Sie schafft es im allerletzten Moment, die wasserdichte Luke zu schließen, sich ihren Überlebensanzug überzustreifen und die Notsignale zu aktivieren. Im umgedrehten Innern der Rennyacht harrt Isabelle Autissier aus, wird zum Spielball des tosenden Südpolarmeers.
Es hat fast den Anschein, als habe sie abgeschlossen und sich zum Sterben zurückgezogen. Doch die 42-Jährige hofft weiter. 24 unendlich lange Stunden später hört sie schließlich in ihrem Gefängnis unter der Wasseroberfläche einen lauten Knall. Ihre Rettung naht. Das war vor 18 Jahren.
Bereits vor ihrer dramatischen Havarie und ihrer spektakulären Rettung hatte es Isabelle Marie Clotilde Autissier in die Geschichtsbücher geschafft. Die Französin, die am Dienstag ihren 60. Geburtstag feiert, war 1990/91 die erste Frau, die bei einer Regatta allein um die Welt gesegelt ist.
Im Nachhinein begründet sie ihre Rekordfahrt und Pioniertat, bei der sie den siebten Platz belegte, weniger romantisch, eher pragmatisch: „Wenn du eine Frau bist, ist es bis heute schwer, in Top-Teams aufgenommen zu werden. Es war einfacher, allein zu segeln.“
Allein ist sie auch 1999 bei der Regatta „Around Alone“ unterwegs, als Favoritin geht sie ins Rennen, und alles scheint gut zu laufen. Bis am 15. Februar 1999 die Selbststeueranlage ihrer Yacht versagt.
Sie befindet sich auf halbem Weg zwischen Neuseeland und Kap Hoorn, tief unten im eisigen Südpolarmeer, fast 2000 Seemeilen entfernt von der südamerikanischen Küste. Rettungen aus der Luft sind in dieser Region aufgrund der großen Distanzen nicht möglich.
„Ich hatte gerade geschlafen. Draußen herrschten 30 Knoten Wind. Nichts Besonderes für mich oder mein Boot“, erinnert sich die 59-Jährige, „doch es kam zu einer unfreiwilligen Halse des Autopiloten. Ich versuchte noch, an Deck zu kommen, doch das Boot hatte bereits 100 Grad Schräglage. Die Segel füllten sich mit Wasser, und es kenterte.“
24 Stunden schwebt sie zwischen Hoffen und Bangen. Dann knallt es. Ihr italienischer Regatta-Konkurrent Giovanni Soldini hat nach mehreren ungehörten Rufen einen Hammer auf Autissiers Boot geschleudert – in der Hoffnung, dass die Französin noch lebt.
Durch die Notluke klettert sie heraus, und Soldini hievt sie mit einer Leine zu sich an Bord. Dann setzt er einen Funkspruch ab: „Ich habe Isa bei mir an Bord. Wir steigen wieder ins Rennen ein. Gio.“ Die Segelwelt, die um das Leben ihrer berühmtesten Sportlerin gefürchtet hatte, atmet auf.
Die „Superwoman“ des Segelbusiness
Schon als Teenager weiß die gebürtige Pariserin, was sie eines Tages machen will: einmal allein um die Welt segeln. Ermutigt wird sie von ihrem wassersportbegeisterten Vater, der verschiedene Fahrtenyachten besitzt.
Mit 19 bricht sie zu ihrem ersten großen Abenteuer auf; sie überquert den Atlantik und segelt nach Irland. Zwölf Jahre und einige Regatten später erfüllt sie sich ihren Traum und bricht zu ihrer ersten Solo-Weltumseglung auf, dem BOC Challenge, einem Rennen in vier Etappen.
Die damals 32-Jährige will aber nicht nur teilnehmen, sie will gewinnen. Auf der zweiten Etappe bricht jedoch der Mast ihrer Yacht. Ein Rückschlag, aber kein Grund aufzugeben. Mit Notrigg erreicht sie den nächsten Hafen, lässt den Schaden reparieren und setzt das Rennen erfolgreich fort.
Als Autissier später auch noch einen Weltrekord mit einer gemischten Crew aufstellt und die Route von New York nach San Francisco in nur 62 Tagen bewältigt – zwei Wochen schneller als die bisherige Bestmarke – wird sie von der Presse als „Superwoman“ und „Überfliegerin“ gefeiert. Die Ingenieurin für Meereswissenschaften und Fischereiforschung lebt ihren Kindheitstraum. Doch der ist nicht ungefährlich.
