Alles steht in den Startlöchern für die Buchmesse in Frankfurt, zahlreiche Neuerscheinungen im Bereich deutschsprachiger und internationaler Literatur wollen entdeckt werden. Wir haben die Romane zusammengetragen, die unseren Kolleginnen der Presseabteilung besonders am Herzen liegen. Mit dabei im dritten Teil unseres literarischen Herbstes: Ada Dorian, Ilona Jerger, Francoise Sagan und Shirley Hazzard.
Ilona Jerger: „Und Marx stand still in Darwins Garten“
Ilona Jerger inszeniert in ihrem Debütroman die fiktive Begegnung zweier Denker des 19. Jahrhunderts, die sich im realen Leben nie begegnet sind. Zwei auf den ersten Blick sehr gegensätzliche Charaktere, deren Ideen die Welt nicht nur verändert haben, sondern bis heute relevant geblieben sind und sich in dem Begriffspaar Evolution und Revolution manifestieren. Was hätten sich Charles Darwin und Karl Marx, die nur wenige Meilen voneinander entfernt wohnten, zu sagen gehabt? In intimen Gesprächen mit dem Hausarzt Dr. Beckett treten die charakterlichen Eigenheiten, Grundüberzeugungen und Prägungen der zwei Männer hervor und lassen gleichzeitig überraschende Verbindungen in ihrem Denken erkennen. Das Ringen um Gott ist insbesondere vor dem Hintergrund der ursprünglich religiösen Überzeugungen beider ein neuralgischer Punkt. Der Roman gipfelt schließlich in einem gemeinsamen Abendessen von Darwin und Marx – ein höchst vergnüglicher und kauziger Wettstreit zweier materialistischer Ideologien.
Bei diesem Debüt handelt es sich um einen klugen Wissenschaftsroman, der Darwin und Marx in ihrem privaten Umfeld zeigt, das wirklich Revolutionäre ihres uns heute so selbstverständlichen Denkens vor Augen führt und dabei noch großartig zu unterhalten weiß – was braucht es mehr?
Francoise Sagan: „Bonjour tristesse“
Dieser Text ist ebenso legendär wie die Berühmtheit, die er seiner Schöpferin verlieh. Mit knapp 19 Jahren schrieb Francois Sagan diese Geschichte einer Rebellion in nur wenigen Wochen nieder, die bis heute nichts an Frische eingebüßt hat. Der Plot ist rasch erzählt:
Cécile ist ein Teenager, launisch und ein wenig verwöhnt. Gemeinsam mit ihrem Vater und Elsa, einer seiner zahlreichen Geliebten, verbringt sie die Sommerferien an der Côte d‘Azur. Die unbeschwerte Zeit endet plötzlich, als sich die kluge Anne, eine Freundin Céciles verstorbener Mutter, zu ihnen gesellt und alle Leichtigkeit und Freizügigkeit der letzten Wochen mit erzieherischer Strenge zu beenden droht.
Als Céciles Vater Elsa verlässt, um Anne zu heiraten, schmiedet Cécile einen Plan – mit tragischen Konsequenzen.

Meike Blatnik (Unterhaltende Belletristik, Bewusster Leben)
Mich beeindruckt, wie sehr dieser klar und verführerisch leicht erzählte Text über die Ereignisse eines vor Hitze flirrenden Sommers nach wie vor berührt. Die Figur der aufbegehrenden Cécile in all ihrem pubertierenden Egozentrismus ist bestechend. Sie verkörpert die Stimme einer damals heranwachsenden Generation, die nicht mehr und nicht weniger als die Selbstbestimmung der Frau verlangt. Der Kühnheit, mit der Francoise Sagan eingeschliffene (bürgerliche) Denk- und Rollenmuster scheinbar mühelos in Frage stellt, taugt nach wie vor zum Vorbild. Darum hat dieser Text nichts an Kraft und in seiner treffenden Erzählweise nichts an Schönheit verloren und sollte auch heute unbedingt gelesen werden.
Shirley Hazzard: „Transit der Venus“
Shirley Hazzard erzählt in ihrem Roman Transit der Venus die Lebensgeschichte zweier australischer Schwestern im England der Nachkriegszeit. Während Grace Bell nichts mehr als ein Leben in den vorgegebenen Bahnen der High Society erstrebt, geht die unabhängige, herbere Caro einen anderen, komplizierteren Weg. Hazzard malt ein treffendes, atmosphärisches Bild der Nachkriegszeit und spart in ihrem Blick auch Politik, Kriege und Diktaturen nicht aus.

Christine Heinrich Leitung Presse und Kommunikation (Literatur und allgemeines Sachbuch)
Aber das Einmalige ist für mich die Sprache dieser Autorin. Viele Sätze würde man sich gern notieren, um sie wieder und wieder zu lesen. Hazzard findet Bilder und Vergleiche für Gefühle, Gedanken, Beschreibungen und Stimmungen, wie ich sie selten gelesen habe – oftmals auf unerwarteten Abwegen, die sich, wie eine Ellipse, am Ende zu einer vollkommenen, schönen Symmetrie fügen.
Ada Dorian: „Schlick“
Ada Dorians neuer Roman heißt Schlick – Schlick wie glitschige Ablagerung oder wie schlammiger Untergrund. Sinnbildlich verbindet der Schlick die beiden Hauptfiguren des Romans, zwei Frauen, die mit hundert Jahren Abstand im selben Haus leben: ihr Feststecken, die Hindernisse, die sie überwinden müssen und das Dunkle in ihnen.

Susann Brückner (Literatur und allgemeines Sachbuch)
Die Sujets im Roman reichen von den Verletzungen, die der Erste Weltkrieg in Familien gerissen hat, über die Frage danach, wieviel Ungesagtes eine Familie aushalten kann, bis hin zu den Themen Identität und Mutterschaft. Der Ton ist melancholisch-poetisch und eingängig.Mir hat das Emanzipatorische dieses Texts sehr gefallen. Die beiden Heldinnen sind echte Charaktere, vielschichtig und leidenschaftlich, die allen widrigen Umständen zum Trotz selbstbestimmt leben und lieben.
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