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no. 18: die jüngste epoche
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Die 80er Jahre im MuseumEine Begegnung mit den Neuen Wilden |
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von Stephanie Singh |
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Die Karlsruher Ausstellung Obsessive Malerei -- Ein Rückblick auf die Neuen Wilden präsentierte deutsche Malerei der frühen 80er Jahre. Die Diversität der gezeigten Werke kontrastiert mit dem im Katalog unternommenen Versuch, einen 'Zeitgeist' zu destillieren. Aufgrund dieses Spannungsverhältnisses bietet der 'Rückblick' zugleich einen Ausblick auf eine interessante Diskussion, die nicht nur kunsthistorisch relevant ist, sondern auch im Kontext der gegenwärtigen Renaissance der 80er Jahre steht. |
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Unter dem Titel Obsessive Malerei -- Ein Rückblick auf die Neuen Wilden wurde vom 27. September 2003 bis 4. Januar 2004 im Museum für Neue Kunst in Karlsruhe deutsche Malerei der 80er Jahre gezeigt. Der 1980 geprägte und schon bald etablierte Begriff Neue Wilde umfaßt drei regional voneinander unabhängige Künstlergruppen, die in den späten 70er und frühen 80er Jahren in Berlin, Köln und Hamburg arbeiteten und sich als Opposition zur etablierten, intellektuellen Minimal und Concept Art verstanden. Diese beiden Strömungen entwickelten sich in den 70er Jahren als Reaktion auf die Pop Art. Während die Skulpturen der Minimal Art sich eines reduzierten, häufig seriell eingesetzten Formenvokabulars bedienten, inszenierte die Concept Art vorrangig die systematische Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Methoden und Erkenntnissen. |
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Es scheint kein Zufall zu sein, daß die 80er Jahre jetzt, da sie in Form unterschiedlichster Reminiszenzen modisch, musikalisch, literarisch: als Epochenkommunikation en vogue sind, auch zum Diskussionsgegenstand der Kunsthistoriker und der kunstinteressierten Öffentlichkeit werden. Ein solcher Rückblick ist aus Sicht der Ausstellungsmacher zudem geboten, da, so der einführende Text im Katalog etwas unbeholfen, "ein abschließendes Urteil über diese [...] Strömung bis heute aussteht". Da aber das Fehlen abschließender Urteile über Kunst nicht immer einen Mangel darstellen muß, sondern vielmehr vorurteilsfreie Annäherungen an verschiedene Interpretations- und Bewertungsstandpunkte ermöglicht, bietet sich vielleicht gerade hier die Chance, im Angesicht der großformatigen, farbigen Leinwände der Neuen Wilden etwas über 'die 80er' zu erfahren. |
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Die in der sehr gelungenen Ausstellung gezeigten Arbeiten wurden entsprechend den künstlerischen Zentren der Neuen Wilden in drei Gruppen zusammengefaßt. Thematisch und stilistisch sind die Arbeiten äußerst divergent, selbst innerhalb der einzelnen Gruppen. |
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Die 'wildesten' Gemälde, die oft auch als "neo-expressionistisch" bezeichnet werden, entstanden in der Berliner Gruppe (Rainer Fetting, Helmut Middendorf, Salomé, Bernd Zimmer). In kräftigen bis grellen Farben thematisieren sie die individuellen Erfahrungswelten der Künstler. Fetting war Drummer, Middendorf Gitarrist; man traf sich im Kreuzberger Club SO 36 So ist eines der zentralen Motive die Berliner Club- und Musikszene, leuchtend blau und rot eingefangen in Middendorfs Darstellungen Tanzender im Stroboskoplicht. Das Triptychon nennt er Großstadteingeborene (1980). |
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Ein zweites prominentes Thema ist das wachsende Selbstbewußtsein der schwulen Subkultur, die sich vor allem in Salomés offenen Inszenierungen schwuler Sexualität ausdrückt (zum Beispiel Fuck II; Fuck III, 1977), aber auch in Fettings Duschbilder-Zyklus zutage tritt. |
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Subjektive Perspektivierung und individuelle Erfahrung prägen auch die Arbeiten der Kölner Gruppe (Hans Peter Adamski, Peter Bömmels, Walter Dahn, Jiri Georg Dokoupil, Gerard Kever, Gerhard Naschberger), die allerdings stilistisch und thematisch kaum Gemeinsamkeiten mit den Berlinern aufweisen. Dem Betrachter begegnen surrealistische (Dokoupil) und cartoonartige Elemente (Dahn), manchmal sind Zitate und Parolen in die Bilder integriert. Gemeinsamkeit stiftet scheinbar einzig der Protest gegen die etablierte Kunst, radikal umgesetzt beispielsweise in einem Gemeinschaftswerk mit dem beredten Titel Kotzer III (Dokupil/Dahn, 1980). |
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Die Protesthaltung steigert sich auf formaler Ebene noch in der Hamburger Künstlergruppe um Werner Büttner, Martin Kippenberger und Albert Oehlen. Ihre meist dunkel getönten Bilder kennzeichnet eine Programmatik der absichtlichen Unzulänglichkeit; der Katalog spricht vom "bewußten Bekenntnis zur dilettantischen [...] Malerei" und von einer "offensichtlich falsch gemalten und übermalenden" Darstellungsweise, die Albert Oehlen einmal in der Frage zusammenfaßte: "Kann man es erreichen, daß jemand Augenkrebs bekommt vom Angucken?" Diese Haltung unterstreichen zynische oder ostentative Nonsens-Titel wie Nous n'avons pas de problèmes, tant qu'elles ne se mettent pas à être en vogue oder Gitarren, die nicht Gudrun heißen (Kippenberger 1986 und 1981). |
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Die drei unterschiedlichen Künstlergruppen eint also die Opposition zum etablierten Kunstbetrieb, wie sie Albert Oehlen zum Ausdruck bringt: "Als wir anfingen, war der ganze Komplex [der etablierten Kunst] eine bürgerliche Scheiße für uns. Weil wir nämlich daran interessiert waren, herauszukriegen: 'Wie könnte Kunst eine echte Wirkung haben?'" Die Konsequenz dieser Haltung war die Rückwendung zur gegenständlichen Darstellung, die einem Hunger nach Bildern (so der Titel eines Bandes über deutsche Gegenwartskunst von 1982) zu entsprechen schien und den Neuen Wilden auch viel Kritik einbrachte. Diesen "Rückfall in die Malerei" (Heinrich Klotz) verdeutlichte die Ausstellung, indem sie einige Vertreter der zu Antagonisten erklärten Künstler (Georg Baselitz, Anselm Kiefer, Sigmar Polke, Gerhard Richter) mit einer kleinen Auswahl innerhalb eines quer durch die Halle verlaufenden "Zeittunnels" als Vergleichsmoment präsentierte. Damit fokussierte die Ausstellung -- zu Recht -- die Oppositionshaltung der Künstler als gemeinsames Charakteristikum. |
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Bemerkenswert ist, daß die künstlerischen Programmatiken über diese Position und die damit verbundene Inszenierung subjektiven Erlebens hinaus keinerlei Alternative aufzuzeigen scheinen. |
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"Statt eine Utopie zu verfolgen, dokumentieren ihre Bilder den Ist-Zustand. Der Verzicht oder das Versagen, eine visionäre Utopie zu entwickeln, ist das vielleicht bezeichnendste Zeitgeist-Phänomen der achtziger Jahre und eine Erklärung dafür, warum diese Dekade heute wieder so stark rezipiert wird." (Ulrike Gehring im Begleitkatalog) |
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Die 80er Jahre, wie sie die Neuen Wilden sahen, finden sich also weniger in einzelnen Motiven auf der Leinwand oder in stilistischen Charakteristika, sondern in einer radikal gegenwartsbezogenen Grundhaltung, die sich dem Betrachter der Bilder ex negativo -- nämlich aus der Absenz extrapolierbarer Perspektiven -- erschließt. Heiner Müllers einst angestellter Vergleich zwischen Literatur und Malerei der 80er Jahre zeigt, daß dieser Umstand nicht erst retrospektiv so erscheint, sondern durchaus schon in den 80er Jahren erkannt und kritisch reflektiert wurde: |
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"Literatur ist auf jeden Fall so etwas wie Gedächtnis -- und zwar auch Erinnerung an die Zukunft, als Erinnerung an etwas, das nicht existiert oder existiert hat. [...] Und wenn ich unter diesem Gesichtspunkt versuche, [...] eine Differenz zwischen bildender Kunst und Literatur zu bezeichnen, dann finde ich Kunst fragwürdiger. In den westlichen Industrieländern, das ist hier in Westberlin auffällig, herrscht die totale Besetzung mit Gegenwart. Alles ökonomische Potential wird aufgeboten für eine totale Besetzung mit Gegenwart, zur Auslöschung von Vergangenheit und zur Auslöschung von Zukunft." (Aus dem Interview Fünf Minuten Schwarzfilm im Katalog zur Ausstellung BiNATIONALE von 1988) |
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Zwischen den Zeilen transportiert Müllers Analyse das Unbehagen an einem Gegenwarts-Bild ohne historiographischen Rahmen. Hier treffen sich Gehrings und Müllers Einschätzungen: Das Momentane, nicht in Zusammenhängen Verortete ist stets auch beunruhigend. Vor diesem Hintergrund gerät der Hinweis des Karlsruher Katalogs auf das Fehlen eines abschließenden Urteils zum Indiz sehnsüchtiger Erwartung retrospektiver Sinnzuweisung. Einem Verständnis der 80er Jahre der Neuen Wilden aber ist damit kaum gedient. |
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Den 80ern und allem, was diese Etikettierung an Assoziationen bereithält, kam die Autorin beim Gang durch die Ausstellung nur auf sehr indirekte Weise nahe; vereinzelt schienen sie in neongrellen Farben oder in Graffiti-Elementen aufzublitzen. Die Unterschiedlichkeit und Individualität der Bilder überlagerte jedoch schnell solche Zuordnungsversuche -- und ließ im übrigen auch die Verweigerungshaltung der Wilden in den Hintergrund treten. Im Gedächtnis bleiben einige Momentaufnahmen der Alltags- und Subkultur, die gerade aufgrund der sich in ihnen aussprechenden Gegenwärtigkeit seit den 80er Jahren nicht an Aussagekraft verloren haben. |
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Den Eindruck, daß diese gegenwartsorientierte Grundhaltung für die Kunst der 80er Jahre insgesamt prägend war, bestätigt ein Blick auf die zeitgenössische internationale Kunstproduktion. Eine solchermaßen erweiterte Perspektive wurde in der Ausstellung leider nicht eingenommen. Der Versuch der Ausstellung, die Kunst der 80er Jahre neu zur Diskussion zu stellen und dem 'Zeitgeist' auf die Spur zu kommen, hätte durch eine Reflexion des internationalen Horizonts noch an Überzeugungskraft gewonnen, und gerade der Katalog wäre als Forum solcher Bezugnahmen geeignet gewesen. Die Concept Art war ein internationales Phänomen, dem sich nicht nur die Neuen Wilden entgegenstellten. Der US-amerikanische Wild Style oder die französische Figuration Libre bieten Kontextualisierungsmöglichkeiten, die eine Diskussion der Malerei zu Beginn der 80er Jahre nicht ungenutzt lassen sollte. |
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(Alle Katalogabbildungen mit freundlicher Genehmigung des Hatje Cantz Verlages) |
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autoreninfo
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Stephanie Singh Studium der Komparatistik, Germanistik und Philosophie in Tübingen, Aix-en-Provence, Strasbourg und München. Dissertation über Literatur als interdiskursive Krisenreflexion am Beispiel der Biotechnologie.
Veröffentlichungen:
"Karel Appel: Chaos und Freiheit" [Übersetzung aus dem Französischen], in: Künstler. Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst 32, H. 26 (1995), 14. -- Le Pens Hilfsarbeiter, in: Laubacher Feuilleton 20 (1996), 15. -- "Ludwig Uhland", in: Internationales Germanisten-Lexikon, hg. v. Christoph König, 3 Bde. u. CD-ROM. Berlin/ New York 2003, 1918-1920. -- "Anni Carlsson", in: Internationales Germanisten-Lexikon, hg. v. Christoph König, 3 Bde u. CD-ROM. Berlin/ New York 2003, 314-316.
E-Mail: stephanie@singh.de |
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