In unserer Kolumne „Was wir lesen wollen“ fragen wir unsere Autor*innen, welche Bücher sie lesen, wenn sie nicht gerade an eigenen Texten arbeiten. Diese Woche werfen wir einen Blick auf die persönliche Book Bucket List von Ilona Jerger.
Es ist Januar und in meinem Flur herrscht Betriebsamkeit. An drei Wänden. Staubwolken werden aufgewirbelt, vor allem in zweieinhalb Metern Höhe, wo ich sonst selten bin; nun stehe ich auf einer wackligen Leiter. Meine Münchner Schreibwohnung ist mit Büchern zugewuchert und weil die üblichen Verfahren an ihre natürliche Grenze gekommen sind (doppelte Reihen, hintereinander, übereinander, querlegen, umfallende Stapel) muss ich aussortieren. Gestern habe ich den ersten Korb zur Papiertonne getragen. Der Inhalt eines weiteren Korbs wartet unten im Haus auf lesende Nachbarn. Wenn das Prozedere (in jedes Buch reinschnuppern, mich festlesen, in Widmungen versinken) so weitergeht (ein Regalmeter in vier Tagen), komme ich nicht dazu, an meinem nächsten Roman zu arbeiten. Was ich mir für 2019 wünsche? Platz für neue Bücher!
Diese drei Bücher möchte ich in 2019 lesen:
„Der Apfelbaum“ von Christian Berkel

Ullstein
Berlin 1932: Sala und Otto sind dreizehn und siebzehn Jahre alt, als sie sich ineinander verlieben. Er stammt aus der Arbeiterklasse, sie aus einer intellektuellen jüdischen Familie. 1938 muss Sala ihre deutsche Heimat verlassen, kommt bei ihrer jüdischen Tante in Paris unter, bis die Deutschen in Frankreich einmarschieren. Während Otto als Sanitätsarzt mit der Wehrmacht in den Krieg zieht, wird Sala bei einem Fluchtversuch verraten und in einem Lager in den Pyrenäen interniert. Dort stirbt man schnell an Hunger oder Seuchen, wer bis 1943 überlebt, wird nach Auschwitz deportiert. Sala hat Glück, sie wird in einen Zug nach Leipzig gesetzt und taucht unter.
Kurz vor Kriegsende gerät Otto in russische Gefangenschaft, aus der er 1950 in das zerstörte Berlin zurückkehrt. Auch für Sala beginnt mit dem Frieden eine Odyssee, die sie bis nach Buenos Aires führt. Dort versucht sie, sich ein neues Leben aufzubauen, scheitert und kehrt
zurück. Zehn Jahre lang haben sie einander nicht gesehen. Aber als Sala Ottos Namen im Telefonbuch sieht, weiß sie, dass sie ihn nie vergessen hat.
„SPIELEN“ von Karl Ove Knausgård

Luchterhand
Nach „Sterben“ und „Lieben“ nun „Spielen“ – ein Roman über eine Kindheit, der eine Welt beschreibt, in der Kinder und Erwachsene parallele Leben führen, die sich nie begegnen. Alles beginnt mit einer traditionellen Familie: Vater, Mutter und zwei Jungen, die nach Südnorwegen ziehen, in ein neues Haus in einer neuen Siedlung. Es sind die frühen Siebzigerjahre, die Kinder sind klein, die Eltern jung, die Zukunft scheint offen und verheißungsvoll. Aber irgendwann beginnt sie sich zu schließen, irgendwann wird das, was mit großen Hoffnungen begann, klein und festgelegt. Was ist passiert? Wie konnte es dazu kommen?
„Die verlorenen Wörter“ von Robert Macfarlane und Jackie Morris

Matthes & Seitz
Eisvogel, Brombeere, Zaunkönig – was, wenn die Wörter für die lebendige Natur unbemerkt aus der Sprache, den Märchen und Geschichten, der Wirklichkeit verschwänden? Was wir nicht benennen, können wir nicht wertschätzen. Dieses Buch ist der Gegenzauber zu Beton, Feinstaub und Entfremdung. Die prächtigen Aquarelle von Jackie Morris weisen den Weg in einen geheimen Garten, zu dem jeder den Schlüssel besitzt. Glockenblume, Efeu und Lärche harren gleich vor unserer Haustür ihrer Neu- und Wiederentdeckung. Golden strahlt der Löwenzahn auf dem Fußballplatz, neugierig betrachtet uns der Star von seiner Ehrenloge auf dem Telefonmast. Robert Macfarlanes von Daniela Seel ins Deutsche gebrachte Verse erkunden zart und zugleich mit spielerischer Wildheit die kapriziösen Blätter des Farns, den verführerischen Glanz einer frisch aus der Hülle gebrochenen Kastanie und die majestätische Ruhe des Reihers, sie steigen mutig hinab ins Nest der Schlange und betten sich auf den rauen Kissen der Heide. Und irgendwo dort, zwischen satten Farben und traumversunkenen Zeilen, entdecken wir sie vielleicht – die verlorenen Wörter.
Das Buch
England, 1881. Zwei bedeutende Denker leben nur wenige Meilen voneinander entfernt: Charles Darwin in einem Pfarrhaus in Kent und Karl Marx mitten in London. Beide haben mit ihren Werken die Welt für immer verändert, beide wissen es und sind stolz darauf. Und doch leiden sie unter Schlaflosigkeit und Melancholie: Darwin hat den Schöpfer abgeschafft, fühlt sich missverstanden und forscht inzwischen still am Regenwurm. Marx wartet auf die angekündigte Revolution, grollt der Welt und kommt über Band 1 von Das Kapital nicht hinaus. Eines Abends begegnen sie sich bei einem Dinner…
„Und Marx stand still in Darwins Garten“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage