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Neunte Kunst

„Ausnahmezustand“ von James Sturm: Gespaltenes Land, gespaltene Liebe


von

Wenn du nicht für Hillary stimmst, stimmst du für Trump!“, schimpft Marks Tochter Suzie von der Rückbank. „Sagt wer?“ – „Sagt Mama!“ Es ist gerade mal drei Monate her, da waren Mark und Lisa noch begeisterte Anhänger von Bernie Sanders. Mark hatte sogar einen großen „Bernie“-Sticker an seinem Pick-up. Doch das ist nun alles vorbei.

Zwar ist Donald Trump noch nicht gewählt, aber der Ausnahmezustand, in den die USA nach acht Jahren Barack Obama gleiten werden, ist schon mit Händen zu greifen.„Ausnahmezustand“ heißt auch der neue Band des amerikanischen Comiczeichners James Sturm (Reprodukt, 24 Euro), der bislang vor allem mit Ge-schichten aus den osteuropäischen Schtetln und seinen Zeichnungen für den „New Yorker“ auf sich aufmerksam gemacht hat.

Kluft zwischen den Menschen

Seine jüngste Arbeit handelt von der Krise, die ein Paar stellvertretend für eine ganze Gesellschaft durchlebt. Sturm beschreibt „Ausnahmezustand“ als „eine Geschichte über eine große Kluft, die sich sowohl zwischen diesem Paar als auch zwischen den Menschen in diesem Land auftut“, und darüber, ob es möglich ist, diese Kluft zu überwinden.

Wenige Wochen vor den nächsten Präsidentschaftswahlen scheint die Kluft zwischen den Menschen in den USA so tief wie nie. Schuld daran ist der amtierende Präsident, sagt Sturm mit Überzeugung. „Dieser Mann ist einfach nicht in der Lage, sich in andere einzufühlen oder sich auf etwas zu konzentrieren, das ihm nicht direkt zugutekommt.“

Und dennoch hätte er nicht gedacht, dass es so weit kommt. „Das Ausmaß seiner Verderbtheit konnte ich mir damals noch nicht vorstellen. Jetzt schon.“„Damals“ war vor vier Jahren, als er diese Geschichte zeichnete. Erzählt wird sie von Mark, der seinen Lebensunterhalt als selbständiger Handwerker verdient. Er ist an einen windigen Auftraggeber geraten, und ihm entgleitet mehr und mehr die Kontrolle über sein Leben.

Normalerweise würde Lisa ihn auffangen, aber Lisa muss sich gerade selbst finden. Sie will aus der Familienmühle raus und bittet ihn um eine Auszeit. Und während Mark die Situation mit Lisa, den Kindern und dem Job mehr und mehr über den Kopf wächst, wird das Hintergrundrauschen des Wahlkampfs immer lauter. „Ausnahmezustand“ ist auch eine präzise Analyse der neurotischen US-Gesellschaft.


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„Politik entsteht aus dem Persönlichen heraus“, erklärt Sturm, und dieses Persönliche macht diese Geschichte gleichermaßen zeitgemäß und zeitlos. Denn dieselbe Existenzangst, die Sturms Held empfindet, verspüren auch Millionen Amerikaner. Trumps desaströse Corona-Politik wird die existenziellen Sorgen der Menschen noch befeuern.

Die Universalität dieser Erzählung entsteht in Sturms Zeichnungen. Seine Figuren haben kein menschliches, sondern ein hündisches Antlitz, was Assoziationen zu zwei ganz Großen der amerikanischen Comic-Kultur weckt: einerseits Art Spiegelman, der in seiner mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Holocaust-Fabel „Maus“ die Überlebensgeschichte seines Vaters mit Tieren erzählt, andererseits Charles Schulz, der vor 70 Jahren begann, mit Charlie Brown, Snoopy und Co. die Kleinigkeiten des Alltags zu beleuchten.

Ihre Arbeiten sind in Sturms Comic allgegenwärtig. Die Spiegelman’sche Maskerade macht Sturms Figuren für jedermann zugänglich, der melancholische Ton seiner Zeichnungen und die lakonischen Dialoge beschwören die Stimmung herauf, „die Schulz so gut in seinen Comics erzeugt“.

Letztendlich erzählt Sturm eine Geschichte einer Wiederannäherung. „Mark und Lisa versuchen viele verschiedene Dinge: Mediation, Anwälte, Therapie, und sie spielen mit Nähe und Distanz. Das kann man auf die politische Situation übertragen. Um eine Gemeinschaft zu bleiben, müssen wir an verschiedenen Fronten handeln.“ Es brauche Veränderungen im System, aber auch Menschen, die auf die Straße gehen, so Sturm.

„Wir stehen noch am Anfang, aber ich spüre, dass etwas passiert“, heißt es im Comic, als Mark und Lisa aufeinander zugehen.

Reprodukt

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