Bei der Regatta „Around Alone 1994/1995“, ihrer zweiten Solo-Weltumseglung, legt sie einen Traumstart hin und gewinnt dank herausragender Navigationsleistung die erste Etappe souverän. Während ihre Gegner nach dem Startschuss einen südlichen Kurs einschlagen, segelt sie als Einzige gen Osten, umschifft so die Flautenfallen treffsicher.
Auf halber Strecke umgewalzt
In Frankreich löst ihr Blitzstart eine Begeisterungswelle aus. Eine Seglerin, die ihre rein männliche Konkurrenz derart deklassiert, das hat es nie zuvor gegeben.
Dann aber verliert Autissiers Yacht „Ecureuil Poitou-Charentes 2“ in einem Sturm im Indischen Ozean den Mast. Sie muss ein Notrigg stellen und erreicht die Kerguelen.
Dort wird das Boot repariert und erhält einen statt 26 nur 15 Meter hohen Ersatzmast; dennoch setzt sie ihre zweite Etappe mit Kurs auf Sydney fort. Mit einem damals sagenhaften Budget von dreieinhalb Millionen Mark und sieghungrigen Sponsoren an ihrer Seite ist Aufgeben keine Option.
Doch dann braut sich ein heftiger Sturm zusammen. Auf halber Strecke zwischen Australien und der Antarktis wird Autissiers Yacht in den 40er-Breitengraden, den „Roaring Fourties“, von einer haushohen Welle umgewalzt.
Das Boot der Französin kentert durch, verliert erneut sein Rigg und Teile des Decks. Die Skipperin selbst hat Glück im Unglück, weil sie beim Durchkentern gerade unter Deck im Vorschiff ein Segel repariert und nicht in der Navigationsecke sitzt, von wo aus die eindringenden Wasserströme sie leicht hätten mit sich reißen können.
Ihrer Familie schreibt Isabelle Autissier später: „Dreißig Knoten Wind, schwarze See, weinender Himmel. Es ist nahezu nichts mehr an Deck, nichts geblieben von meinem Traum.“ Das Signal ihres Notfallsenders wird von einem Satelliten aufgefangen und erreicht die australische Seenotrettung am 28. Dezember 1994.
Am Neujahrsmorgen 1995 wird Autissier von einem Helikopter geborgen, der sie per Seilwinde an Bord der Fregatte „Darwin“ hievt. Die von der Gewalt des Südpolarmeeres demolierte Yacht ist nicht mehr zu retten.
Autissier glaubt an Eigenverantwortung
„Angst haben wir alle“, pflegte Isabelle Autissier vor all ihren großen Regatten zu sagen. Und Angst hatte sie auch bei ihren Havarien. Doch erst nach dem zweiten Südpolarmeer-Drama, bei dem sie von Soldini gerettet wurde, zieht sie die Konsequenz. 1999 tritt sie ab: „Jetzt ist Schluss. Das war über zehn wundervolle Jahre mein verrückter Job mit großartigen Abenteuern, großartigen Freunden, großartigen Gefühlen.“
Heute lebt die Frau, die nicht an Gott, sondern Eigenverantwortung glaubt, in La Rochelle. Sie verdient ihr Geld als Reporterin und als Rednerin, ist außerdem Präsidentin des World Wildlife Funds in Frankreich.
Ihre Rekordfahrt vor einem Vierteljahrhundert betrachtet sie heute differenziert: „Ich hatte die Herausforderung als Mensch und nicht als Frau angenommen. Dann kamen am Ende der BOC Challenge alle diese Fragen nach der historischen Leistung. Ich weiß, dass meine Leistung vielen Frauen Mut gemacht hat. Ich bin stolz darauf, dass ich anderen auf diese Weise helfen konnte. Die Leistung selbst würde ich als nichts Besonderes beschreiben.“
Mittlerweile segelt Isabelle Autissier nur noch zum Vergnügen. Sie hat ihre Träume gelebt. Nur einen, erzählt sie, hat sie nie umgesetzt: „Ich wäre gerne einmal im Weltraum gewesen. Aber dafür ist es jetzt wohl zu spät.“
Das Buch „Frauen, die segeln. 30 Porträts“ von Tatjana Pokorny und Lasse Johannsen erscheint am 31. Oktober bei Delius Klasing (168 Seiten, 22,90 Euro).