Wieso hat noch niemand zuvor einen Roman über die historische Figur des Johann Georg Faustus geschrieben? Das fragte sich Oliver Pötzsch, als er zufällig auf das Geburtshaus des sagenumwobenen Quacksalbers, Astrologen, Alchimisten und listigen Beschwörers stieß. Im Interview verrät der Autor, wie er sich beim Schreiben seiner Spielmann-Serie mit Faust auf die Reise begab und sich ihm und dem Gaukler Tonio del Moravia auf ganz besondere Weise näherte.

(c) Gerald von Foris
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Geschichte um den historischen Faust zu schreiben?
Seit meiner Jugend bin ich Faust-Fan, wie vermutlich viele andere. Umso mehr hat es mich gewundert, dass noch niemand einen Roman über die historische Figur des Johann Georg Faustus geschrieben hat. Vor einigen Jahren war ich auf Lesereise in der Gegend von Karlsruhe, als just mal wieder die Lokführer streikten. Ich saß in einer kleinen Stadt namens Bretten fest und kam nicht mehr heim. Also machte ich aus der Not eine Tugend. Ich verlängerte meinen Hotelaufenthalt, lieh mir ein Fahrrad aus und erkundete den schönen Kraichgau. Auf diese Weise kam ich in einen winzigen Ort namens Knittlingen. Es gab dort eine alte Steinkirche, einen winzigen Kirchplatz, der den Namen Platz eigentlich nicht verdient, und daneben ein Haus, auf dem eine Plakette angebracht war. Darauf stand:
Geburtshaus von Dr. Johannes Faust, 1480 bis 1540
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich immer gedacht, dass Faust nur eine Sagengestalt war. Sollte es ihn wirklich gegeben haben?
Neben Fausts Geburtshaus befand sich ein kleines Museum, das glücklicherweise offen hatte. Ich ging hinein und lernte dort einen Quacksalber, Astrologen, Wahrsager, Alchimisten, Scharlatan, weisen Doktor und listigen Beschwörer kennen, der um das Jahr 1500 gelebt und nach seinem Tod bei einem alchimistischen Experiment eine erstaunliche internationale Karriere gemacht hatte – und das, obwohl es nur eine Handvoll Quellen über ihn gibt. In diesem Moment wusste ich, dass ich einen Roman über diese deutscheste aller Sagengestalten schreiben würde.
Gibt es einen bestimmten Ort, an dem Sie ihre Romane schreiben?
Den „Spielmann“ habe ich zum größten Teil am Ammersee in einem Schäferwagen geschrieben, den mir ein Schreiner aus der Schwäbischen Alp nach meinen Vorstellungen gebaut hat. Mit alten Fenstern und Speichenrädern, ganz aus Holz, nur beim Ofen habe ich mich für Gas statt Kohle entschieden. (Faust hätte es vermutlich genauso gemacht, er war seiner Zeit ja schon damals voraus.)
Auf diese Weise überkam mich gelegentlich das Gefühl, mit Faust und seinem Lehrmeister Tonio in dessen Gauklerwagen über die alten Poststraßen des Reichs zu rumpeln, immer unterwegs, ohne festes Ziel – begleitet von schrecklichen Kreuzschmerzen. Nun, zumindest eines weiß ich jetzt, nach all den Monaten bei Schnee, Regen, Hagel und Sonnenschein in meinem winzigen, zugigen, und trotzdem sehr kuschligen Schäferwagen: So ein moderner Caravan-Camper mit Klimaanlage, Chemie-Klo und vier Kochplatten birgt durchaus gewisse Vorteile. Fausts Geist hätte ich jedoch darin nie gefunden.
Hat Ihre Henker-Saga Sie beim Schreiben beeinflusst?
Ein paar düstere Elemente sind sicher eingeflossen, aber im Grunde war ich ganz froh, mal was anderes zu schreiben. Die Scharfrichter-Familie Kuisl, die ja meine Ahnen sind, und ich – wir brauchen einfach mal eine Pause voneinander. Da geht es uns wie den meisten Familien.
Welches ist Ihre Lieblingsfigur im „Spielmann“ und warum?
Das ist sicher Faust selbst. Dieses Faustisch-Grüblerische, nie Zufriedene, das man den Deutschen ja allgemein nachsagt, ist ein wesentlicher Charakterzug von mir. Fragen Sie meine Frau, die hat gelegentlich darunter zu leiden …
Worauf darf man sich im 2. Teil der Faustus-Serie freuen?
Ich will noch nicht zu viel verraten, aber Fausts Reise ist sicher noch nicht zu Ende. Wenn man den historischen Quellen glaubt, hat er sich ja bei einem alchimistischen Experiment in Staufen im Breisgau in die Luft gejagt. Inwieweit der Teufel da seine Hände mit im Spiel hatte, und ob Faust wirklich starb … Wer weiß? Wer einen Pakt mit dem Teufel schließt, muss mit allem rechnen.
Vielen Dank für das Interview.
Das Buch
1486: Knittlingen ist ein ruhiger Ort im Kraichgau. Bis zu dem Tag, als die Gaukler in die Stadt kommen – und plötzlich Kinder verschwinden. Johann Georg, genannt „Faustus“, der Glückliche, kümmert das nicht. Ihn interessiert nur der Spielmann und Magier Tonio del Moravia: Von dem blassen Mann mit den stechend schwarzen Augen, der Johann eine große Zukunft als Gelehrter voraussagt, geht eine seltsame Faszination aus. Johann schließt sich ihm an, gemeinsam ziehen sie durch die deutschen Lande.Der junge Mann saugt alles auf, was Tonio ihm beibringt. Doch von Tonios Lehren geht eine ungeahnte Gefahr aus, und schon bald beschleicht Johann das Gefühl, dass sein Meister mit dunklen Mächten im Bunde steht. Mächte, die Johanns ganzes weiteres Leben bestimmen werden…
„Der Spielmann“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage