Markus Egert: Die wunderbare Welt der Keime

Der Mikrobiologe Prof. Dr. Markus Egert und sein Koautor Frank Thadeusz nehmen uns mit in die faszinierende Welt der Keime, Viren, Pilze und Bakterien. Wir erfahren, was sie so besonders macht, warum Mikroben für unser Leben eine entscheidende Rolle spielen und wieso es keinen Sinn macht, allen Bakterien den Garaus machen zu wollen.

Egert Keime Ullstein resonanzboden

Illustration: Mrs. Opossum

 

Viele Menschen empfinden zunächst Widerwillen, wenn es um Keime und Bakterien geht. Zu unappetitlich erscheint dieses Thema, vielleicht auch zu unheimlich. Denn hier geht es um Dinge, die sich im Verborgenen abspielen. Wir betrachten Keim & Co. hauptsächlich als Feinde, die es auszumerzen gilt. Möglichst mit allen Mitteln, die unser Arsenal an scharfen Reinigern zur Verfügung stellt. Doch die Mikrobiologen fangen gerade erst an, die Welt der Mikroben zu verstehen. Und ahnen dabei schon jetzt: Deren verborgenes und geheimnisvolles Universum ist uns freundlicher gesonnen, als wir bisher glaubten.

Ein steriles Leben ohne Mikroorganismen in unseren Häusern und Wohnungen ist schlicht unmöglich. Milliarden von Einzellern wuseln in jedem Moment unseres Lebens um uns herum. Sie hausen auf unserer Haut und sogar in unserem Körper – jeder Mensch beherbergt die unvorstellbare Zahl von zehn Billionen Mikroorganismen. Außerdem ist interessant zu wissen, dass uns übertriebene Hygiene regelrecht krank machen kann. Und dass uns immer wieder Bakterien auf die Beine helfen, wenn wir denn krank geworden sind.

Gute und böse Mikroben

Ich bin kein versponnener Wissenschaftler, der sein Forschungsobjekt esoterisch verehrt. Zu unserem Zusammenleben mit Mikroorganismen gehört es einfach, diese lieben kleinen Biester mitunter umzubringen. Denn leider gibt es unter ihnen auch Schurken, die uns an die Substanz wollen. Antibiotika, Desinfektions- und Reinigungsmittel gehören zu den Segnungen der Zivilisation und haben unsere Lebenserwartung deutlich verlängert. Doch ihr Einsatz muss mit Bedacht geschehen. Ansonsten kann der Schuss auf die Mikroben nach hinten losgehen. Und nicht nur das: Uns Mikrobiologen wird immer klarer, dass wir einen Fehler begehen, wenn wir alle Mikroben auslöschen; denn dann töten wir auch die vielen guten, nur um ein paar böse zu erwischen.

Dass ich mich als Mikrobiologe diesem Thema gewidmet habe, war sicher kein Selbstläufer. Es ist nicht gerade so, dass ich mich zu Hause darum reiße, wenn’s ums Saubermachen geht. Promoviert habe ich über Mikrobengemeinschaften im Darm von afrikanischen Rosenkäferlarven, Maikäfer-Engerlingen und Regenwürmern. Wer jetzt den Eindruck bekommt, die Mikrobiologie sei eigentlich ein überflüssiges Orchideenfach, den kann ich beruhigen. Ich behaupte, dass gerade Mikrobiologen heute über eine Jobgarantie verfügen.

Denn sie werden wirklich an fast allen Ecken und Enden gebraucht, damit unser modernes Leben funktioniert. Mikrobiologen müssen überprüfen, dass weder in unsere Lebensmittel noch in unser Trinkwasser gefährliche Keime geraten. Viele Pharmazeutika müssen sogar steril, also absolut keimfrei sein. Selbst in den Tauchbädern der Automobilindustrie, in welche die Karossen zur Lackierung versenkt werden, dürfen sich Keime nur in geringer Zahl befinden. Sonst bestünde die Gefahr, dass sich die Einzeller auf dem Metall niederlassen und der Lack später nicht richtig haftet.

