Mein ist die Rache, spricht Mike
Der erste Thriller des 29jährigen Comic-Texters Mickey Spillane erscheint im New Yorker Verlag E. P. Dutton. Das Buch, »I, The Jury«, schlägt wie eine Bombe ein, die die Welt des Kriminalromans bis in die Grundfesten erschüttert. Spillanes Privatdetektiv Mike Hammer stellt mit seiner Brutalität alle Konkurrenten in den Schatten und schlägt Löcher in die eben erst mühsam etablierte Seriosität des Genres.
Spillane setzt sich in gleich zwei Kategorien an die Spitze der Branche und behauptet sie bis heute - in der Kategorie »Größte Verrisse« und in der Kategorie »Einsame Bestseller« ("I, The Jury« verzeichnet inzwischen 77 Auflagen, die Gesamtzahl der verkauften Mickey-Spillane-Romane nähert sich weltweit der 100-Millionen-Grenze).
In der Bundesrepublik bleiben einige Titel bis heute indiziert. Für das liberale Publikum rangiert Spillane irgendwo zwischen de Sade und »Mein Kampf«.
Warum das so ist, macht »I, The Jury« (deutscher Titel: Ich, der Richter) auch sofort klar. Der Roman beginnt damit, daß Mike Hammers bester Freund ermordet aufgefunden wird: »Gestern war er noch Jack Williams, der Junge, der mit mir während des Krieges zwei Jahre lang im dreckigsten Dschungel gelegen hatte. Jack, der Junge, der einmal sagte, daß er seinen rechten Arm für einen Freund hergeben würde, und der es dann auch gemacht hat, als er mich davor schützte, aufgeschlitzt zu werden.«
Obgleich Hammers Beinahe-Freund Pat Chambers von der Mordkommission den Fall schon übernommen hat, schwört Hammer Rache und markiert - auf Seite 2 - die Richtung, die sein Autor und er gegen den Rest der Welt einschlagen werden: »Das Gesetz ist in Ordnung. Aber diesmal bin ich das Gesetz. Und ich bin auch der Richter.«
Wer so losgeht, kommt folgerichtig zu einem Schluß, der auch in den blutigsten Anfängen des Hard-boiled undenkbar gewesen wäre. Mein ist die Rache, spricht Mike Hammer, und wenn der Mörder eine platinblonde Schönheit ist, dann kitzelt diese Rache besonders: »Charlotte, ich bin jetzt das Gericht - und ich bin der Richter. Und ich habe ein Versprechen zu halten. So schön du auch bist, so sehr ich dich auch fast geliebt hätte, ich verurteile dich zum Tode.«
Es folgt die kaltblütige Exekution, und es folgt eine Zugabe, die kein Leser so leicht vergißt und kein gestandener Menschenfreund verzeihen kann: »Als ich sie fallen hörte, wandte ich mich wieder um. In ihren Augen stand jetzt Schmerz. Schmerz und Fassungslosigkeit. ''Wie konntest du nur?'' keuchte sie. Ich hatte nur noch eine Sekunde Zeit, ehe ich zu einer Leiche sprach, aber ich bekam es noch heraus. ''Es war leicht'', sagte ich.«
Die Hohepriester des Kriminalromans haben den phänomenalen Erfolg Spillanes mit Grausen wahrgenommen. Das Verdikt ihrer Gilde faßte Raymond Chandler 1952 in die Worte: »Es ist noch nicht so lange her, da hätte ein anständiger Verlag so etwas nicht angerührt ... Spillane ist, soweit ich sehen kann, nichts als eine Mischung aus Gewalt und offener Pornographie.« Und noch im September 1958 erinnerte er sich nur mit leichtem Ekel an Spillane: »Spillane ist vielleicht ein extremes Beispiel eines sadistischen Schriftstellers, aber womöglich liege ich da falsch. Ich kann ihn nicht lesen.«
Gemessen an den literarischen Ansprüchen, die Chandler, international gefeierter Doyen des Edel-Thrillers, an den Kriminalroman stellte, nimmt sich ein Schreiber wie Spillane auf den ersten Blick wie ein Skinhead aus. Hier der edle Ritter Philip Marlowe, der Kampf des einsamen Individuums für eine männlich-intellektuelle Art von Gerechtigkeit in poetisch beschriebenen kalifornischen »Mean Streets«, dort der lizensierte Killer Mike Hammer, ein brutaler New Yorker, der sich am besten in der Gosse und ihrer Gewalt auskennt, ein atavistischer Rächer, der auf alle modernistischen und liberalen Verbrämungen seines Gewerbes pfeift und nach den Gesetzen des Wilden Westens agiert: Wer zuerst zieht, lebt länger.
Zwar wurde Spillane nicht nur von Landsern und Landsknechten, von Taxifahrern und Stauern, von Hard Hats und Bullen, von Barkeepern und Huren, von Hausfrauen und Psychologieprofessoren _(Mit Shirley Eaton in dem Film »The Girl ) _(Hunters« (1963). )
verschlungen, sondern zählte zu seinen hartnäckigsten Fans zum Beispiel auch den Dichter Dylan Thomas, der sich Anfang der 50er Jahre in Downtown Manhattan ums Leben soff - aber richtig akzeptiert hat ihn selbst die Krimibranche nie.
Zu erschreckend seine Nähe zu Gewaltphantasien Marke Sado-Maso-Faschismus, zu branchenfremd dieser Kerl, der sich damit brüstete, mit dem FBI zusammen einen Drogenring geknackt zu haben, zu paranoid das Weltbild des langjährigen Mitglieds der Zeugen Jehovas, das von Teufeln und Roten, von Rache und Armaggedon geprägt ist - und von der Vorstellung, eine 45er sei für einen Mann noch immer die beste Art, mit der Hölle in ihm und um ihn herum fertig zu werden.
Mike Hammer sieht es so: »Ich war ich und konnte nichts anderes sein. Ich hatte recht. Die Welt hatte unrecht.«
Spillane wächst in einer rauhen Gegend von Brooklyn auf, der er auch sein Markenzeichen, den streichholzlangen Bürstenschnitt, verdankt: Als kleiner Junge schneidet er sich die Haare so kurz, damit die Größeren ihn nicht daran packen und verprügeln können.
Später hält er sich die Prügel vom Leib, indem er denen, die sie ihm verpassen wollen, Gruselstorys erzählt; dabei ist er bis heute geblieben. Vor dem Zweiten Weltkrieg schreibt Spillane bereits für die Pulp-Magazine und textet Comics, und als er - als Jagdflieger hochdekoriert - aus dem Krieg zurücckommt, weiß er Bescheid über das, was sein Publikum lesen will.
»Sie wollten keine Wischiwaschi-Helden«, so Spillane vor einigen Jahren zu einem Interviewer der Fachzeitschrift »The Armchair Detective«. »Diese Jungs da draußen hatten Gewalt gesehen, echte Gewalt. Und dann waren sie auch ziemlich spitz während des Krieges. Ein bißchen mehr Sex in einer Story würde sie nicht umhauen.«
Sein erstes Buch - in neun Tagen in die Maschine gehämmert - wird von sieben Verlagen abgelehnt; der achte macht ein Vermögen mit dem Autor. Auch Spillane macht ein Vermögen, und er legt das Geld für all die Träume an, die ein Junge in einer rauhen Gegend von Brooklyn haben kann - und ein paar mehr.
Er tritt mit dem Zirkus Ringling Brothers and Barnum & Bailey als Trampolinartist auf, er läßt sich aus einer Kanone schießen, lernt fechten, fährt Autorennen, betreibt Hochseefischen und taucht nach versunkenen Schätzen. Er erwirbt eine Lizenz als Privatdetektiv und holt sich in der Tat zwei Schußwunden und eine Messerstichwunde, als er mit dem FBI Dealer jagt.
Er läßt sich von den Zeugen Jehovas überzeugen, verdient ein Vermögen mit Bierreklame, produziert Filme, tritt selbst in einem als Mike Hammer auf -
und schreibt in diesen knapp vierzig Jahren nicht nur seine Hammer- und Tiger-Mann-Serien, seine Gangster- und Agenten-Thriller, sondern auch Abenteuer- und Kinderbücher, ein Handwerker, der von sich sagt, er sei nur ein Schreiber, der für die Brötchen arbeite, und das trotzig-witzige Statement von sich gibt: »Ich bin der Kaugummi der amerikanischen Literatur.«
Nicht, daß ihm diese Bescheidenheit bei den Kritikern etwas nützt, 1952 greift selbst der Großmeister der amerikanischen Literaturkritik, Malcolm Cowley, in die Tasten und bescheinigt Mike Hammer, er sei ein »gefährlicher Paranoiker« mit »starken homosexuellen Tendenzen«, die ihn, weil er sie unterdrücke, »zu Gewalttaten treiben«. Und Cowley legt - einmal in Fahrt - noch zu, indem er suggeriert, Hammers sadistisches Treiben könne sehr wohl ein Faktor bei der Zunahme von Gewaltverbrechen sein.
Nun, Vorwürfe dieser Art sind in der Literatur nicht neu, sie galten Goethes zum Freitod anstiftenden »Werther« so gut wie den linken und »Asphalt«-Literaten der 20er Jahre, denen die Nazis vorwarfen, die Moral des deutschen Herrenmenschen zerrüttet zu haben, nun also Spillane, der Ganovenfresser, als der Autor, der für die Verbrechen in den amerikanischen Slums mitverantwortlich ist.
Spillane hat für solche Anwürfe und für die Leute, von denen sie kommen, seinen eigenen Anwurf parat. Was er vom Liberalismus von Leuten wie Cowley hält, macht er noch Jahre später deutlich: »Ich war nie ein Liberaler. Meine Art Denken ist ultrakonservativ. Ich mag die Liberalen auch nicht; ich mag Leute nicht, die dafür sind, alles wegzugeben. Sie geben das Hemd weg, das ein anderer trägt. Es ist angenehm ein Kommunist zu sein, wenn man ein Top-Kommunist ist.«
Dieser verkehrten Welt stellt er seine eigene als leuchtendes Beispiel hin: »Als ich klein war, hörte ich, wie meine Mutter zu meinem Vater sagte: ''Jack, wenn wir nur frei und rein wären.'' Und ich fragte mich, was das wohl hieße. Als ich es rausfand, wurde ich frei und rein. Ich schulde nämlich niemandem Geld.«
Daß die Häme der Kritik ihn keineswegs verbiestert hat, zeigt diese Bemerkung: »Die Leute hier sagen, ich würde Schund schreiben. Ich sehe das auch so - aber es ist guter Schund. Ich will Ihnen mal was sagen, eines Tages fragte jemand: ''Was ist bloß aus Mickey Spillane geworden?'' Dem habe ich ein Photo von mir und einer Filmschauspielerin geschickt, wie wir hier in Myrtle Beach in den Sanddünen liegen, und dazugeschrieben: ''Hier bin ich, hart bei der Arbeit.''«
Die Zeit, in der Spillane berühmt wird, ist die Zeit, in der die häßlichen Züge Amerikas hervortreten. McCarthy und Nixon, die antikommunistische Hysterie, aber auch die Angst vor der Atombombe und die schleichende Korrumpierung durch das organisierte Verbrechen, die häßliche Seite des Dollars, sie - und nicht die Opa-Figuren Truman und Eisenhower, die Schmonzettenorgien Hollywoods und die Wunschbilder der verängstigten Mehrheit - prägen die amerikanische Wirklichkeit.
Das Beste, was je aus Hollywood kam - die Filme der »Schwarzen Serie« - ist ein Reflex auf diese gesellschaftliche Wirklichkeit, auf Gangsterkriege und Spionagefurcht, auf Koreakrieg und Russensyndrom.
Man mag von Spillane halten, was man will - diese Wirklichkeit hat er zwar vereinfacht, aber keineswegs geschönt. In ihrer Art bringen seine Bücher es fertig, private Obsessionen so zu schildern, daß wir ihre Ursachen - die soziale Verrohung - deutlich erkennen, ein Verdienst, das doch angeblich nur Schriftstellern vorbehalten ist, mit denen sogar die Großwesire der Literaturkritik zusammen Mittag essen würden.
Mickey Spillane wäre ihnen bestimmt nicht das abgenagte Ende eines Zahnstochers wert. Fragt sich, ob all die Cowleys nicht vergessen haben, woher ihr Essen kommt.
Der häßliche Amerikaner kann auch im Brooks-Brothers-Anzug an einem Schreibtisch der »New York Times« residieren. Das häßliche Amerika hat - wie das häßliche Deutschland - viele Gesichter. Das Amerika, das Spillane uns zeigt, macht uns jedenfalls nichts vor. Es verschweigt keineswegs, daß es auch in der Hölle Air Conditioning, Law and Order und Martinis gibt. Und wasserstoffgefärbte Engel, die Mörder sind.
