Der Lektor und sein Winzer

von Christoph Steskal

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31.8.2014: Nun bin ich tatsächlich unterwegs nach Briedel ‒ es ist immer wieder erstaunlich, in welche Gefilde man von Büchern und ihren Autoren gelockt wird. Der Zug aus Koblenz rumpelt vorbei an Fachwerkhäusern, donnert durch Tunnels, überholt unzählige vollbesetzte Touristendampfer, die Cochem und seine Kuchentheken ansteuern. Links die Mosel, rechts nur Weinberge, so steil, dass man sich fragt, wieso die Winzer nicht ständig in den Fluss purzeln, wenn sie da oben zugange sind. Haben die unterschiedlich lange Beine? Seilen sie sich an?

Die letzten Wochen haben Achim Reis und ich uns schriftlich mit Rebschnitt und Presstechnik, den Wonnen der Weinherstellung und den Unbilden der Natur beschäftigt und noch mit vielem anderen, was in seinem Buch steht. Auch eine Flasche seines köstlichen edelherben Blauschiefer-Rieslings habe ich schon geleert und sein Manuskript im Zuge dessen mit dem einen oder anderen launigen Kommentar versehen. Er hats mir nachgesehen. Nun bin ich gespannt, wie der Schauplatz all dessen aussieht, was im Buch beschrieben wird.

 

13.07 Uhr: Ankunft in Bullay. Während der Zug Richtung Trier weiterrauscht, verlasse ich den Bahnhof. Da steht Reis schon und winkt mir zu. Sein VW-Bus lässt erahnen, dass damit schon zig Weinkisten an viele Kunden transportiert wurden. Die Fangemeinde wächst beständig. Kein Wunder: Allein bei der diesjährigen Berliner Weintrophy hat dieses kleine Weingut zehn Medaillen abgeräumt.

„Reisfeineweine.de“ heißt die Homepage, und fein ist auch der Nieselregen, der sich während unserer Fahrt nach Briedel übers Moselland ersprüht. Zum Unbill des Winzers . „Nun werden auch meine Trauben immer fetter“, grummelt Reis, „der Regen verpasst ihnen zu viel Volumen.“  Kleine Beeren sind ihm lieber, die haben einfach mehr Aroma, sagt er. Kann man selbst als Laie nachvollziehen, Geschmack geteilt durch Masse – oder so …

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15.00 Uhr: Die Straßen sind leer, denn die Leute sitzen, wie es sich hier gehört, nun zu Tische bei Kaffee und Kuchen. Reis und ich aber stapfen die Mosel entlang, mit Blick auf einen Teil seiner Weinberge. „Briedeler Herzchen“ leuchtet mir vom anderen Ufer entgegen. Reis erklärt mir, wieso sich aus der Ferne die Farben der Rebstöcke unterscheiden, weshalb die einen Reihen enger und die anderen lichter erscheinen, wieviel Handarbeit so eine Steillage immer noch erfordert und wie sich jedes Mehr an Aufwand in der Qualität niederschlägt. Von Letzterem kann ich mich jederzeit überzeugen, denn natürlich hat Reis eine Flasche Riesling im Rucksack und lässt keine Gelegenheit aus, uns daraus einzuschenken, wann immer wir eine Pause einlegen. Es sind einige Pausen. Viele meiner Fotos geraten etwas schief. Missgünstige Kollegen werden sich ihren Teil denken, wenn sie die Bilder sichten, aber was kann ich dafür, wenn ich ständig auf unebenem Untergrund den Selbstauslöser bemühen muss, weil kein Mensch kommt, um uns gemeinsam zu knipsen? Wo sind die Touristen, wenn man sie braucht?

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16.00 Uhr: Die Flasche ist fast leer, und solchermaßen beschwingt biegen wir irgendwann von der Mosel kommend hinein in die Dorfmitte, wo schon die Vorbereitungen aufs Weinfest zu sehen sind. Ohne Weinfest geht hier nichts, das ist wie Karneval in Köln.

Reis zeigt mir eine Traube, gespickt mit Beeren, die wegen der Regenfälle der letzten Tage in der Tat dermaßen zugelegt haben, dass sie schier aneinanderkleben. Wehe, eine davon fängt an zu faulen. „Deswegen werde ich die nächsten Tage durch meine Wingerte gehen und jede einzelne Beere rauszupfen, die nicht mehr gut aussieht.“ Er meint das ernst. Ich blicke auf die Hügel ringsum. Kein Sisyphus würde sich das antun. „Klar macht das nicht jeder Winzer“, fährt er fort. „Aber genau wegen solcher Details gibt es eben Weine, die gut oder sogar sehr gut sind, und welche, die man … irgendwie  trinken kann.“

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17.00 Uhr: Riesling in Ehren, aber ein frischer gedeckter Apfelkuchen ist auch nicht zu verachten. Großmutter Reis hat gebacken, und seine Familie hat uns zum Glück ein paar Stücke übriggelassen. Ich würde gern noch länger verweilen, aber es hilft ja nichts, am kommenden Tag muss ich wieder in Berlin sein, und das liegt bekanntlich am anderen Ende der Republik. Bullay, Koblenz, Köln liegen als Stationen noch vor mir – uff. Reis fährt mich zurück zum Bahnhof und entlockt dem Transporter dabei erstaunliche Beschleunigungswerte, denn wir sind etwas knapp. Doch als ich schließlich im Zug sitze, habe ich das Gefühl: Die Fahrt hierher hat sich gelohnt. Genauso wie unsere Arbeit am Buch.


 

Achim Reis

Achim Reis

Achim Reis, geboren 1971, war früher Lehrer, lebte in Berlin und zählt heute zur ersten Riege deutscher Winzer. Sein Weingut in Briedel an der Mosel wird im Gault Millau empfohlen und erringt regelmäßig nationale und internationale Auszeichnungen.

Foto: © Wolfgang Malk

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