NSA-Kritiker Ilija Trojanow: Deutscher Schriftsteller darf nicht in die USA einreisen
Trotz einer Einladung zu einem Kongress: Dem deutschen Schriftsteller Ilija Trojanow wurde die Einreise in die USA verweigert - ohne Begründung. Trojanow hatte zuvor eine Protestpetition gegen die NSA-Überwachung unterzeichnet.
Hamburg - Die Schriftstellerin Juli Zeh machte den Fall publik: Auf ihrem Facebook-Account gab sie in der Nacht zum Dienstag die Nachricht weiter, die sie von ihrem Kollegen Ilija Trojanow erhalten hatte. Demnach wurde Trojanow ohne Begründung die Einreise in die USA verweigert. Er sitze am Flughafen in Brasilien fest und könne an einem Germanistenkongress in den USA, zu dem er eingeladen war, nicht teilnehmen, so Zeh.
Ilija Trojanows Verlag, Hanser in München, bestätigte diese Darstellung auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE. Trojanow habe sich am Montagabend per SMS aus Brasilien gemeldet: "Mir wurde heute die Einreise in die USA verweigert. Nun aber eine anstrengende Heimreise."
Am frühen Dienstagnachmittag veröffentlichte die Online-Ausgabe der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen Text, den Ilija Trojanow am Flughafen von Salvador da Bahia geschrieben hat. Darin schildert er ausführlich, wie er am American-Airlines-Schalter nach längerem Hinhalten ("Ihr Fall ist speziell", sagte die Check-in-Mitarbeiterin) abgewiesen wurde.
Inzwischen Juli Zeh brachte das Einreiseverbot für Trojanow in Zusammenhang mit den von ihr initiierten Schriftstellerprotesten gegen die Überwachung durch den US-amerikanischen Geheimdienst NSA. Am 18. September übergab Zeh eine Petition mit über 65.000 Unterschriften im Berliner Kanzleramt.
"Geheimnistuerische Essenz des Systems"
Trojanow war bei der Übergabe nicht anwesend, wie die Koordinatoren vom Schöffling Verlag SPIEGEL ONLINE mitteilten, aber er war einer der Erstunterzeichner. Die Schriftsteller sprachen von einem "historischen Angriff auf unseren demokratischen Rechtsstaat",
"Formulieren wir es mal positiv: Unser aller Engagement zeigt Wirkung. Es wird zur Kenntnis genommen", schreibt Juli Zeh auf Facebook über das Einreiseverbot für ihren "Freund und Mitstreiter". Zeh und Trojanow hatten 2009 gemeinsam ein Sachbuch namens "Angriff auf die Freiheit" über Internet-Überwachung verfasst. Nun schreibt Zeh weiter: "Formulieren wir es negativ: Es ist eine Farce. Die reine Paranoia. Menschen, die sich für Bürgerrechte starkmachen, werden als Staatsfeinde behandelt." In den Kommentaren zu ihrem Posting betont Zeh, Trojanows ESTA-Antrag zur Einreise in die USA sei bereits positiv beschieden worden, ein Problem mit dem Visum oder der Arbeitserlaubnis sei ihrer Ansicht nach also auszuschließen.
In seinem eigenen Bericht für "FAZ.net" beklagt Trojanow besonders die "geheimnistuerische Essenz des Systems". Ihm sei diesmal ebenso wenig ein Grunde für die Einreiseverweigerung mitgeteilt worden wie schon bei einem früheren Vorfall. Im vergangenen Jahr sei ihm ein Arbeitsvisum für eine Gastprofessur in St. Louis erst mit erheblicher Verzögerung und nach Protesten der Universität erteilt worden.
Autoren fordern Bundesregierung zur Aufklärung auf
Ilija Trojanow, 1965 in Bulgarien geboren und 1971 mit seinen Eltern nach Deutschland geflüchtet, bekam 2006 den Preis der Leipziger Buchmesse für seinen Abenteuerroman "Der Weltensammler". Er hielt die Laudatio auf die Nobelpreisträgerin Herta Müller beim Franz-Werfel-Menschenrechtspreis. Im brasilianischen Salvador da Bahia war er zuletzt auf Einladung des Goethe-Instituts als "Stadtschreiber" zu Gast. Am 5. Oktober hätte er bei der Konferenz der German Studies Association in Denver über seinen jüngsten Roman "EisTau" sprechen sollen.
"Dass einem Autor, der seine Stimme gegen die Praxis der Überwachungsstaaten erhebt, nun die Einreise ins 'land of the brave and free' verweigert wird, muss man wohl mehr als ironisch nennen", schließt Trojanow in seinem "FAZ"-Bericht. Dieser Einschätzung schließen sich der PEN-Präsident Josef Haslinger und 35 weitere Schriftstellerkollegen an, die in einem offenen Brief, den der Hanser-Verlag am Dienstagnachmittag verbreitete, die Bundesregierung aufforderten, "diesen Fall umgehend aufzuklären".
feb/lei/sha
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