Rezensionen 2007
H. W. Valerian, Nicht zu glauben. Briefe an einen katholischen Freund.
Innsbruck: Limbus 2006
Briefe – sofern sie nicht fingiert sind –richten sich an einen Briefpartner und werden von diesem ‚mitgeschrieben’, insofern seine Persönlichkeit und sein Standpunkt vom Schreiber mitreflektiert wird. Nun schreibt zwar in diesem Buch ein Atheist zwölf Briefe an seinen katholischen Freund, aber dieser bleibt dabei ohne Kontur, geschweige denn, dass er auch einmal mit einem Brief antworten dürfte. Der Atheist, und das ist zugleich auch der Autor des Buches, der sich hinter dem Pseudonym H. W. Valerian verbirgt, monologisiert also vor sich hin und damit ist wohl auch schon gezeigt: Zwischen einem Atheisten und einem Katholiken kann es keinen Dialog über Glaubensfragen geben. Entweder glaubt man oder man glaubt nicht. Darüber lässt sich keine Diskussion führen, höchstens darüber, was schon Sören Kierkegaard vor rund 150 Jahren das „Ärgernis der Repräsentation“ nannte. Auch Kierkegaard störte die Tatsache, dass zu seiner Zeit jedermann Christ war, ohne wirklich ein solcher zu sein. Aber wir müssen gar nicht so weit zurückgehen, und wir können sogar in Tirol bleiben. In der Zeitschrift „Der Brenner“ wurde Kierkegaard seit 1914 – und Glaubensfragen im Allgemeinen – stark diskutiert und die katholischen Kirche als Institution massiv angegriffen oder aber auch verteidigt. Carl Dallago und z.T. auch Ferdinand Ebner vertraten eine äußerst kirchenkritische Position, Theodor Haecker und mit Fortschreiten der Diskussion auch Ludwig von Ficker übernahmen die Verteidigung. Alle an der „Brenner“-Diskussion Beteiligten darf man aber ohne Zweifel als tief gläubig bezeichnen. Viele der von dem pseudonymen Tiroler Autor in seinem Buch behandelten Themen wurden also schon vor nahezu hundert Jahren aufgegriffen. Neu daran ist nur, dass jetzt ein Atheist die Fragen stellt. Die Antworten, die er sich gleich auch selber gibt, fallen naturgemäß für alle Glaubensgemeinschaften, speziell auch für die katholische Kirche nicht schmeichelhaft aus. Hat doch gerade das christliche Abendland die größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts, zwei Weltkriege, ausgelöst und zu verantworten, wie denn überhaupt im Laufe der Geschichte nicht wenig Schindluder im Namen der Religion getrieben worden ist. In der „Mir-sein-Mir-Mentalität“ des wohl immer schon „unheiligen“ Landes Tirol – wie könnte denn überhaupt jemals ein Land heilig sein? – hat es möglicherweise einen noch stärkeren Glaubensdruck als anderswo gegeben. Die Betonung liegt aber auf hat, denn heute ist der Einfluss der katholischen Kirche auf das öffentliche Leben, aber auch auf jeden einzelnen – Gott sei Dank – stark zurückgegangen. Nicht einmal ÖVP-Politiker müssen sich mehr unbedingt in der Kirche blicken lassen, wenngleich manche sich immer noch nicht ungern zusammen mit kirchlichen Würdenträgern ablichten lassen. Es ist heute jedenfalls so, dass ein Atheist in Tirol im Großen und Ganzen unbehelligt leben kann und wohl auch nicht unter einem Pseudonym schreiben müsste aus Angst vor möglichen Repressalien. Vielmehr dürften sich hier der Autor und/oder der Verlag wohl davon eine gewisse Werbewirksamkeit versprechen. Denn so unerhört oder gar revolutionär sind die Forderungen, die der Autor in seinem Schlussresümee stellt, eben doch nicht (mehr): „Die gleichberechtigte Anerkennung des Atheismus“, „Die Einsicht in die Fragwürdigkeit des Glaubens“, „Trennung von Moral und Religion“, „Trennung von Kirche und Staat“ und die „Abschaffung des Religionsunterrichts an staatlichen Schulen“. Freilich, dass hier immer noch einiges zu tun ist, daran besteht kein Zweifel, aber das gilt für andere Bereiche, etwa die Gleichberechtigung der Frau auch. Wer aber alle Zweifel, die je einem denkenden Christen wohl auch schon hin und wieder gekommen sind, gesammelt lesen will, ist mit diesem Buch gut versorgt. Valerians Angriffe erinnern, wie übrigens auch schon jene von Dallago, an Don Quichotes Kampf gegen Windmühlen. Das Buch ist weder ein Sachbuch noch kann man es als literarisches Werk betrachten: die „Wortgewandtheit“, die sich der Autor selber attestiert, reicht dafür nicht aus.
Anton Unterkircher