Im echten Leben ist Michael Buchinger ein netter Typ, der seinen Nachbarn einen Kuchen bäckt und seine Fans am Flughafen persönlich begrüßt. Auf YouTube und Instagram schätzt man ihn dagegen aufgrund seiner ausgeprägten Miesepetrigkeit. Im Interview verrät der Kabarettist, wann in seinem Alltag große und kleine Lügen zum Einsatz kommen und was er von dem Trend hält, in den sozialen Medien mehr Realität abzubilden.

Michael Buchinger. Foto (c) Dominik Pichler
Habe ich ein Problem mit Freunden, bringt es beiden Parteien nichts, wenn ich ständig so tue, als wäre ich „beruflich in Shanghai“.
Lieber Michi, du sagst, du hast eine „Vorliebe für Flunkereien“. Wie oft hast du heute schon gelogen?
Heute hielten sich die Lügen tatsächlich in Grenzen, aber der Tag ist ja noch jung. Ich hatte jedoch einen Termin mit dem Vermieter meiner neuen Wohnung. Er hat ganz viel Vermieter-Slang verwendet und mich gefragt, welchen Dunstabzug ich gerne in der Küche hätte. Ich habe immer genickt und gesagt „Ja, ja, darüber habe ich mir schon seeeehr viele Gedanken gemacht!“, was natürlich gelogen war. Wer denkt schon über Dunstabzüge nach?
In deinem Buch schilderst du verschiedene Situationen, in denen du lügst. Mal sind es Notlügen vor Fremden oder Freunden und häufig geht es darum, die Menschen in deinem Umfeld nicht zu beleidigen. Wie gut fährst du mit deinen Höflichkeitslügen?
Meine Höflichkeitslügen sind fantastisch und ich wende sie aktuell besonders gerne bei meinen alten Nachbarn an. Die sind zwar super nett, aber wollen ständig, dass ich mal „vorbeikomme“, damit wir dann „ein lustiges Kartenspiel spielen“, was meiner Meinung nach ein Widerspruch in sich ist. Ich kann ihnen ja wohl kaum sagen, dass ich wirklich keine Lust habe und außerdem bald umziehe, also ohnehin keine Energie in Freundschaften im alten Wohnhaus investieren möchte, also flunkere ich einfach. „Oh nein, ich muss leider gleich los!“. So verletzte ich ihre Gefühle nicht und setze meinen Willen durch. Bei meinem Auszug backe ich ihnen dann einen Schokokuchen, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen.
Du hast ein Experiment gemacht und eine Woche lang nicht gelogen. Ertappst du dich seither häufiger beim Lügen und überdenkst Du dann, wie du deinem Gegenüber deine Meinung spiegelst?
Seit meinem Experiment halte ich auf jeden Fall nichts mehr davon, meine Freunde anzulügen. Habe ich ein Problem mit Freunden, bringt es beiden Parteien nichts, wenn ich ständig so tue, als wäre ich „beruflich in Shanghai“, damit ich mich nicht mit ihnen treffen muss und der Konfrontation ausweichen kann. Ich spreche seither direkt an, was mich stört und bin ganz begeistert, wie schnell und effizient ich dadurch Konflikte überwinden kann. Wer mir nahe steht, hat es nicht verdient, angelogen zu werden.
In „Lange Beine, kurze Lügen“ erzählst von einer Situation, in der du zwei Fans am Flughafen triffst, die total überrascht und etwas enttäuscht von deinem „wahren“ Ich sind, weil du im echten Leben „viel netter“ bist. Du sagst, du dachtest, die Leuten wüssten, dass der miesepetrige Michi nur eine Online-Persona ist. Schockiert dich dabei vor allem die Tatsache, dass deine Fans denken, dass du ein unfreundlicher Mensch bist oder die Tatsache, dass sie Strategien wie Influencer-Marketing scheinbar nicht erkennen?
Mich schockiert tatsächlich eher, dass sie das Marketing nicht erkennen. Es muss einem doch bewusst sein, dass auf Social Media nicht alles real ist. Die Leute treffen mich manchmal auf der Straße und sagen „Sag was lustiges!“, als wäre ich eine Joke-Jukebox. Natürlich habe auch ich schlechte Tage und bin nicht immer witzig, aber das zu zeigen würde mir wohl keine Likes bringen. Ich gehe immer davon aus, dass die Leute wissen, dass das alles nur Schall und Rauch ist, aber ich werde immer wieder vom Gegenteil überrascht.
