Karen Duve ist für mich eine der größten Gegenwartsautorinnen – das gleich vorweg und mit dieser Erwartungshaltung bin ich an „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ gegangen. Eine der größten unserer Zeit schreibt über Annette von Droste-Hülshof, eine der größten des 19. Jahrhunderts. Die Messlatte lag also durchaus hoch.
Jürgens herbstliche Reizwortgeschichte Nr. 2
Eduard Mörike: Septembermorgen Im Nebel ruhet noch die Welt, noch träumen Wald und Wiesen: Bald siehst du, wenn der Schleier fällt, den blauen Himmel unverstellt, herbstkräftig die gedämpfte Welt in warmem Golde fließen. Fällt mir spontan dazu ein: Läuft da nicht was grundfalsch in unserer Welt, wenn man von der täglichen Arbeit dermaßen geschlaucht ist, […]
Bücher hören
Als ich kürzlich mit dem Fahrrad zu Hause auf dem Hof ankam, sprach mich ein Nachbar an. Ich deutete auf die Kopfhörer in meinen Ohren und bat ihn mit einer Geste zu warten, bis ich den an den Kopfhörern hängenden MP-3-Player ausgestellt hatte. Freundlich-missbilligend sagte er: „Heavy Metal auf der Straße?“
Jürgens herbstliche Reizwortgeschichte Nr.1
Rainer Maria Rilke: Herbsttag Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren lass die Winde los. Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein; gib ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin, und jage die letzte Süße in den schweren Wein. Wer […]
Was passierte mit Gregor Samsa?
Wer kennt nicht den berühmten ersten Satz aus der „Verwandlung“ von Franz Kafka: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ Zwei Stichproben aus dem Internet zeigen, wie der Satz häufig wahrgenommen wird. Bei Wikipedia heißt es, dass Gregor Samsa in ein Ungeziefer […]
Goldener Oktober
Vor unserem Haus in Korea, stand ein acht Jahrhunderte alter Ginkgobaum. Acht oder neun erwachsene Männer konnten den Stamm des gewaltigen Baumes gerade umarmen. Bei einer Einladung in das Goetheinstitut in Seoul, zur Lesung von Peter Bichsel, sah ich im Treppenhaus das Gedicht Gingo biloba von Goethe. Irritiert war ich etwas über die Schreibweise, doch […]
Horst-Dieter liest: Peter Schneider – Vivaldi und seine Töchter
Es ist vier Jahrzehnte her, da saß ich in einer Aula und das Schülerkonzert wurde von der Musiklehrerin eingeleitet. Es sollte ein Concerto Grosso von Händel geben. Die Rednerin stellte ihn kurz biografisch vor und erzählte dann, dass er neben den üblichen Instrumenten wie Cembalo und Violine auch Zither hätte spielen können. Ich war damals […]
Mein Sommerbuch für immer
Ich war dreizehn, knapp vierzehn. Und hatte mir vorgenommen, in den Ferien einen ganz bestimmten Roman zu lesen. Seit ich denken konnte, stand er in Form von drei schmucken, in Leinen gebundenen Bänden bei uns im Bücherregal: Kristin Lavranstochter von Sigrid Undset. Meine plötzliche Neugier auf das Buch, von dem ich bis dato nur wusste, […]
Das Leben als Puzzle – Georg Perec: Das Leben Gebrauchsanweisung
Ein Roman der tausend Geschichten, zum Beispiel vom Mann, der die Wörter auslöschte, oder über die Frau, die dreiundachtzigmal den Teufel erscheinen ließ, bis hin zum Akrobaten, der nicht mehr vom Trapez herunterwollte, – kurz, Geschichten von den 99 Räumen und ihren Bewohnern eines Pariser Stadthauses, das alles und noch viel mehr bietet „Das Leben […]
Winterleid
Der Winter ist ein rechter Mann, kernfest und auf die Dauer, sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an und scheut nicht süß noch sauer. Ich mag den Winter und habe das hier und da mit Texten auch schon dokumentiert. Doch immer wenn ich etwas ganz besonders mag, lohnt es sich meist, ein wenig darüber nachzudenken. […]