Abenteuerspielplatz für Mikrobiologen

Dass ich Haushalts-Hygieniker wurde, war ein Zufall. Im Jahr 2006 ging ich zum Düsseldorfer Konsumgüterhersteller Henkel. Für einen arglosen Wissenschaftler von der Universität ist so ein Karriereschritt erst mal ein Wechsel auf die dunkle Seite der Macht. Denn dort wird Forschung nicht mehr nur um der Forschung willen betrieben, sondern um mehr Waschmittel, Spüli oder Deos zu verkaufen. Ich wurde Laborleiter in der Abteilung für Mikrobiologie. Mein Hauptgebiet war zunächst die Körpergeruchs- und Deoforschung. Es war, als wäre ich in einen großen Abenteuerspielplatz für Mikrobiologen geraten! Einer der alten Chefs sprach gern von Herrn Egerts Sandkasten, wenn ich Projektideen mit meinen neuen Uni-Methoden präsentierte.

Wir erforschten zum Beispiel die Auswirkungen von Kosmetik auf die Hautflora. Dazu haben wir Keime aus der Achselhöhle von Kollegen isoliert und untersucht, welche von ihnen Stinkstoffe produzieren. Später beschäftigten wir uns noch mit Stinker-Bakterien von Auto-Klimaanlagen, der Waschmaschinen-Flora und der Wirkung von Reinigungsmitteln auf die Mikroben in einem Haushalt.

 

Egert Keime Ullstein resonanzboden
Prof. Dr. Markus Egert. Foto: Britt Schilling


Außerdem untersuchten wir Enzyme aus gentechnisch veränderten Bakterien, die in der Lage waren, beim maschinellen Waschvorgang die Flecken auf der Wäsche zu verdauen. Das ist ein bisschen wie im Labor von Dr. Frankenstein. Doch die moderne Mikrobiologie macht’s möglich: Kein Problem, am Reißbrett einen Mikroorganismus nach Maß zu erschaffen, der genau das tut, was man will. Na ja, fast.

Andererseits: Mit lebenden Mikroorganismen arbeiten Mikrobiologen noch ziemlich genauso, wie es der Entdecker des Tuberkulose-Erregers, Robert Koch, schon vor knapp 150 Jahren getan hat: mit festen oder flüssigen Nährmedien. Denn nur bei lebenden Mikroben kann man tatsächlich testen, wie sie auf bestimmte Umweltreize, zum Beispiel Reinigungsmittel oder Deowirkstoffe, reagieren.

Man vergisst leicht, dass Mikroorganismen Lebewesen sind, die einen eigenen Stoffwechsel besitzen. Sie sind nur tausendstel Millimeter groß, und um sie zu sehen, braucht man ein Mikroskop. Diese kleinsten Bewohner der Erde sichtbar werden zu lassen, war vor fast 350 Jahren ein Riesenschritt. Der erste Mensch, der Bakterien erstmals verlässlich gesehen und beschrieben hat, war Antoni van Leeuwenhoek, ein holländischer Hobby-Linsenschleifer und Optiker. Dieser Mann wusste allerdings noch nicht wirklich, mit wem er es zu tun hatte. In Unkenntnis ihrer Existenz glaubten selbst im 19. Jahrhundert noch Mediziner, dass Krankheiten durch üble Gerüche verursacht werden, bis der bereits erwähnte Robert Koch über ihre wahre Natur aufklärte.

Mikroben im Mixer

Alle Mikroben sind Einzeller. Dass sie in dieser Form existieren können, ist durchaus bemerkenswert. Wenn Mikrobiologen den wahren Unterschied zwischen Mikroorganismen, also Einzellern, und höheren, mehrzelligen Lebewesen erklären wollen, haben sie ein ganz einfaches Unterscheidungskriterium zur Hand: Alles, was man in einen Mixer stecken kann, ohne es zu töten, sind Mikroorganismen. Der Hintergrund: In Mehrzellern haben sich die einzelnen Zellen so spezialisiert, dass sie alleine unter natürlichen Bedingungen nicht mehr lebensfähig sind. Werden sie auseinandergerissen, können sie danach keinen vollständigen Organismus mehr aufbauen.

Mikroorganismen sind dagegen potenziell unsterblich. Sie vermehren sich stur durch Zweiteilung oder – wissenschaftlich ausgedrückt – exponentielles Wachstum: aus einer Zelle werden zwei neue, daraus vier, daraus acht … Wohin so was führt? Aus einer einzigen Zelle, die sich über 48 Stunden alle 20 Minuten teilt, entsteht eine Biomasse, die etwa 3000-mal schwerer ist als die Erde.

Zu den Mikroorganismen oder Mikroben gehören die Bakterien und auch die Archaeen, eine weniger bekannte Schwesterngruppe der Bakterien, die zum Beispiel in Biogasanlagen Methan zum Heizen erzeugen. Daneben sind Pilze, Algen, einzellige Tiere (Protozoen) und auch Viren Mikroorganismen. Letztere sind Sonderlinge, die keine Lebewesen, sondern »nur« komplizierte Moleküle ohne eigenen Stoffwechsel sind.

Bakterien stellen sicher die am besten untersuchten Mikroben dar. Sie sind in der Lage, chemische Reize wahrzunehmen, und viele von ihnen besitzen sogar eine Art Motor, mit dem sie sich fortbewegen können. Der Begriff »Keime« wird oft synonym für Krankheitserreger verwendet. Das ist ungerechtfertigt! Die meisten Mikroben sind für Menschen völlig harmlos.

Bakterien haben im Gegensatz zu den Zellen von Pilzen, Algen, Protozoen und allen höheren Lebewesen keinen Zellkern. Sie werden Prokaryoten genannt. Und dennoch sind unsere Zellen mit den Bakterien direkt verwandt. Genauer gesagt, sind wir sogar aus ihnen hervorgegangen. Vor langer Zeit verkuppelten sich Bakterien und Archaeen zu sogenannten Eukaryoten: Zellen mit einem Zellkern, aus denen letztlich auch Menschen gemacht sind.

Der Urahn allen Lebens: ein Keim

Wir verdanken den Mikroorganismen also nicht weniger als unsere Existenz! Alles Leben auf unserer Erde ist aus ihnen hervorgegangen. Es ist schon tragisch: In der Schöpfungsgeschichte werden diese winzigen Lebewesen, die wir mit bloßem Auge nicht erkennen können, mit keiner Silbe erwähnt. Dabei verdienen Bakterien und Mikroorganismen eigentlich ein dickes Extrakapitel in jedem Buch, das vom Werden des Menschen handelt.

Mikroben waren die ersten Bewohner auf unserem Planeten, als dieser noch einem lebensfeindlichen Inferno glich – und nicht jener lieblichen Welt mit Rosenduft und Vogelgezwitscher, die wir heute unser Zuhause nennen. Würden Mikroben diese beinahe verstörende Widerstandsfähigkeit nicht besitzen, wäre unsere Erde eine unbewohnbare Wüstenei geblieben. Kein Mensch und kein Tier hätten hier je überlebt, und Bäume und Blumen würden nicht existieren.

Egert Keime Ullstein resonanzboden

Illustration: Mrs. Oppossum

Zugegeben, es ist eine Herausforderung, Wertschätzung für einen Organismus zu empfinden, der etwa 40-mal kleiner ist als ein menschliches Haar und zudem einen ziemlich miesen Ruf besitzt. Und doch führt kein Weg an dieser fundamentalen Erkenntnis vorbei: Alles Leben auf der Erde geht auf einen Superkeim zurück, der vielleicht schon vor 4,3 Milliarden Jahren die Bühne betrat.

Wissenschaftler gaben diesem ersten zellulären Lebewesen auf der Erde den Namen LUCA – eine Abkürzung für »Last Universal Common Ancestor« (»Letzter universeller, gemeinsamer Vorfahre«). Als er auftauchte, war die Erde vermutlich gerade erst wenige hundert Millionen Jahre alt.

Die ältesten Individuen, die jemals lebten

Amerikanische Mikrobiologen haben in Salzkristallen, die mehr als 250 Millionen Jahre alt waren, eingeschlossene Sporen von Bakterien entdeckt. Die Forscher päppelten die scheinbar erloschenen Winzlinge mit einer Nährlösung aus Zucker, Vitaminen und Spurenelementen. Die Mixtur erwies sich als wahrer Zaubertrank. Die Sporen erwachten wieder zum Leben, als wäre nichts gewesen.

