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Literatur Bauhaus

Eine Frau unter Nerds, Gurus und Esoterikern

| Lesedauer: 5 Minuten
Literarischer Korrespondent
LW/ Theresia Enzensberger 2017, Blaupause, Hanser Verlag Copyright: © Rosanna Graf via Hanser/Vogelsang Kirsten Die Bilder dürfen im Zusammenhang mit Veranstaltungen und Besprechungen zum Buch unter Nennung des Copyrights honorarfrei verwendet werden. Im Rahmen des genannten Pressezwecks und unter Nennung des Copyrights darf diese Fotos einmalig honorarfrei verwendet werden. Eine online-Nutzung des Fotos ist nur dann möglich, wenn Sie das Foto in einer Auflösung von 72 dpi verwenden und es nicht zum Download freigeben. LW/ Theresia Enzensberger 2017, Blaupause, Hanser Verlag Copyright: © Rosanna Graf via Hanser/Vogelsang Kirsten Die Bilder dürfen im Zusammenhang mit Veranstaltungen und Besprechungen zum Buch unter Nennung des Copyrights honorarfrei verwendet werden. Im Rahmen des genannten Pressezwecks und unter Nennung des Copyrights darf diese Fotos einmalig honorarfrei verwendet werden. Eine online-Nutzung des Fotos ist nur dann möglich, wenn Sie das Foto in einer Auflösung von 72 dpi verwenden und es nicht zum Download freigeben.
Theresia Enzensbergers Romandebüt "Blaupause" versetzt die Leser mitten in das wilde, experimentelle Leben der Künstler und Bohemiens der Weimarer Republik
Quelle: Rosanna Graf
Das Bauhaus wollte auch die Welt verbessern. Doch profitierten dabei mehr Männer als Frauen. Theresia Enzensberger erfindet eine Heldin, die sich um 1920 in der elitären Künstlerclique behaupten muss.

„Absolute Gleichberechtigung“, und das vor hundert Jahren. Nichts Geringeres verlangte und versprach Walter Gropius als Gründungsdirektor des Bauhauses in Weimar 1919. Im ersten Semester betrug das Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Studierenden 84 zu 79. „Keine Unterschiede zwischen dem schönen und starken Geschlecht“ wollte Gropius machen, wobei diese Wortwahl ihn offenbar bereits Lügen straft.

Die Studentin Luise, die 1921 aus ihrer sehr vorhersehbaren Berliner Höhere-Töchter-Laufbahn ausschert und gegen den Willen ihres Fabrikantenvaters nach Weimar zieht, glaubt an diese Ideale und auch an die Möglichkeit der Selbstverwirklichung auch auf einem bis dato allein dem „starken Geschlecht“ vorbehaltenen Gebiet: der Architektur. Das Bauhaus ist Inbegriff einer neuen Zeit, Weimar damals Kulminationspunkt des ästhetischen, aber auch des davon in der Sicht vieler Zeitgenossen untrennbaren sozialen Fortschritts.

Theresia Enzensbergers Erstlingsroman „Blaupause“ nähert sich dem historischen Setting durch einen bekannten Kniff. Ihre Ich-Erzählerin Luise ist eine Novizin in der von Poseuren und Bescheidwissern geprägten Kunsthochschulwelt.

Sie ist bescheiden und ehrlich, andererseits backfischhaft naiv, sodass auch der Leser an ihrer Seite behutsam eingeführt wird in die Welt von Ästhetik-Nerds und Anhängern esoterischer Geheimlehren, wie sie Johannes Itten vertritt. Itten, Leiter des obligatorischen Vorkurses, einer Art Studium generale in Lebensreform und idealistischem Tunnelblick, wird von seinen Schülern wie ein Guru verehrt.

Mehr platonische als reale Liebe

Luise findet geselligen und erotischen Anschluss an eine Clique um den dandyhaft attraktiven Jacob und die rätselhafte Sidonie und lässt sich auf die üblichen Vegetarismus- und Fastensessions ebenso ein wie auf die rituellen Atemübungen und den Meisterkult um Itten.

Wenn die Form der Funktion folgt

Bauhaus gilt als die bekannteste moderne Kunstschule Deutschlands. Im Wesentlichen folgte man zwei Prinzipien: Es gibt keinen Unterschied zwischen Kunst und Handwerk - und schön ist, was funktioniert.

Quelle: WELT

Während sie mit dem sich immer wieder entziehenden Jacob eine mehr platonische als reale Liebe erlebt, findet Luise in der zunehmend kritischen Betrachtung der doppelzüngigen Sondernormen zu sich selbst: „Immerhin habe ich jetzt Gewissheit darüber, dass all die Regeln, Bräuche und Rituale dieser Gruppe letztlich nicht mehr sind als Instrumente, um andere Leute auszuschließen … Darüber, dass ihre Gedankenwelt, die mir so anziehend erschien, an der Realität scheitern muss, eben weil sie so weltvergessen ist.“

„Blaupause“ ist einerseits eine historische Campus Novel, deren Reiz nicht zuletzt in der Modernität des (Bauhaus-)Studentenlebens besteht – wenn man die Gruppenfotos aus den Zwanzigerjahren betrachtet, sorgen Style und Frisuren heute ohnehin für einen irritierenden Wiedererkennungseffekt. Zugleich ist es ein weiblicher Künstlerroman, der in der vordergründigen Fortschrittlichkeit der Avantgarde doch die gar nicht so verborgenen Reste von patriarchalem Konservatismus entdeckt.

Am Bauhaus wurde der hohe Frauenanteil nämlich eher als Problem gesehen, viele durchaus anderweitig begabte Studentinnen wurden in die Weberei gedrängt (die paradoxerweise durch Designerinnen wie Gunta Stölzl oder Anni Albers zu einem der innovativsten Bereiche wurde).

„Keine Sorge, Luise, die meisten Frauen habe Defizite im dreidimensionalen Sehen. Das hat nichts mit dir zu tun. Ich würde dir allerdings empfehlen, in die Textilwerkstatt zu gehen,“ so der Rat Ittens an Luise nach Begutachtung ihrer Holzskulptur aus der Tischlerei.

Drogenpartys in Berlin

In der sensiblen Imagination dieser Benachteiligungen und der Verletzungen hat der Roman seine stärksten Passagen, etwa in der Dessauer Zeit, als Luise bei einer Gemeinschaftsarbeit mit zwei männlichen Kommilitonen gar nicht zu Wort kommt.

Das latente feministische Motiv kulminiert in der titelgebenden „Blaupause“: Als Luise als Diplomarbeit den Entwurf einer Musterwohnsiedlung in Zeilenbebauung einreicht, muss sie erkennen, dass der vermeintliche Mentor Gropius ihre Ideen für sein bahnbrechendes Projekt in Karlsruhe-Dammerstock verwendet hat.

Ihren Plagiatsvorwurf weist die Prüfungskommission natürlich empört zurück. Der Schock über den Ideenklau der bewunderten Koryphäe des „Neuen Bauens“ nimmt Luise endgültig alle Illusionen über die Bauhaus-Utopie: „Ein neuer Mensch, das war das Ziel. Bewegt und geprägt durch die neuen Formen, die ihn umgeben. Aber wie soll das möglich sein, wenn diese Formen doch immer nur von den alten Menschen mit all ihren Fehlern und Mängeln geschaffen werden können?“

Diese finale Erkenntnis weist natürlich weit über den Horizont der Erzählerin hinaus – auf politische Utopien der Zwanzigerjahre (und auch der Gegenwart), die immer wieder mit den Nebenfiguren und -handlungen in den Roman einfließen.

Es gehört zu den Schwächen, dass Enzensberger die gängigen Topoi der Weimarer Republik – Drogenpartys in Berlin, linke und rechte Radikalismen, offener Antisemitismus – unbedingt alle unterbringen will, was notwendigerweise mitunter im Klischee landet (beispielsweise bei Luises ungebrochen ekligem Bruder, einem strammen, Juden hassenden Deutschnationalen).

Kein feministischer Impuls

Wohltuend ist allerdings, dass sie nicht versucht, Weimar mit der Gegenwart ausdrücklich kurzzuschließen. Solche Parallelen mag der Leser alleine ziehen. Auch was den feministischen Impuls angeht: Immerhin ist just in diesen Tagen eine bittere Debatte über Sexismus an deutschsprachigen Literaturschreibschulen entbrannt.

Dieses Debüt hat überhaupt etwas sympathisch Bescheidenes. Theresia Enzensberger beschränkt sich auf ein klar umrissenes, historisch bereits sehr breit erschlossenes Feld. Das Bauhaus ist auch unter Gendergesichtspunkten kritisch ausgeleuchtet, etwa in Ulrike Müllers Buch „Bauhaus-Frauen“ (2009).

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Das historische Romangenre wiederum hat in den letzten Jahren sehr erfolgreiche Vertreter hervorgebracht, am bekanntesten vielleicht Klaus Modicks Worpswede-Roman „Konzert ohne Dichter“. Noch stärker erinnert „Blaupause“ an Martin Klugers „Die Gehilfin“ von 2006, der von einer Wissenschaftspionierin in der Männerwelt der Charité der Gründerzeit erzählt.

Schönheit geht vor Stärke

Das mag man für ein Literaturdebüt als etwas risikolos empfinden, gar als kalkuliert. Vor dem Hintergrund des handwerklichen Ethos der Bauhaus-Welt aber ist „Blaupause“ ein klassisches Gesellinnenstück: Es zeigt eine junge Autorin, Enzensberger ist Jahrgang 1986, bei der Beherrschung des erzählerischen Handwerks – ein klares Ziel wurde souverän erreicht. Für Experimente ist immer noch Zeit genug.

Im Falle Luises behält die Desillusionierung übrigens nicht das letzte Wort: Der in den frühen Sechzigern spielende Epilog verschränkt das Schicksal der wie so viele Bauhäusler in die USA emigrierten Luise mit der legendären Architekturkritikerin Jane Jacobs, deren „Death and Life of Great American Cities“ von 1961 hier fiktiv Luise zugeschrieben wird. Wenn man so will, siegt Schönheit über Stärke: Gegen den (männlichen) Planungswahn behält die Ästhetik des ungeplant Gewachsenen die Oberhand.

Theresia Enzensberger: „Blaupause“. Hanser, 256 S., 22 €.

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