Alle Jahre wieder beschäftigt sich heute auch das überregionale Feuilleton mit dem Kriminalroman. Daß Literatur erzählen, ja spannend erzählen muß, will sie sich gegen die Vereinfachungen der großen Verführer behaupten und nicht vollends zum Liebhaberobjekt verkommen, hat sich sogar hierzulande und bis in die Literaturreservate des bürgerlichen Elitebewußtseins herumgesprochen.
Die neue Sprachregelung heißt dort: Ja, der Chandler, der kam ja auch vom College! Und der Ambler, britischer Durchblicker! Und die Highsmith, das ist ja auch richtige Literatur!
Aber ansonsten glaubt man in diesen Beletagen des Feinsinns, der Krimi habe sein Pulver verschossen, das Genre sei an den Limits, die es sich selbst gesetzt habe, eben doch erstickt.
Solche falschen Auguren übersehen dabei mangels wirklicher Kenntnis, die ja echtes Interesse voraussetzt, daß der Thriller in den angelsächsischen Ländern - aber keineswegs nur in ihnen - die vitale Literatur schlechthin schreibt; und sie übersehen ebenso, daß es genau die Limits des Genres sind, seine ehernen Gesetze, die von Generation zu Generation neue Autoren herausfordern und neue Leserschichten faszinieren.
Weit entfernt davon, ein überholtes Genre zu sein, setzt der Thriller literarische Maßstäbe, und er vermag dies, weil die Spannung zwischen Form und Stoff, zwischen Regel und Moral, zwischen Gesetz und Anarchie - wie in den Werken Balzacs und Dickens'' -, die Welt, in der wir leben, und die populären Stimmungen _(Von Robert Aldrich (1955), mit Ralph ) _(Meeker als Mike Hammer (M.). )
unserer Zeit am genauesten schwingen lassen.
Und dies nicht erst seit heute. Der immense Erfolg Spillanes gerade in den 50er Jahren belegt ja (wenn auch das vielen nicht behagen mag), daß er damals wie kaum ein anderer populärer Autor, vielleicht abgesehen von den Engländern Ian Fleming und James Hadley Chase, die unterschwelligen Ängste und Emotionen und - last, not least - ihre sexuellen Verklemmungen zu Papier gebracht hat.
Autoren, die das können, müssen nicht unbedingt literarische Weltmeister sein, aber ihr Handwerk dürfen sie schon verstehen.
Daß Spillane sein Handwerk versteht, geht aus fast jeder Seite hervor, die der Mann geschrieben hat. Wie man Action darstellt, hat der Comic-Texter im Handgelenk. Das Tempo seiner Storys geht dem Amateurrennfahrer direkt in die Maschine. Aber Spillane kann auch mehr. Es lohnt sich nachzulesen, wie der Mann aus Brooklyn New York beschreibt, wenn es Nacht wird in der Riesenstadt.
»Von draußen kam das Sterben her«, heißt es in »Gangster": »Einige wenige Arterien des Lichts und des Lebens durchzogen die Stadt, aber das war alles. Das große grüne Geschwür des Central Park glitzerte wie ein Juwel, eingefaßt in die bunte Kette der Taxis, deren Lichter wie zwei Finger nach vorn tasteten, immer auf der Suche.«
Spillane weiß auch, wovon er spricht, und wie er es zu sagen hat, wenn er, im »Wespennest«, dem Bullen Chambers diese Klage in den Mund legt: »Hast du eine Ahnung, wie viele kleine Schmutzfinken auf dieser Erde leben? Es müssen Millionen sein, und neun Zehntel von ihnen verpesten die Luft dieser Stadt. Jeder kleine Schmutzfink kontrolliert einen Block von Stimmen. Jeder kleine Dreckfink wünscht, daß etwas getan oder nicht getan wird. Sie hängen sich an die Strippe und rufen jemanden an, der ziemlich bedeutend ist, und erzählen ihm, was sie gern hätten. Sehr bald hat der Betreffende so viele Anrufe bekommen, daß er es für gut hält, etwas zu tun. Dann fängt der Druck an. Warnungen machen die Runde, kurzzutreten oder die Finger ganz von diesem oder jenem zu lassen, und hinter den Warnungen steht unmißverständlich eine Drohung. Ich soll nicht vergessen, daß ich nur ein kleiner Polizist bin, dessen Wort kein Gewicht hat.«
Davon läßt sich Mike Hammer natürlich nicht irritieren, er nimmt dann eben das »Gesetz« in die eigene Hand. Nicht, daß er gerne tötet, wie Spillane versichert, aber Hammer muß halt: »Irgendwo da draußen ist einer, der es verdient.«
Gewiß, das liberale, humanistisch empfindende Publikum, das sich lieber mit den Skrupeln Marlowes identifiziert (obwohl der Puritaner Chandler weder in seinem Frauenbild noch was die Sünden der Welt angeht, so arg weit von dem Zeugen Jehovas Spillane entfernt war, wie er das darstellte), läßt bei dieser Logik die Klappe runter, das Alte Testament in der Booklyner Fassung gehört nun mal nicht zu seiner Nachttischlektüre.
