Rezensionen 2005

Hans Platzgumer, Expedition. Reise eines Underground-Musikers in 540 KB.
Innsbruck: Skarabaeus, 2005.

Hans Platzgumer: Expedition 87 - 04" Doppel-CD, BUNTSPECHT

 

Un peu noisy

 

Nicht leicht, über Hans Platzgumers Expedition. Die Reise eines Underground-Musikers in 540 KB als Literatur zu schreiben. Mit deren Maßstäben gemessen würde Platzgumer, der Musikbesessene, zunächst den Stürmer und Dränger geben - und aber auch den Empfindsamen. Stürmisch und drängend vornehmlich aus seiner Heimat Tirol (»Ich wollte meinen Horizont erweitern, die engen Grenzen überschreiten, an die ich in der Heimat ständig stieß.«); empfindsam besonders in der Liebes-Sehnsucht zurück zu ihr (»Der vorläufige Abschied von Sandra war eine Qual für mein von unfassbaren Gefühlswellen erschüttertes Herz.«). Wo hat man sowas zuletzt schon so platt gelesen? Goethes Werther könnte sich schon so ausgedrückt haben und sein Götz war auch ein recht nonkonformistischer Wurf. Damals wie heute eignet derartiger Chuzpe jedenfalls ein aufregender Charme.

Aber zunächst: Goethe, Werther, Götz - die kennt man ja, nur wer ist Hans Platzgumer?
Zunächst also: kein Literat in der Tradition Goethes. Dann: Er ist Autor von Songtexten und Held (wie auch nicht!) seiner eben im Skarabaeus Verlag erschienenen Autobiografie.           Im Confort Moderne, einem Untergrund-Club im französischen Poitiers, nannten sie ihn »un ange qui passe« und seine Musik »un peu noisy«. Für den ganz jungen Hans Platzgumer (11 bis 14 Jahre) trifft das eine schon zu. In der autonomen Punk-Szene seiner Heimatstadt Innsbruck nahm er sich wie ein hager-zart-cleaner Putto aus, der inmitten versoffen-verkifft-Zugedröhnter bleich herausleuchtete (schließlich traf man ihn stets zu spätester Nacht- bzw. frühester Morgenzeit dort an); und das andere auch: Seine Musik ist zweifelsohne »krachig«.
     Aber zurück zu den Wörtern. Im Grunde sounded es hier nicht viel anders wie wenn, sagen wir einmal: Gidon Kremer (Violine) oder Glenn Gould (Klavier), Thomas Quasthoff (Bariton), Midori Seiler (Violine) oder Hélène Grimaud (Klavier) über sich als Musiker schreiben. Alles Damen und Herren vom klassischen Fach freilich. »In Denken und Empfinden autonom, gegen jede herrschende Autorität und Konvention, offen für jedes Experiment, besessen individualistisch« - diese Charakteristik auf einem Gould-Buchcover gilt selbstredend auch für Platzgumer (Vocals, Elektrogitarre, Electronics). Und wenn ein wieder anderer Musiker, Richard Wagner (Kapellmeister), schrieb: »Das ist die ganze Kunst, wie sie jetzt die ganze zivilisierte Welt erfüllt! Ihr wirkliches Wesen ist die Industrie, ihr moralischer Zweck der Gelderwerb, ihr ästhetisches Vorgeben die Unterhaltung der Gelangweilten.«, dann könnte das auch Platzgumer kritisch angemerkt haben. Schließlich: Die Titel der unlängst herausgekommenen Autobiografien von Thomas Quasthoff (Die Stimme. Berlin: Ullstein 2004), Midori Seiler (Einfach Midori. Berlin: Henschel 2004) oder Hélène Grimaud (Wolfssonate. München: Blanvalet 2005) klingen nicht weniger prätentiös als der von Platzgumer. Wir halten jedenfalls fest: alles Memoirenliteratur.
     Wagner hat ein Œuvre von 12 Bänden geschrieben. Bei Platzgumer sind es bislang die im Untertitel angeführten 540 KB (= 304 Buchseiten). Nicht verwunderlich, dass dieses literarische Debüt wenig geschliffen klingt. Aber: Ist diese Geschliffenheit überhaupt erstrebenswert? Wagners gedrechselte Formulierkunst würde Platzgumer verstört von sich weisen, er, »der bourgoise, eitle Europäer«. Es wäre ein bisschen so wie seine dümmste Stage- bzw. Off-Stage-Erfahrung. Die Situation: Platzgumer stürzt von der Bühne in den Hinterhof, um im Grünen zu pinkeln, steigt in frische Hundescheiße und massiert diese, zurück auf der Bühne, in seine Effekt-Pedale. Als im das bewusst wird ... Na ja, echt ekelig das, derb, beschissen eben, aber solche Geschichten schreibt das Leben (eines Underground-Musikers).
     Da haben wir's also: Es sind Anekdoten, die hier aufgetischt werden, und zumeist sind sie nicht so schwer verdaulich, sondern witzig, selbstironisch, bizarr. Angeregt hat die Sache Barbara Schäfer, Dramaturgin der Hörspiel- und Medienkunst-Abteilung des Bayrischen Rundfunks. Mit dieser Abteilung sind wir dann schon dem näher, was wir Literatur nennen. Ende der 90er Jahre nämlich, nach vielen musikalischen Verpuppungsformen, die sich durch wechselnde kreative Phasen bis heute weiterspinnen, beginnt Platzgumer mit dem »Scoring«, dem Komponieren von Soundtracks zu Literatur. Beispiele gefällig? Jack Kerouacs On the Road natürlich, Marcel Prousts Combray und selbstredend deutsche Literatur: Thomas Lehr, Albert Ostermaier oder Kathrin Röggla.
     Platzgumer ist einer, der im »legendärsten und schmutzigsten Club überhaupt, dem DBGB's in New York, wo Größen wie die Talking Heads oder die Ramones aufgetreten sind« Bühnenerfahrung gesammelt hat; einer der rastlos auf seinem musischen Credo beharrt; einer, der den Begriff »independent« zu Recht im Mund führt; einer, dessen Porträt von Medien wie Standard, Falter, Spex oder Arte voll Bewunderung nachgezeichnet wird. Sein Buch hat nichts mit der literarischen Ambition von Kollegen wie Thomas Meinecke (Tomboy, Hellblau, Musik. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1998, 2001, 2004) oder Sven Regener (Herr Lehmann. Frankfurt/M.: Eichborn Berlin 2001) zu tun, aber auch überhaupt nichts mit dem anderen Gegenpol (Dieter Bohlens Nichts als die Wahrheit). Es ist - um es mit einer Wortprägung von Albert Ostermaier zu umreißen: heartcore.

Das mag nicht jedermanns Sache sein. Aber es gibt Anlass, mit einem Vorurteil aufzuräumen: Kinderliteratur ist nicht nur für Kinder da, ernste Literatur nicht nur für Ernste und Memoiren-Literatur von MusikerInnen nicht nur für deren Fan-Clubs. Es tut gut, hin und wieder darin zu schmökern und die eng gezogenen Literaturgrenzen zu überschreiten. Grenzen sind ja schließlich zum Überschreiten da. Das mag eine Platitüde sein, aber sie hat aufregenden Charme. Zitieren wir den Autor, der unbekannte Gebiete und Landstriche wie die Antarktis liebt, aus dem Booklet der eben erschienenen Doppel-CD Hans Platzgumer: Expedition 87 - 04: »Polar ist auch immer an die Grenze gehen, Limitationen aufbrechen, (er)forschen, (er)fahren, ausdehnen.« Wer Lust dazu hat, mag sich tief in diesen Schaffens-Querschnitt einhören. Wer noch etwas fürs Auge haben möchte, kann sich Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 5 zu Gemüte führen. Hier schreibt Platzgumer über Werke des Tiroler Künstlers Walter Obholzer. Und zwar geschliffen.


Hans Platzgumer: Expedition - Die Reise eines Underground-Musikers in 540 KB. Innsbruck: Skarabaeus Verlag 2005. 334 S.
Hans Platzgumer: Fragezeichen, in: Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 5, S. 39-43
  Hans Platzgumer: Expedition 87 - 04. Buntspecht (im Vertrieb von Hoanzl)

Bernhard Sandbichler