Seit man drinnen nicht mehr rauchen darf, müffelt es ein bisschen. Schwer zu sagen, wonach. Vielleicht nach dem Schweiß, der in der einstigen Revoluzzerkneipe während aufgeheizter Weltverbesserungsdiskussionen in den Siebzigern literweise verströmt wurde und jetzt erkaltet ist. Ich liebe jedenfalls den „Zwiebelfisch“ am Savignyplatz in Berlin-Charlottenburg. Aber klar, Jörg Fauser hatte schon recht, als er bereits 1984 in einer Erzählung bemerkte, dass der „Zwiebelfisch“ natürlich längst nicht mehr das sei, „was er mal war. Aber mit der seltenen, doch regelmäßigen Erscheinungsweise von Kometen treffen sich die alten Barden an seinem Tresen, und sei es nur, um sich zu vergewissern, dass hier ihr Glanz noch kräftig leuchtet“.
Jetzt hängt Fauser selbst als alter Barde auf einem Foto in der Nähe des Tresens. Das abgewetzte Poster bewirbt sein Romanfragment „Die Tournee“, erschienen ist es 2007 posthum im kleinen Alexander Verlag, der sich um eine zweite Werkausgabe verdient gemacht hat. Und nun kommt eine dritte bei Diogenes heraus. Ach, Sie kennen Fauser gar nicht? Den hessischen Heroin-Junkie in Istanbul, den famosen Gedichte-Schreiber, den Großstadtkrimischreiber, den Reportagevirtuosen?
Den ichbezogenen Literaturkritiker, der auf der Autobahn nahe München 1987 vom Lkw überrollt wurde, nachdem er (ordentlich vorgetankt im „Schumann’s“) über eine Leitplanke geklettert war? Dann hören Sie doch einfach zu. Er schlurft gerade durch die Tür und sieht mit seinen 74 immer noch aus wie ein abgehalfterter Versicherungsvertreter. Ich winke der Kellnerin zu, als sich Fauser in Gedanken zu mir setzt. In Altberliner Kneipen wird sich übrigens – unabhängig von Beruf, Alter und Status – noch immer geduzt.
WELT: Schön, dass wir uns hier in Berlin einmal treffen, trinkst du eine Kugel Schultheiß mit – oder machst du gerade eine Alkoholpause?
Jörg Fauser: Nach Berlin (Berlin, ohne was zu trinken, geht wohl kaum) werde ich die Karenz fortsetzen und dann sicher ein gutes Gläschen Wein in Frankreich leeren dürfen, obwohl ich, um ehrlich zu sein, weder nach Schnaps noch nach Wein, sondern allenfalls nach Bier und Äppelwoi Sehnsucht habe!
WELT: Es gab letzten Sonntag in der „FAZ“ einen hübschen Artikel über deine neue Werkausgabe. Nimmst du solche irdischen Huldigungen noch zur Kenntnis, oder besteht weiterhin dieser Groll auf die deutsche „Kulturverweser“-Presse?
Fauser: Ich leugne nicht, dass ich zum Beispiel die Berichte des „Times“-Korrespondenten aus Kabul mit größerem Interesse und auch literarischem Genuss lese als das Feuilleton der „FAZ“. Bei den Angelsachsen sind im Journalismus eben doch Leute zu Gang in der Tradition Twains und Hemingways etc. und bei uns ist die Tradition Kisch/Roth auf den Hund gekommen. Schade. Aber ich bin sicher und leider nicht der Mann, um das zu ändern. Nun denn; der schönste Anblick ist doch der auf ein tiefblaues Meer mit einem Schiff am flimmernden Horizont.
WELT: Schweif nicht ab, du Griechenland-Fan! Nördlicher in Europa ging es diese Woche nicht so idyllisch zu wie auf deinem Olymp. Du weißt, die Österreicher …
Fauser: … Alpenknödel, hatte Joseph Roth sie genannt, Knödelhirne! Jedenfalls, was für ein Romanstoff! Nachts liege ich da und sehe schon ganze Romanseiten vor mir. Abgesehen davon, dass der Journalismus natürlich immer noch eine gute Schule ist, das sage ich auch allen Poeten und jungen Genies. Dies in der Zeit des Zeitungssterbens und des allgemeinen Untergangs des Abendlandes.
WELT: Ist es ums europäische Abendland so schlecht bestellt, was wähltest du?
