Saša Stanišić: Salma Salem lacht in Damaskus

Was wollen Autor*innen aus Krisengebieten? „Weiterschreiben“! Annika Reich und Lina Muzur versammeln in ihrer Anthologie „Das Herz verlässt keinen Ort, an dem es hängt“ literarische Texte von Geflüchteten und deren deutschsprachigen Tandempartner*innen. „Salma Salem lacht in Damaskus“ nennt Saša Stanišić den Text über sein Gespräch mit der Syrerin, deren richtigen Namen er nicht kennt. Beide schreiben über den Krieg und wissen, „wie fantastisch das Lachen ist, in einer Welt, in der auf nichts Verlass ist.“

(c) Fadi Al Hamwi / +90 verdrehte Hochzeit, Mixed Media auf Leinwand, 300 X 200 cm (2010)

Salma Salem lacht in Damaskus. Es gibt also noch etwas, das zum Lachen ist in Damaskus, in Salmas Leben, ich kenne Salmas richtigen Namen nicht. Salma Salem lacht in Damaskus, unser Gespräch dauert eine Stunde dreißig, sie lacht in der Zeit zwei Mal, und ich bin zwei Mal erleichtert, und ich schäme mich für meine Erleichterung, ich schäme mich, dass ich denke, es gibt also noch etwas, das zum Lachen ist in Damaskus.

DIESER PERMANENTE KACKIDENTITÄTSSTRESS MIT DEM ZUFALL DER HERKUNFT

Salmas erstes Lachen ist ein Kullern der Stimme auf den letzten Sätzen einer Anekdote hinab, die sie erzählt, weil ich sie nach dem Lachen gefragt habe, ob es noch existiere im Prekären, in den Ruinen, und trotz des omnipräsenten Mordens. Ich erinnere mich an die Anekdote nicht mehr, weiß nur noch, es ging um Salmas Jugend in Friedenszeiten, ich erinnere mich aber genau, wie das Lachen klingt, an Salmas Freude darüber, dass einmal so vieles so gut und so nötig und so leicht war, erinnere mich, weil ich mich des genauen Moments der Stille erinnere, da Salma wieder ernst wird und kurz nichts sagt und der Übersetzer kurz nichts sagt und ich kurz nichts sage, alle drei in stummer  Übereinkunft, dass wohl genau das, dieses Lachen, das Einzige sein dürfte, woran es sich festzuhalten lohnt in diesem Gespräch, als müsste das Gespräch jetzt eigentlich beendet werden, damit vor allem das Lachen in Damaskus bleibt, ein Lachen, das nicht die Gegenwart meint und nur in der Vergangenheit  gültig zu sein vermag, vielleicht.

(c) Luna Al-Mousli / Ohne Titel, Mixed Media (2018)

Ich erinnere  mich auch an meine dumme  Erleichterung wegen des Lachens. Meine dumme Erleichterung, und wie ich Stunden vor dem Gespräch mit Salma vor meinem dummen Computer in meinem dummen Wohnzimmer bei einer Tasse Kaffee aus Kolumbien versuche, verlässliche Infos über den Alltag in Damaskus zu recherchieren, und ich erinnere mich an Salma, die irgendwann sagen wird, vergiss das alles, auf nichts ist Verlass, nicht einmal auf mich, das war nach dem ersten Lachen, worauf ich dumm dachte: Wie fantastisch ist das Lachen in einer Welt, in der auf nichts Verlass ist.

(c) Batoul Sedawi / Ohne Titel, Mixed Media (2018)

