Das
Internet stellt Künstlerinnen und Künstlern ein neues Medium
für Experimente mit textueller Subjektivität zur Verfügung,
was der Hauptgrund dafür ist, daß ich mich am Live-Online-Theater
der Plaintext
Players beteilige.
Es ist nun schon fast fünfzig Jahre her, daß Jacques Derrida die
inzwischen berühmte Parole "Es gibt kein Außen
des Textes" ausgegeben hat. In jeder Aufführung erarbeiten die
Plaintext Players
eine rein textuelle Welt. Wir loggen uns ein in einen Chat-Raum,
der speziell dazu programmiert ist, es uns zu gestatten, mit Worten
zu sprechen, zu handeln und zu denken, eine verbale Bühne entstehen
zu lassen, uns gegenseitig die Rollen zu stehlen, oder neue Rollen aus dem
Stehgreif zu erfinden.
Das
Publikum, unabhangig davon, ob es live in einer Galerie anwesend
oder an seinen privaten Computern eingeloggt ist, sieht Zeile um Zeile
den Text, während er
geschrieben und heraufgeladen wird. Zwischen den Szenen
und am Ende einer Aufführung nimmt das Online-Publikum am Spielgeschehen
teil, indem es sich selbst auf dem Bildschirm spielt. Auf diese Weise
benutzen wir das Internet live als ein Medium für unsere
Kunst. Subjekt
und Objekt haben beim Online-Theater denselben Status: beide sind
Text. Schädel sprechen, tote Charaktere kommen zurück, der
Theatervorhang kritisiert die Performance. Ich
habe die Freiheit, eine fragmentierte Geschichte in der Maske
meiner Hauptfigur zu erzählen und gleichzeitig objektive
Korrelate, sexuelle Phantasien oder
künstlerische Verzweiflung durch anonyme
Bühnenanweisungen auszudrücken. Jede dieser
Modalitäten vermittelt etwas, das höchst bedeutsam, aber
weit davon entfernt ist, persönlich zu sein. Beim
Internet-Theater lasse ich die Persönlichkeit zugunsten einer
größeren Bandbreite performativer textueller
Subjektivität zurück.
Unsere
jüngste Aufführung mit dem Titel Virtual Live (2002)
fand sowohl online als auch in
Location One statt, einer
Galerie in New York, die ein besonderes Interesse an Online-Performances
hat. Teil der Aufführung waren die Plaintext
Players, Online-Gäste, live Schauspieler, manipuliertes
streaming video und eine Publikumsdiskussion.
Es ging mir aber dabei nicht einfach nur um Theatralität, sondern vorrangig
um textuelle Subjektivität.
In unserer gegenwärtigen
Reihe Roman Forum spielte ich Poppaea, die Geliebte und
spätere Frau von Kaiser Nero, die nach ihrem Tod als
Göttin verehrt wurde. Mit Poppaea habe ich eine Figur
entwickelt, die auf eine Frage antwortet, die heute nicht weniger
dringend ist als im antiken Rom: Was ist der beste Weg zur Macht
für eine Frau?
Meine Poppaea ist eine Mischung aus aufstrebender Römerin, Göttin,
Hillary Clinton und mir selbst. Ich spiele auch Poppaeas alter ego,
den Geist ihrer verstorbenen Vorgängerin. Poppaea besteht aus
ihren Liedern, Geschichten, politischen Tiraden, Zitaten und
zugehörigen Gegenständen, aus dem, was sie getan hat und
dem, was sie ungetan ließ. Ihre Bühneninkarnation, die von
einer Schauspielerin live improvisiert wird, spricht den Text der
Online-Poppaea und liest zugleich Zeitung. Poppaea wird
gleichermaßen durch die Reaktionen der anderen Plaintext
Players geschaffen, die sie übrigens für eine Schlampe
halten. Sie wird von seltsamen Begierden
getrieben, die dem hypnotischen Zustand entspringen, der sich einstellt,
wenn man zu lange eingeloggt ist. Als Poppaea habe ich erkannt, daß
es mein Traum ist, Kaiserin von Brooklyn zu sein. Die Chancen, das im
wirklichen Leben zu werden, sind gering. Doch wenn ich mich einlogge,
stelle ich fest, daß der unbändige Griff von Online-Verblendungen im
klassischen Sinne kathartisch ist.
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