sie in unserer Foto(love)story.

Karina Elm_Kiew_resonanzboden

 

Die Booking The Future Summer School ist Teil der Kiewer Buchmesse Book Arsenal, die vom 20. Mai bis 3. Juni 2018 zum achten Mal veranstaltet wurde. Die noch recht junge und sehr international ausgerichtete Messe hat unter anderem den Anspruch, zur professionellen Weiterentwicklung der Ukrainischen Buchbranche beizutragen und die Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen und Ukrainischen Verlagswesen zu stärken. Unterstützt wird die Messe vom Culture Bridges Programm der EU.

Der Ukrainische Literaturbetrieb unterscheidet sich stark vom deutschen. Plattformen wie Lovelybooks, Vorablesen, NetGalley und Co. gibt es hierzulande (noch) gar nicht und Buchblogger*innen sind kaum aktiv.

Während der Präsentation ihrer Bücher auf der Messe bleibt den Verlagen wenig Zeit für professionelle Branchen-Gespräche. Die Summer School Mitte Juli soll da Abhilfe schaffen. Verlagsmitarbeiter*innen aller Abteilungen können sich an fünf Tagen in Ruhe zu neuen Entwicklungen auszutauschen und erhalten inspirierenden Input. Dafür wurden Vortragende aus Tschechien, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Italien, Polen und England eingeladen, die Workshops zu verschiedensten Themen aus den Bereichen Marketing, Design, Vertrieb & Daten, Rechte & Lizenzen halten. Ich habe die Ehre, mit meinem Workshop „Online Book Communities in Germany and their value for publishers” den Auftakt zu geben.

 

Erster Tag in Kiew: Die Summer School

Sowohl für die Book Arsenal Messe als auch die Summer School haben die Veranstalter*innen eine beeindruckende Location gefunden: Das Mystetskyi Arsenal ist eine der ältesten und berühmtesten Fabriken in der ukrainischen Hauptstadt, in der schon im 18 Jh. die Waffen der zaristischen Armee produziert wurden. Heute finden hier Ausstellungen moderner Kunst und Kulturveranstaltungen statt, das Gebäude steht aber unter Denkmalschutz und lässt seine ehemaligen Funktionen noch erahnen.

 

       

 

Um 10:30 Uhr beginnt mein Workshop. Die 30 Teilnehmer*innen wurden aus über 80 Bewerbungen ausgewählt und stammen aus großen und kleinen Verlagen aller Genres und Bereiche. Anderthalb Stunden lang gebe ich ihnen einen Einblick in die Welt der deutschsprachigen Buch- und Leseplattformen und stelle an Beispielen vor, wie Verlage sie hierzulande in ihren Marketing- und Vertriebsstrategien nutzen.

 

Karina Elm_Book Arsenal_Kiew

 

Eine große Herausforderung (neben den Tauben, die ab und zu durch den Raum fliegen, weil es kein Glas in den Fenstern gibt) ist die Sprache: Ich halte meinen Vortrag auf Englisch, doch einige der Teilnehmer*innen verstehen das nicht gut. Also wird simultan übersetzt – eine sehr interessante Erfahrung, vor allem bei der Fragerunde im Anschluss an meinen Vortrag.

Und Fragen gibt es viele!

 

Karina Elm_Book Arsenal_Kiew

Karina Elm_Kiew_resonanzboden

Der Ukrainische Literaturbetrieb unterscheidet sich stark vom deutschen. Plattformen wie Lovelybooks, Vorablesen, NetGalley und Co. gibt es hierzulande (noch) gar nicht und Buchblogger*innen sind kaum aktiv. Auch die Buchhändler*innen nehmen eine ganz andere Rolle ein: Häufig vertreiben die Verlage ihre Bücher selbst über ihre Online-Shops, eine Buchpreisbindung gibt es nicht. Unsere „geordneten Verhältnisse“, starken Traditionen und – vergleichsweise – sicheren Marketing- und Vertriebsstrategien stoßen somit bei meinen Teilnehmer*innen auf großes Interesse.

 

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Beim Mittagessen plaudere ich mit den Organisator*innen der Summer School – vorrangig Mitarbeiter*innen des British Councils sowie Ehrenamtliche – ausführlich über den ukrainischen Buchmarkt und bin so fasziniert, dass es an dieser Stelle leider keine Fotos vom Essen gibt.

 

 

In den Genuss ukrainischer Süß(!!)igkeiten komme ich während der Teepause aber dennoch.

 

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Der zweite Teil meiner Präsentation geht am Nachmittag in einen Workshop über. Die Teilnehmer*innen finden sich in Gruppen zusammen und entwickeln Community-basierte Marketingstrategien zu fiktiven Büchern.

 

 

 

 

 

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Danach präsentieren sie ihre Ergebnissen und erhalten mein Feedback. Abermals wird die Simultanübersetzung zur Herausforderung, aber letztlich überwiegt der Spaß, den alle an der Aufgabe haben (unter anderem als ein Ukrainischer Schlagerstar in die Strategie eingebaut wird, den ich natürlich erst einmal googeln muss).

 

 

 

Direkt nach mir ist Tom Mrazauskas mit seinem Vortrag an der Reihe. Er arbeitet als Buchdesigner in Berlin und hat bereits viele spannende Buchprojekte verwirklicht, u.a. mit Verlagen wie Matthes & Seitz, von deren Entstehung und Hintergründen er berichtet.

 

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Tom gibt außerdem Feedback zu den Covern der anwesenden Verlage – Kiew sucht das Supercover, alle finden es großartig und ich habe das Gefühl, wir könnten stundenlang so weitermachen.

Irgendwann ist aber auch dieser Vortrag vorbei und wir beenden den Tag mit einem Essen beim Georgier, zu dem uns das Goethe Institut Kiew einlädt. Hunger und Müdigkeit sorgen dafür, dass es wieder keine Fotos gibt – obwohl die georgische Küche sowohl optisch als auch geschmacklich ein Highlight ist.

 

Zweiter Tag in Kiew: Sightseeing!

 

Karina Elm_Kiew_resonanzboden

 

An meinem zweiten Tag in Kiew habe ich keine Verpflichtungen bei der Summer School, also Zeit, um bei strahlendem Sonnenschein die ukrainischen Hauptstadt zu erkunden. Zu Fuß starte ich meine Erkundungstour quer durch die Stadt, um sowohl ihre Sehenswürdigkeiten aber vor allem ihren Flair kennenzulernen.

 

 

Ich spaziere durch breite Prachtstraßen und kleine romantische Gassen, Hügel hinauf und hinunter, zum Fuße des breiten Flusses Dnepr, der die Stadt teilt und in Richtung des Schwarzen Meeres davonfließt. 

 

Karina Elm_Kiew

 

Ich laufe vorbei an farbenprächtigen Kirchen (und besichtige einige von ihnen) …

 

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… sowie an imposanten Gebäuden, die den sozialistischen Einfluss unschwer erkennen lassen.

 

Karina Elm_Kiew_resonanzboden

 

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Ein Muss ist natürlich der Maidan-Platz, dem Schauplatz der gewaltsamen Aufstände im Jahr 2013, über die man sich mit Hilfe von eindrücklichen Informationstafeln ein umfangreiches Bild machen kann.

 

 

 

 

Ich fahre in der tiefsten U-Bahn-Station der Welt (die Haltestelle Arsenalna) fünf Minuten mit der Rolltreppe 105,5 Meter ans Tageslicht – danke, Stalin.

 

Karina Elm_Kiew_resonanzboden

 

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… habe viele nette Gespräche mit Einheimischen, die auf die Frage, ob sie Englisch sprechen, immer mit einem „Only very little, sorry” antworten und dann doch zehn Minuten mit mir über ihre Stadt, über Politik oder das einheimische Essen plaudern können.