Als Salma Salem das zweite Mal lacht, stelle ich mir vor, wie sie wohl aussieht. Es kommt einfach so, ich weiß, dass das mit nichts zu tun hat, was wichtig ist für uns beide, mit nichts, was ihre Sprache und Geschichten vermitteln, mit nichts von dem, was sie erzählen will, aber auch das zweite Lachen ist sofort derart präsent, diesmal warm und schön, als würde es selbst eine eigene Stimme und Erzählung sein, als wäre Salma Salems Lachen eine dritte Gesprächspartnerin in unserer Unterhaltung, eine herzliche, charmante und in der Angst noch selbstbewusste, eine, die nicht wie Salma und ich über unsere Kriege berichten will, über diesen PERMANENTEN KACKIDENTITÄTSSTRESS MIT DEM ZUFALL DER HERKUNFT, sondern eben auch über Salma, über die kurzen Augenblicke der Selbst- und Weltvergessenheit, der minimalen Albernheit, des schönen Witzes in Gezeiten der Gewalt. Ich kann gar nicht anders, als mir die Person, die lacht, vorzustellen, das Lachen macht sie für mich erst recht sichtbar in dieser Welt, in der sie aus Furcht sogar ihren Namen unsichtbar machen muss, einer Welt, die Salma in ihren Texten ohne weiteres als »Hölle« bezeichnet, in der es »nur noch Tötende und Getötete gibt«. Salma war für mich bis dahin nur als Literatur sichtbar, eine mutige, nostalgische, kraftvolle Stimme, und jetzt also meine vergebliche Erleichterung vor der Kulisse ihrer Erinnerung und Freude, meine vergebliche Vorstellung, das Lachen könne das sein, was bleibt.

(c) Moshtari Hilal / Sieben Gesichter, Tusche auf Papier (2018)

Salma Salem weiß, dass sie gerade lacht. Ihr zweites Lachen erzählt von Wohltaten unter den Armen, unter denen, die nichts mehr haben, aber trotzdem geben, die alles verloren haben, aber trotzdem etwas finden, das sie teilen können, und das, ihre Güte, freut Salma, gute Geschichten freuen Salma, und beides – Salmas Geschichten und ihr Lachen – erzählen von dem, was in der Radikalität des Krieges und trotz der Radikalität der Furcht entstehen kann: von den gemeinsamen Festen, von dem Miteinander der Ethnien, von der Lust am Leben. Die Hölle ist dadurch wohl kaum besser ertragbar, aber wohl besser begreifbar, Salma Salem lacht in Damaskus. Dann legen wir auf, und ich lese einen ihrer Texte erneut, ich hoffe, das Lachen wiederzufinden, ich lese noch mal.

 

Der Text und die Illustrationen stammen aus der Anthologie „Das Herz verlässt keinen Ort, an dem es hängt“.


Das Buch 

Das Herz verlässt keinen Ort, an dem es hängt_Ullstein_resonanzbodenWeitermachen, Weiterreden, Weiterschreiben. Das ist der dringliche Appell, den die Texte dieses Bandes senden. Sie bilden einen Dialog über künstlerisches Schaffen im Exil ab, den die Autorinnen und Autoren mit namhaften deutschen Schriftstellerinnen und Schriftstellern — unter ihnen Nino Haratischwili, David Wagner und Saša Stanišić — führen.

Alle hier genannten Autorinnen und Autoren haben eines gemein: Sie alle leben in Krisengebieten oder mussten ihre Heimat verlassen. Nun wollen sie vor allem eins: weiterschreiben. In ihren Gedichten und Prosatexten geht es um Erinnerung und Vergegenwärtigung, Häuser und Wolfsherzen, Verlust und Identität, Liebe und Begehren, Kühlschränke und Küchentische, Hoffnungen und Enttäuschungen. Alle Texte bieten berührende Einblicke in die Biografien der Autorinnen und Autoren und ihre Vorstellungswelten, die sie mit ihren Tandempartern diskutieren.

„Das Herz verlässt keinen Ort, an dem es hängt“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage

 

Lina Muzur

Lina Muzur

Lina Muzur wurde 1980 in Bosnien Herzegowina geboren. Die stellvertretende Verlagsleiterin von Hanser Berlin ist Teil des Redaktionskollektivs „10nach8“ bei Zeit Online, wo sie selbst Kolumnen schreibt.

Foto: © Christian Werner

Annika Reich

Annika Reich

Annika Reich wurde 1973 in München geboren, sie lebt in Berlin. Die Autorin schreibt Romane und Kinderbücher im C. Hanser Verlag und Kolumnen für „10nach8“ auf Zeit-Online.

Foto: © Jenny Endom

Saša Stanišić

Saša Stanišić

Saša Stanišić wurde 1978 in Višegrad in Bosnien-Herzegowina geboren und lebt seit 1992 in Deutschland. Stanišić ist Autor zweier Romane und einer Kurzgeschichtensammlung. Er lebt und arbeitet in Hamburg.

Foto: © Katja Samann

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