Genauso ist es mit meiner Miesepeter-Persona: Sicher könnte ich Videos machen, in denen ich vollkommen authentisch bin und einfach erzähle, wie wunderschön mein Morgen war und dass ich es liebe, wenn die Vögel zwitschern, aber das wäre leider überhaupt nicht unterhaltsam und die Klickzahlen wären wohl äußerst mager. Womöglich fragen sich jetzt einige ganz schockiert: „Aber kommt es denn nur auf die Likes und Klicks an?“. Ganz ehrlich: Ja, in dieser Branche leider schon. Firmen beobachten ganz genau, wie die Kanäle der Influencer so laufen und passen Budgets entsprechend an. Also rege ich mich in meinen Videos lieber über Dinge auf, denn das polarisiert. Aber natürlich meine ich das nicht ernst.
Nun hast du dich in deinem Buch allerdings als netter Mensch geoutet, der obendrein auch noch Anti-Alkoholiker ist. Fürchtest du, dass deine Follower dich tatsächlich weniger mögen könnten, wenn sie wissen, wer du privat bist?
Ja, diese Sorge habe ich tatsächlich. Trotzdem stelle ich es mir auf lange Sicht angenehmer vor, wenn mir nur noch Leute folgen, die wissen, wie ich wirklich bin und mich trotzdem mögen. Ich habe aber lange gebraucht, um zu dieser Einstellung zu kommen. Ein Freund hat mir erzählt, dass man es mir im Gesicht sofort ansieht, wenn ich etwas nicht gut finde oder in meinen Videos etwas von mir gebe, von dem ich nicht zu 100% überzeugt bin. Ich habe ihn gefragt: „Was soll ich machen? Schauspielunterricht nehmen?“. Ich habe einfach nicht verstanden, worauf er hinauswollte. Dann meinte er „Nein!! Mach einfach nur Dinge, hinter denen du wirklich stehst!“. Das ist ein guter Rat und ich versuche, ihn zu befolgen.
Ich habe in den letzten Monaten in meinem Instagram-Feed einen Trend bemerkt, bei dem Influencer und Freunde die Bearbeitung ihrer Bilder durch Filter und Co. sichtbar machen, indem sie die Originalfotos den bearbeiteten gegenüberstellen, sich ungeschminkt zeigen, in Stories offen über Probleme sprechen und den Hashtag #mehrrealitätaufinstagram nutzen. Wie stehst du zu solchen Trends? Sind Realität und Social Media überhaupt miteinander zu vereinbaren?
Das ist ein zweischneidiges Schwert, finde ich. Einerseits finde ich diesen Echtheits-Trend natürlich super – wenn wir es irgendwie schaffen können, dass die Leute durch Instagram weniger Komplexe haben und sich besser fühlen, bin ich total dafür. Wir sollten auf jeden Fall aufhören, unsere Bilder über die Maße zu retuschieren, das bringt niemandem was.
Wiederum basiert das Erfolgskonzept vieler Instagrammer auf dem Herzeigen eines gewissen Lifestyles – das ist dieser inspirierende #goals-Faktor: Die Leute sehen jemanden, der hart arbeitet, ein schönes Leben führt und eine tolle Beziehung hat und denken sich „Das will ich auch!“. Klar, das kann zu Komplexen führen, aber spendet (mir zumindest) auch ein bisschen Hoffnung. Wenn Bloggerin Leonie CEO einer erfolgreichen Lifestyle-Firma ist, gelingt mir das vielleicht eines Tages auch. Ich persönlich brauche konkrete Ziele, auf die ich hinarbeiten kann, um mir nicht völlig sinnlos vorzukommen.
Genau so wenig, wie ich Modemagazine kaufen würde, in denen Leute zu sehen sind, die exakt so aussehen und die gleiche Kleidung tragen wie ich, glaube ich auch, dass ich Instagram-Accounts, die mich mit zu viel Realität konfrontieren, auf Dauer langweilig finde. Pickel und schlechte Tage habe ich selbst.
Vielen Dank für das Interview.
Das Interview führte Marie Krutmann.
Das Buch
In seinem neuen Buch schreibt Michael Buchinger über seine Vorliebe fürs Lügen. Er bleibt dabei seinem Genre treu und liefert eine Anekdotensammlung. Jedes Kapitel schildert eine andere unterhaltsame Geschichte, in der er gelogen hat; mal aus Notwendigkeit und mal aus Jux und Tollerei. Das beginnt bei beiläufigen bis heiteren Party-Lügen, dem „mysteriösen Virus“ während der Schulzeit, der selbst Ärzte stutzig machte, und das eine Mal, als er undercover ermittelte, um einen Einbruch in seinem Wohnhaus aufzuklären, und reicht bis hin zu seiner Magersuchtszeit im Jugendalter, als er Tagebuch führen musste, um sich zu merken, wem er was vorgeflunkert hatte.
„Lange Beine, kurze Lügen“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage