Hamburg – durch Hafencity und Luxuswohnungen sind Teile der Stadt ein Paradebeispiel für Gentrifizierung. Doch glücklicherweise gibt es auch noch Ecken, die sich bislang erfolgreich gegen Investoren und die Mietpreisexplosion wehren konnten. Soluna Bach hat uns einige von ihnen verraten.
von Soluna Bach
Alles fliesst in Hamburg, nicht nur die Elbe. Seitdem der Kosten-Tsunami namens Elbphilharmonie so gut wie überstanden ist – für Postraumata gibt’s allerdings noch keine Entwarnung – scheinen alle Dämme gebrochen. Geld strömt in Bauprojekte, die Innenstadt wird mit Luxus geflutet.
Exklusiv heisst das Zauberwort. Auch ohne kleinstes Latinum begreift man, was das bedeutet: Ausschluss. Nicht alles für jeden.
Nun soll das Alsterhaus, Hamburgs Top-Kaufhaus am Jungfernstieg, für 80 Millionen saniert und noch wunderschöner werden. Man staunt. Denn das Alsterhaus wurde ja vor einigen Jahren erst komplett umgebaut und ist bereits reichlich edel.
Doch. Da geht noch was auf der nach oben offenen Richterskala für Noblesse und Luxus, meinen die neuen Besitzer. Ein Yves Saint Laurent-Department for example. Aber für wen?
Klar, es gibt eine Menge wohlhabender Menschen in Hamburg, aber wie viel YSL müssten die jeden Tag kaufen, um so den superlativen Laden am Laufen zu halten?
Man setzt auf Touristen. Dabei ist der Zug mit den reichen Reisenden aus Russland und China doch angeblich abgefahren. Bleiben die Musical-Touristenfamilien aus Mönchengladbach, Niederroda und Ludwigslust. Die werden aus dem Staunen nicht heraus kommen.
Ganz Hamburg also im Rausch neuer Prächtigkeit. Ganz Hamburg? Nein, keine 600 Meter vom Neuen Wall entfernt wird Widerstand geleistet.
Das Gängeviertel ist der letzte Rest eines Armeleute-Quartiers aus dem 18. Jahrhundert. Ein klitzekleines Areal, mit Café, Theater, Ausstellungen. Alles provisorisch und rumpelig. Eine Enklave alternativen Lebens und zwar in bester Innenstadtlage – kaum zu glauben.
Eigentlich war das Gängeviertel 2009 schon zum Abschuss freigegeben, verkauft an einen Investor.
Der selbstverständlich nichts Gutes im Schilde führt. Die im Viertel lebende Künstlerszene wehrte sich massiv. Mobilisierte die hanseatische Bevölkerung und liess nicht locker, bis die Stadt das Areal zurückkaufte, Erhaltung versprach, den Künstlerfreiraum duldet. Vorerst.
Ganz so entspannt wird es sicher nicht ewig weitergehen. Aber jetzt ist es erstmal so.
Stadt für alle, hier gilt´s. Immerhin hat die „Komm in die Gänge“- Genossenschaft im Gegensatz zu anderen Besetzungsprojekten viele hochseriöse und prominente Unterstützer.
So kompatibel sind Rote Flora und Hafenstraße nie gewesen. In der Bevölkerung gab es eher weniger Verständnis für die Schlachten, die dort geschlagen wurden.
Ja, es war heftig damals, diverse Politiker warfen sich ins Gemenge, wurden aufgerieben, vernichtet. Irgendwann haben „die da oben“ verstanden. Dass eine Stadt wie Hamburg nicht nur Musicals und gefegte Boulevards braucht, sondern dass auch stete Reibung den Glanz erhöhen kann.
Die besetzten Häuser an der Hafenstraße wurden Stiftung und Wohnprojekt und seelenruhig. Die Flora gilt seit ’89 als besetzt, aber das Gebäude gehört inzwischen wieder der Stadt, die eine Nutzung als alternatives Stadtteilzentrum duldet. Regelmäßig zum 1. Mai taucht der schwarze Block aus irgendeiner Versenkung auf und macht reichlich Putz. Reine Folklore. Was bleibt, ist Sachschaden. An allen anderen Tagen des Jahres ist das Viertel fest in der Hand von konsum-freudigen Partyspaßmenschen.
Auch das noble Eppendorf wirkt bedroht. Weniger von Luxus, Moden und Gentrifizierung – daran ist man hier gewöhnt – sondern von Mittelmäßigkeit.
Systemgastronomie, Filialkettenläden machen sich breit. In jede Baulücke wird ein Wohnklotz gezwängt. Jeder einzelne ist qm-effizient und offenbar nach Entwürfen ehemaliger Plattenbau-Architekten gebaut. Und wenn keine Baulücke mehr da ist, wird rasch eine gemacht.
Die Initiative „WIR sind Eppendorf“ will zwar nicht die Welt retten, aber das Dorf. Die Gruppe ist seit 2012 aktiv und hartnäckig und hat zumindest einen Investoren-Traum platzen lassen: Die sogenannten Terrassenhäuser in der Hegestraße sollen als bezahlbarer Mietraum erhalten bleiben.
Ebenfalls in der Hegestraße, Ecke Haynstraße, kann man die allerandauerndste Hausbesetzung Hamburgs bewundern. Seit 1970 wird hier gegen Spekulanten gekämpft. Das Jubiläum „50 Jahre Häuserkampf“ steht also vor der Tür. Was bedeutet, dass es in diesem imposanten Jugendstilbau Aufrechte gibt, die quasi ihr ganzes Leben der Erhaltung von Mietraum, dem Führen von Prozessen und dem Füllen von Aktenordnern verbracht haben. Und – lotta continua, auch im Rentenalter.
Vom nahen Klosterstern könnte man mit der U 1 in wenigen Minuten zum Meßberg fahren, zu den Deichtorhallen rüber spazieren, die aber links liegen lassen. Über eine solide Eisenträgerbrücke, unten Hafenwasser, oben Bahntrasse, erreicht man das Oberhafenviertel.
Ein Areal, das bislang in Ruhe gelassen wurde. Solange sich der Hafencity-Rausch Richtung Elbphilharmonie fokussiert, ist hier noch Abenteuer möglich. Es beginnt gleich hinter der Oberhafenkantine. Eine Winz-Kneipe ist das, schräg im wahrsten Wortsinn. Sie steht auf wegsackendem Grund und mittlerweile sicher in allen Reiseführern. Ist sich aber trotzdem treu geblieben. Hier wird gegessen, was schon immer auf den Tisch kam: Labskaus und Hack-Steak à la Meyer.
Dahinter wird es ein bisschen industriebrachig und das ist auch gut so. Zwischennutzung heisst das Zauberwort. In einigen der ehemaligen Lagerhallen, die früher Anbindung an Hafen und Bahnhof hatten, sind Büroräume für kleine Agenturen, Designer oder Architekten entstanden. Andere befinden sich im absoluten Rohzustand.
Irgendwo dazwischen – der „Jazzraum“, neue Heimat für eine alte Liebe.
Die größte Fläche beansprucht die „Hanseatische Materialverwertung“. Hört sich spannend an, oder? Ist es auch. Hier kann man so Großartiges erwerben, wie den ehemaligen Eingangsschlund einer Geisterbahn. Wem dafür zuhause schlicht und einfach der Platz fehlt, sollte den Laden von Johanna Schulz durchforsten. Ihr wunderbares Sammelsurium von Wohnaccessoires mit Vergangenheit lagert am Gelände-Ende.
Dahinter ist dann schon irgendwie Elbe, irgendein Seitenarm zumindest. Und hier könnte man jetzt theoretisch sein Boot zu Wasser lassen und die paar Kilometer nach Entenwerder rüberschippern.
Da drüben gibt es noch was Moderates zum Thema Stadtentwicklung.
Der Unternehmer Thomas Friese und seine Kinder wollen kein Haus, sie besetzen lieber einen Ponton. Die Familie Friese verdient Geld. Reichlich vermutlich. Mit Klamotten, wie sie sich längst nicht jeder leisten kann. OMEN ist elitär, teuer, aber langlebig, sympathisch unglamourös. Entworfen und produziert und verkauft wird in Hamburg.
Friese hat visionären Stil und so etwas wie ein kreatives ADHS-Syndrom. Seine Idee, den Ponton im Naturpark Entenwerder zu nutzen, als Café in einem ausrangierten Kunstcontainer und als Segelschule für Kinder sozial schwacher Familien, kommt prima an.
Der goldene Tower – na ja. Hätten wir jetzt nicht unbedingt gebraucht, ist aber hübsch.
Ehrlich gesagt ist der Ponton kein wirklicher Geheimtipp mehr. Am entspanntesten genießt man die Entenwerder Lässigkeit an Wochentagen. Oder in Wintersonne. Dann ist Hamburg an dieser Stelle eine echte Naturschönheit. Man schaut aufs Wasser, alles fliesst. So muss es sein. Immer.
Das Buch
Hilly, Mitte vierzig, hervorragendes Bindegewebe, bestens verheiratet, zwei Kinder und gut im Job, ist genau da, wo sie nie hinwollte: in der Wohlstandsfalle. Umgeben von Menschen, die sie nie kennenlernen wollte, und Dingen, die sie nicht braucht. Die zufällige Begegnung mit einer Freundin und Kampfgefährtin aus vergangenen Hausbesetzertagen ist für Hilly das Zeichen zum Ausbruch. Zurück zu den alten Idealen. Dabei verliebt sie sich nicht nur in einen anderen Mann, sondern auch in eine aufregende Frau. Aber was, wenn alles ein Irrtum war und sie im neuen alten Leben auch eine Fehlbesetzung ist.
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Herzkammeranarchie auf den Seiten der Ullstein Buchverlage
Die Herzkammeranarchie–Microsite