 

 

 

Karina Elm_Kiew

 

 

Statt der Sprachbarriere erwarten mich andere Herausforderungen ganz unerwarteter Art …

 

 

 

 

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… aber auch eine kulinarische Überraschung, die mich an meine Kindheit in Ost-Berlin erinnert.

 

 

 

 

 

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Zu guter Letzt besichtige ich die riesige Anlage des Heiligen Mariä-Himmelfahrt-Klosters im Süden des Kiewer Stadtzentrums, wo zwar keine Zeit mehr für die berühmten Mönchshöhlen aus dem 11. Jh. bleibt, ich aber durch die Kirchen, Klöster und Museen wandernd den Gebetsgesängen der orthodoxen Priester lausche, die dem fast leeren Ort etwas Magisches verleihen.

 

 

 

 

 

 

 

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Am Ende des Tages bin ich platt – aber voller neuer Eindrücke.

 

 

 

Danke, Kiew, ich komme wieder!

 

FAKTEN ZUM UKRAINISCHEN BUCHMARKT

  • Es herrscht eine positive Dynamik auf dem ukrainischen Buchmarkt: Beginnend mit dem Jahr 2016 wächst er zum ersten Mal seit 2013 wieder. Ob ein Anstieg importierter Bücher aus Russland dies ändert, bleibt abzuwarten.
  • In der ersten Hälfte des Jahres 2018 wurden 9.300 Bücher veröffentlicht.
  • Die Anzahl der gedruckten Exemplare ist um fast 24% gesunken – das gilt für Titel in ukrainischer Sprache (Rückgang um 14%) als auch in russischer (Rückgang um 42%).
  • Im Jahr 2018 hat die Ukraine 6.829 registrierte Verlage, die Zahl der tatsächlich aktiven Verlagshäuser beträgt ungefähr 2000.
  • In der Ukraine gibt es keine festen Preise für Bücher. Verlage versuchen die Preise durch Preisempfehlungen zu kontrollieren, was in der Praxis jedoch nicht funktioniert.
  • Der durchschnittliche Preis pro Titel liegt bei 6,50 EUR.
  • Die meisten Bücher werden in einer Auflage von 500 Stück gedruckt (12,746 im Jahr 2017), die zweithäufigste Auflagengröße ist 5.000 (das galt 2017 für 5.066 Titel, u.a. gut die Hälfte aller Kinder- und Jugendbücher).
  • Die Zahl veröffentlichter Übersetzungen ist signifikant gestiegen: 625 Titel mehr waren es im Jahr 2016 (+37.8%), ein Trend, der auch 2017 anhielt.
  • Übersetzte Literatur ist in fast allen Bereich beliebt, der hauptsächliche Fokus ukrainischer Verlage liegt auf internationalen Belletristik-Bestsellern.
  • Am erfolgreichsten ins Ausland verkauft werden die Rechte für ukrainische Bilderbücher, auch einige Sachbücher für Kinder sind international erfolgreich.

 

Fotos: Andrei Maximov und Karina Elm

Karina Elm ist  für den Börsenblatt Young Excellence Award 2018 nominiert. Hier geht es zur Abstimmung.


 

Karina Elm

Karina Elm

Karina Elm betreut seit 2016 die Online-Plattform NetGalley Deutschland als Customer Relations und Community Managerin. Die studierte Literaturwissenschaftlerin hat ihre Laufbahn im Lektorat des Ullstein Verlags begonnen, dann aber schnell ihre Leidenschaft für die digitalen Geschäftsfelder der Branche entdeckt. Über NetGalley stellen Verlage die digitalen Leseexemplare ihrer Bücher für Blogger, aber auch Buchhändler, Journalisten etc. zur verfügung und tauschen sich mit ihnen darüber aus.

Foto: © Michaela Philipzen

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