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no. 11: virtuelle städte -> kleinstadt
 

Kleinstadt, ganz groß

von Rem Yajic

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Die Realität ist Hollywood in Florida zuvorgekommen. Der Versuch, sich in Die Truman Show einer hier sozusagen real existierenden Filmkulisse zu bedienen, erweist sich als fatale Entlarvung genau der Prinzipien, nach denen die mustergültige Kleinstadtarchitektur konzipiert worden ist.

 

Wieder einmal ist die Realität bizarrer als die Fiktion, und das, obwohl die hier zur Debatte stehende Fiktion schon selbst die Fragilität der Realität aufs Korn nimmt. Das Städtchen Seahaven Island ist das Filmset im Filmset: die Kulisse, auf der im Film Die Truman Show (1998) die Fernsehserie Die Truman Show gespielt wird. In welcher wiederum Jim Carey als ahnungsloser Truman Burbank in seinem alltäglichen Leben herumirrt, in der fälschlichen Annahme, es handele sich dabei um die 'Wirklichkeit'. Er braucht dreißig Jahre seines Lebens, um dem Spielchen auf die Schliche zu kommen und die Virtualität seiner Umwelt, die eigens für ihn gebaut worden ist und täglich von zahllosen Schauspielern angefüllt wird, zu begreifen. Der Schöpfer der Fernsehserie preist Seahaven Island als die bessere Realität: ein friedliches, antiseptisch sauberes Kleinstadtamerika, in dem der Quietismus der fünfziger Jahre scheinbar nie vorbeigehen will, unabhängig vom Baujahr der Autos in jeder Einfahrt. Die Fernsehzuschauer, für die die Serie Die Truman Show zum Lebensinhalt wird, können sich so 24 Stunden am Tag in eine Realität hineinfantasieren, die der ihrigen höchstens nominell entspricht.

Als Burbank endlich an die Grenzen seiner Welt, d.h. an die Wand des gigantischen Filmsets gestoßen ist, versucht der geistige Vater der Show, Christof, ihn noch zurückzuhalten mit dem Versprechen der absoluten Sicherheit. Die Welt 'da draußen' sei nicht wahrer als die Welt des Filmsets, auf dem Burbank seit seiner Geburt durch trickreiche Manöver festgehalten und angelogen worden ist. Auch außerhalb von Seahaven Island gebe es Lügen, so der Manipulationsexperte, aber nur hier könne er sicher sein, daß ihm nichts geschehe. Ausschaltung von Kontingenz als Standortvorteil, sozusagen.

Die Realität ist nun der düsteren Dystopie einer Big-Brother-Stadt bereits voraus, in welcher der Bewohner nicht freiwillig in den Container steigt, um eine Viertelmillion zu verdienen, sondern bereits vor seiner Geburt für eine vielleicht vergleichbare Summe an den Entertainmentkonzern OmniCam verkauft worden ist. Genau jenes Versprechen, das der Fernsehregisseur seinem Star wider Wissen (und -- als er Wind bekommt -- auch wider Willen) gibt, verheißt nämlich nicht nur Seahaven Island, sondern gleichfalls Seaside, Florida. Es liegt, wie der Name andeutet, nicht auf einer Insel, sondern an der Golfküste im nordwestlichen Teil des Sunshine State. Das Städtchen, in welchem der Film, welcher seinerseits die Fernsehserie zeigt, gedreht wurde, repräsentiert genau jenes Bedürfnis nach Sauberkeit, Ordnung und Sicherheit, das im Film thematisiert wird. Die Location Scouts aus Hollywood können unmöglich per Zufall auf diesen Ort verfallen sein: hier nämlich sieht es tatsächlich wie auf einer Filmkulisse aus. Alle Häuser sind blitzblank, es gibt von jeder Sorte Laden genau ein Exemplar, die Architektur von allem ist in leichtem weißen Holz und mediterranem Stil perfekt aufeinander abgestimmt, es gibt einen Marktplatz, ein Rathaus, eine kleine Stadthalle, ein sorgsam ausgewähltes Sortiment ethnischer Restaurants. Kein Stäubchen, keine ortlosen Subjekte, keine überdimensionierten Werbeplakate, keine mit Tankstellen, Autohändlern und Fast-Food-Restaurants gesäumte Ausfallstraße.

Wenn es diese Stadt nicht gäbe, man hätte sie für Peter Weirs Film bauen müssen. Aber es gab sie schon -- und das durchaus nicht im Verborgenen. Im Gegenteil: Seaside gilt als eines der Aushängeschilder des sogenannten New Urbanism, jener Bewegung, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Tugenden der guten alten Kleinstadt wieder aufleben zu lassen und allen Entwicklungen in den Vereinigten Staaten zum Trotz die Stadtbilder demonstrativ zu de-fragmentieren. Mehr als 200 städteplanerische Projekte haben sich derzeit explizit den Leitlinien des Congress for the New Urbanism verpflichtet, die die Schaffung kleiner, ethnisch und sozial homogener Kommunen vorsieht. So entstehen moderne Simulakra einer mittelalterlichen urbs, deren gegenwärtige Präsenz vor allem klarstellt, daß es sie so in der Vergangenheit niemals gegeben hat und eigentlich nicht geben kann. Jedenfalls nicht für jedermann. So wie in Die Truman Show die Stadt eigens für den Helden, in berechtigter Erwartung beispielloser Einschaltquoten, errichtet worden ist, so ist auch Seaside nur für eine ganz bestimmte Klientel gedacht: jene nämlich, die sich nicht nur der festgeschriebenen Bauästhetik unterordnen, sondern auch über das nötige Kleingeld verfügen. Abgesehen von den wie überall in Florida auch hier zu findenden Pensionären sind das vor allem Leute, die sich eben ein Ferienhaus an der Küste leisten können und für die dann unerheblich ist, daß hier von Infrastruktur und Arbeitsplätzen nicht die Rede sein kann. Sechzig Meilen weiter westlich in Pensacola oder dreißig Meilen weiter östlich in Panama City -- da, wo man arbeiten könnte, wenn man es müßte -- sehen die Straßen und Häuser dagegen ziemlich anders aus.

Als Gegenmodell zu einer Stadtentwicklung gedacht, die schon seit langem von Zentralität und Homogeneität weg und hin zu Verstreuung und Verschwinden tendiert, beweist Seaside genau das Gegenteil von dem, wofür es stehen soll. Das Heraufbeschwören einer idealen, lokal verankerten Gemeinschaft durch radikale städteplanerische Mittel -- die Reproduktion von Brasilia unter umgekehrten Vorzeichen, wenn man so will -- lebt allein von der suggestiven Kraft eines Symbolismus, der kein Korrelat außerhalb der eigenen Vorstellungswelt mehr findet. Hinter der Fassade der Mustergemeinde hat sich die 'gute alte Stadt' längst verflüchtigt und kann auf der grünen Uferwiese eben nur als Fassade, nicht als tragende Struktur neu errichtet werden. Insofern ist die filmische Abbildung von Seaside als Seahaven Island der ultimative Realismus, der den New Urbanism entlarvt: Die Truman Show zeigt, daß eine kontextbefreite Affirmation 'ursprünglicher' städtebaulicher Tugenden letztlich die Mutter aller virtuellen Städte ist.

 

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