Das liberale, humanistisch empfindende Publikum hat aber auch von den Massen da draußen, von ihren Wünschen und Instinkten, von ihren Gerüchen und ihren Sehnsüchten eine Vorstellung, bei der der Wunsch die Wirklichkeit noch allemal verdrängt. Und obschon auch Mike Hammer seine blutigen Abenteuer als Racheengel meist halbwegs ungeschoren, jedenfalls lebendig übersteht, bleibt das Weltbild seines Autors trotz aller Erfolge düster und pessimistisch.
Glück ist etwas - das es - wie für seine Leser - nur mal stundenweise gibt, für Mike Hammer oder die andern Helden entweder in den Armen einer verlockenden Frau, im Suff oder dann, wenn ein Leichenberg das Ende eines Falls markiert; aber er weiß ja - wie seine gestandenen Fans -, daß das Böse da draußen so mächtig ist, daß ein Mann eigentlich nie zur Ruhe kommt.
Anders als das liberale, humanistisch empfindende Publikum neigt freilich Spillane - auch darin seinen Lesern gleich - bei allem Pessimismus nicht zu
Depressionen. Die Arbeit muß eben getan werden. Und dabei macht ein Mann sich nicht nur an den Händen schmutzig.
»Wie kommt es«, fragte der Armchair Detective Spillane, »daß in Ihren Büchern am Schluß jeder tot ist?« Die Antwort lautete: »Ich hab''s gern, wenn der Held gewinnt. Es ist mir egal, ob er ein fieser Knochen ist. Er ist so fies wie die Ganoven. Er ist so gemein und hinterhältig, wie er sein muß. Aber das verleiht ihm eine gewisse Perspektive - man verliert ihn nie aus den Augen. Er geht nicht mit allen anderen unter.«
Und was die Moral betrifft, hatte Spillane auch eine Antwort auf Lager: »Das einzige Mal, als ich etwas ändern mußte, war in »One Lonely Night«. Da gab es eine Szene am Schluß, wo Mike ein MG auffährt und achtzig Mann umlegt. Meine Lektoren meinten, das sei ein bißchen viel Blutvergießen, und überredeten mich dazu, die Zahl auf vierzig zu drücken.« Doppelte Moral - möchte man hinzufügen - war schon immer etwas weniger als gar keine Moral.
Aber trifft der Vorwurf der Amoralität diesen Autor überhaupt? Sicher scheint doch nur, daß unsere Welt, jedenfalls aus der Perspektive der Straßen, durch die wir alle müssen, widersprüchlicher, verworrener und undurchschaubarer ist als alle Dorothy-Sayers-Plots zusammen - und bei denen hapert es bei mir doch auch schon.
Wenn wir Spillane und seinen vermeintlich unfaßbaren Welterfolg bedenken, dann sollten wir nicht vergessen, daß der Mann ein Zeuge Jehovas ist - und wie viele Exemplare verkauft der »Wachtturm«? Daß der Weltuntergang bevorsteht und alle unsere Sünden gebüßt werden müssen - teilen diese »Wachtturm«-Visionen nicht viele, die statt auf Mike Hammer auf Global 2000 setzen?
Und teilen sie ihre »Wachtturm«-Vision nicht mit einem Zeugen Jehovas namens Mickey Spillane, der von der Literaturkritik als Nazi-Sadist verschrien wurde - obwohl es gerade die Nazis waren, die die Zeugen Jehovas in die KZs schickten?
Wer sich auf die Welt einläßt, muß ihre Widersprüche ertragen. Daß der Thriller und seine fragwürdigen Helden diese Widersprüche manchmal so grell illustrieren, macht nicht den geringsten seiner zahlreichen Vorzüge aus.
Mit Shirley Eaton in dem Film »The Girl Hunters« (1963).Von Robert Aldrich (1955), mit Ralph Meeker als Mike Hammer (M.).