Die Texte von Anke Stelling kommen gleich zur Sache: dass es zum Weinen ist, wenn eine Frau ihrer Mutter gleicht. Dass Eindeutigkeit schwer zu erreichen ist. Und dass der Frühling mit seiner »hellgrünen Hoffnungsbotschaft« einer Zumutung gleicht. Stelling ist unter den deutschen Autorinnen die Unversöhnliche. In ihren Romanen und Erzählungen demontiert sie die Selbstverwirklichungsromantik von Großstädtern mit besonderem Augenmerk auf den Strapazen, die sich viele Frauen dabei abverlangen.

Stelling lässt sich nicht durch literarische Preise besänftigen, und keine Kritik kann ihre Prosa entschärfen. Ihr Thema ist die verflixte Lücke, die sich immer wieder auftut – zwischen den eigenen Wünschen und der Wirklichkeit, zwischen dem, was Stelling beobachtet, und der hübschen Fassade, die andere errichtet haben. »Wenn ich vom Gelingenden erzähle, ist das auch schön«, sagt die Autorin, »aber ich finde doch das Misslingende, die Konflikte oder die Widersprüche das interessantere Material.«

Zum vereinbarten Treffpunkt an der Invalidenstraße Ecke Mauerweg kommt Stelling mit dem Fahrrad. Sie ist eine zierliche Frau, nichts an ihrem Äußeren ist auffällig, sie trägt einen beigen Mantel, rotbraune Schnürschuhe. Der ideale Aufzug für eine Detektivin. Wir sind für einen Spaziergang am Kanal verabredet, auf der gegenüberliegenden Wasserseite werden luxuriöse Wohnblöcke fertiggestellt, Häuser mit bodentiefen Fernstern. Der Anlass für das Treffen ist Stellings neuer Erzählungenband »Grundlagenforschung«. Darin sind Texte aus den vergangenen Jahren versammelt, die Stelling um zwei neue Geschichten ergänzt hat – dazu später.