Fauser: Dieses Europa, so, wie es sich jetzt darstellt, ist doch nur ein Konglomerat wirtschaftlicher Interessen, ein Bürokratenbabylon, ich sehe da wenig Erfreuliches. Man kann wohl nur hoffen, dass die USA bei Sinnen bleiben und die Leute sich einen besseren Präsidenten wählen, obwohl das doch auch nur Marionetten sind. So bin ich täglich hin- und hergerissen zwischen meinem Hass auf die Sozi und dem nicht minderen auf die CSU. Kann ich wirklich diese Leute wählen? Nein, ich kann nicht. Nun ja. Wer sich – wie ich im Fall Carter – derartig in Politikern täuscht, sollte nur noch den Sportteil lesen, denn von der Wirtschaft versteht er auch nichts, und beim Feuilleton kriegt er nur Blutdruckexzesse.
WELT: Du hast aber ein ganz schön schlechtes Bild von Politikern.
Fauser: Ja. Sie haben sich in die Macht so verbissen, dass sie glauben, sie könnten jeden Preis dafür zahlen – jeden, das heißt keinen. Bedauerlich, dass der Konservatismus auch in der zweiten deutschen Republik nur Possenreißer und Panikmacher, Perspektiv-Agenten und Profitgeier an die Macht gespült haben.
WELT: Und die Linken?
Fauser: Auch nicht besser, immer auf der Suche nach einem Abstauberfick.
WELT: Aber das ist doch nichts im Vergleich zu den neuen Rechten!
Fauser: Das wirklich Schlimme ist ja nicht die Verrohung, sondern das begleitende Froschkonzert der sogenannten Intellektuellen. Ich würde ganz gern noch ein Bier trinken.
WELT: Gute Idee. Durst ist ja auch nur ein Synonym für Leben, wie du schriebst. Aber sprechen wir nüchtern über Literatur. Maxim Biller, der dein Drogenbuch „Rohstoff“ liebt, meinte schon in den 90ern, die deutsche Gegenwartsliteratur sei nur noch das Futter für einen pseudoakademischen Betrieb, der die ästhetischen und inhaltlichen Regeln diktiere, Förderungen und Preise verteile. Ist das so?
Fauser: Was mich so stört an unseren Gegenwartsbelletristen, ist diese Pose. Nicht das Ich, wenn sie wenigstens was erlebt hätten, fände ich das ja toll. Meistens haben sie gar nichts erlebt, sondern sie haben halt die kleine Liebesgeschichte und den Kakadu in der Wohnküche, und der Mann ist mal weggelaufen, oder man kriegt keinen Job als Lehrer mehr. Das ist ein bisschen wenig für mich, literarisch das aufmotzen wollen, wo eben sehr wenig da ist.
WELT: Woran mag das liegen?
Fauser: Das sind Leute, die alle die gleiche völlig verwechselbare Existenz führen, identische Möbel, identische Bücher, identisches Essen, identische Frauen, die sie absolut identisch vögeln. Sie reden das Gleiche, wählen das Gleiche, fahren im Urlaub auf dieselbe griechische Insel, hören die gleiche Musik.
WELT: Ja, wen soll man denn lesen außer deinen toten Lieblingen Chandler, Joseph Roth, Bukowski oder Benn?
Fauser: Wolf Wondratschek ist ein begeisterungsfähiger, dabei distanzierter Zeitgenosse, fern jeden Gruppenmiefs, nüchtern und romantisch zugleich; einer, der sich auskennt, auch über Wege und Gefährdungen.
WELT: Aber auch nicht mehr der Jüngste. Wo finden wir gute, junge Autoren?
Fauser: Wo, wenn nicht am Rand der großen Städte, auf dem Pflaster, das den Strand bedeckt, sollten wir ihnen begegnen? Wo hätten wir sie nötiger? Wo, wenn nicht in unserer Fantasie, ist der Ort, an dem ihr Schatten Bild und Realität verschmilzt?
WELT: Du holst deine Ideen auch einfach unter den Pflastersteinen hervor?
Fauser: Man stiehlt vom Leben was und setzt das um – und das ist dann, wenn’s gut wird, etwas Eigenes, etwas Neues, Frisches. Aber der Schriftsteller ist eine Art Tourist im Leben. Ein diebischer Tourist.
WELT: Du willst wieder aufbrechen wie ein Tourist, warum diese ständige Unruhe?
Fauser: Nichts ist sinnloser als ein Leben, das zu lang ist.
WELT: Aber du bist tot, was soll das bedeuten?
Fauser: Irgendwann gehn sie alle ins All, aber jetzt sind alle noch hart am Ball, hart am Ball!
WELT: Die Rechnung bitte!
Fausers Antworten entnahmen wir seiner Prosa, journalistischen Arbeiten, Interviews, Songtexten und Briefen. Im Diogenes-Verlag sind im Rahmen einer Werkausgabe gerade die Romane „Rohstoff“ und „Das Schlangenmaul“ sowie der Sammelband „Rohstoff Elements“ erschienen.