Diese Bakterien sind mit einem beachtlichen Alter von 250 Millionen Jahren die ältesten Individuen, die jemals auf der Erde gelebt haben. Zum Vergleich: Der nachweislich älteste Mensch wurde gerade mal 122 Jahre alt. Umso einleuchtender erscheint, dass Mikroorganismen mit solchen Fähigkeiten auch eine Reise durch den Weltraum überleben könnten – etwa als Passagiere auf einem Meteoriten.

Selbst der Aufprall auf die Erde würde ihnen vermutlich nicht den Garaus machen. Die Resistenz von Bakterien-Sporen beruht auf einer mehrschichtigen, extrem dichten Hülle und einem nahezu auf null herunterregulierten Stoffwechsel. Diese Lebensformen trotzen großer Hitze, Trockenheit, Nährstoffmangel und selbst Antibiotika. Mikroben haben in den 4,3 Milliarden Jahren ihrer Evolution nahezu jeden Winkel der Erde besiedelt. Man findet sie noch etliche Kilometer tief in der Geosphäre; aber auch bis hinauf in die höchsten Höhen der Stratosphäre. Es gibt fast keinen natürlichen Ort auf der Erde, der steril, also keimfrei wäre (von glühender Magma vielleicht mal abgesehen). Jede Mikrobe kann schon aufgrund ihrer geringen Größe an jeden Ort der Welt gelangen. Ob sie sich dort allerdings auch wohlfühlt, überlebt und vermehrt, hängt von den jeweiligen Umweltbedingungen ab.

Das bedeutet: Wir haben durchaus Einfluss darauf, ob Mikroorganismen Kühlschrank, Bett oder Toilette in unserer Wohnung als idealen Wohnort für sich entdecken. Sich vor Mikroben schützen oder gar verstecken zu wollen ist jedoch zwecklos. Wir werden sie schlicht nie los.

Machen wir uns nichts vor: Wir wohnen bei ihnen, nicht sie bei uns!

LUCA und seine Nachfolger halten es hier auf der Erde schon gut vier Milliarden Jahre aus. Die Dinosaurier kamen gerade mal für 170 Millionen Jahre vorbei – eine vergleichsweise kurze Episode. Homo sapiens bringt es erst auf eine läppische Verweildauer von 200 000 Jahren auf der Erde.

Mikroben wie Bakterien waren also die Ersten auf der Erde. Und nicht nur das. Wenn in etwa zwei bis drei Milliarden Jahren die Sonne unseren Erdball unausweichlich verglüht, dann werden sie sicher auch die Letzten sein.


 

Das BuchEgert Keime Ullstein Resonanzboden

Erreger auf dem Smartphone, Bakterien im Küchenschwamm, Keime auf der Klobrille: Nahezu überall in unserer Umgebung lauern Mikroben und leben mitten unter uns. Stehen wir also bereits mit einem Bein im Grab, wenn das Desinfektionsspray nicht griffbereit ist? Professor Dr. Markus Egert, Mikrobiologe und Deutschlands führender Forscher auf dem Gebiet der Haushaltshygiene, wirft mit uns einen Blick durchs Mikroskop und führt durch die faszinierende Welt der Keime und Bakterien. Anschaulich und mit viel Witz erklärt er, wo die wirklich gefährlichen Erreger lauern und wie man sich vor ihnen schützt. Außerdem verrät Egert, warum man beim Klospülen besser den Toilettensitz schließt oder warum es gesund ist, wenn beim Küssen Millionen Bakterien übertragen werden. Dieses Buch macht Putzmuffel froh — und Hygienefanatiker ebenso!


„Ein Keim kommt selten allein“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage

Markus Egert

Markus Egert

Markus Egert, Jahrgang 1972, hat Biologie studiert und in molekularer mikrobieller Ökologie promoviert. Nach einem mehrjährigen Abstecher in die Hygiene- und Kosmetik-Industrie ist er seit 2011 Professor für Mikrobiologie und Hygiene an der Hochschule Furtwangen. Hier lehrt und forscht er zu Mikroflora des Menschen und seiner häuslichen Umgebung.

Foto: © Britt Schilling

Print Friendly, PDF & Email