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no. 3: unkultur
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Was ist dran an Disney/World? |
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von Thomas Wägenbaur |
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Euro Disney ist ein Flop. Was sich in den USA verkauft, verkauft sich in Europa noch immer nicht. Aber kein Grund zur Schadenfreude, so wie die Sache liegt, müßte doch der Unterschied zwischen Konzeption und Konsumption in den Griff zu kriegen sein. Nachhilfestunden für die Controler: der Kunde übt sich in Disney Kritik. |
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Vergessen wir einmal, was Lous Marin oder Jean Baudrillard an Disney World zu kritisieren hatten, gehen wir doch einmal selber hin und lassen uns von den kids Disney nicht etwa erklären, sondern zeigen. Was dann verblüfft, ist, daß gerade beim puren Kunden, die Disney-Ideologie nicht verfängt. Es wird zwar konsumiert, aber ganz anders als gedacht. Und wenn die Marktforschungsexpertise dann erscheint, ist sie bereits veraltet. |
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Disney World ist größer als Orlando zur einen und Cape Canaveral zur anderen Seite, aber das merkt der Kunde nicht beim Konsumieren, im Kaufrausch merkt er nichts von der Kontrolle. Er merkt nicht, daß hier "die Karte vor dem Territorium" kommt, daß die inszenierte Disney Welt drinnen mit der Welt draußen konspiriert, um zum Satellit des "Hyperrealen" zu werden -- Baudrillards Ausdruck für unser Zeitalter der Simulacra. Disney inszeniert konsumierbare Geschichten, um uns die unkonsumierbare Geschichte nicht merken zu lassen, aber das verfängt doch nicht, noch nicht einmal bei den kids. |
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Der Besuch in Denny's Restaurant ist für Kinder gratis. Auf dem Tisch liegen Plastik-Sets bedruckt mit der Speisekarte: Stone-Age spaghetti, sabertooth-chicken, brontosaurus-burger etc. "Was hat das Essen mit den Sauriern zu tun?", fragt mich Daniel, der das Essen satt hat, weil wir schon zum dritten Mal hier sind. "Es ist bloß die Masche mit der Verpackung", sag ich zu ihm. "Aber die Saurier haben sich gegenseitig gefressen." beantwortet Daniel seine eigene Frage. "Was haben wir mit den Sauriern zu tun?", fragt er weiter und David erklärt es ihm: "If these are prehistoric creatures, we must be posthistoric creatures." Bei uns müßten die Saurier eben fressen, was auf den Tisch kommt. |
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Disney World ist 'posthistorisch' -- als ob das möglich wäre -- zumindest soll uns diese Illusion vermittelt werden. Probleme gibt es keine, Erinnerung auch nicht, Daten und Namen werden verschwiegen. Disney versucht sich noch einmal in einer 'großen Erzählung', aber viel gibt es nicht mehr zu erzählen, alles Puppenspiel und Holographie. Schließlich, ein passiver Ritt in die Zukunft des Fortschritts, Dank der Konzerne, deren Motive nicht zur Sprache kommen, auch nicht in Frage stehen. |
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Vom Parkplatz bringt uns eine Bahn zum Magic Kingdom. Dort müssen wir uns entscheiden, ob wir mit der Fähre über oder mit der Bahn um einen der fünf Seen, die Cinderella's Castle umgeben, fahren wollen. David und Daniel wollen natürlich mit der Bahn fahren, weil sie schneller als die Fähre ist. Dennoch kommen wir zugleich mit den anderen vom Parkplatz an, denn die Bahn hat einen Umweg gemacht. David und Daniel sind etwas frustriert. |
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Temporalität wird in Disney World negiert. Die Zukunft ist ko-existent mit der Vergangenheit: Links herum geht's durchs frontier land, zu Tom Sawyer's boat ride und zu den Cowboys, rechts herum geht's zum Space Mountain und zu den Satellitenflügen. Vergangenheit und Zukunft sind von oben gesehen um ein Zentrum herum gruppiert. Von oben ist alles gleichzeitig, unten erlebt man alles nacheinander. Aufhebung der Zeit: keine Bezüge, keine Kausalität, keine kulturellen Unterschiede, kein Tod, nichts Anderes. All das ersetzt durch exzessiven Konsum, effizienten Service, Nippes-Angebote und endlose Schlangen. |
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Main Street, USA führt direkt zu Cinderella's Castle und sei eine authentische Nachbildung einer amerikanischen Kleinstadt um die Jahrhundertwende, sagt der Führer. Kein verstaubtes Museum, sondern ein belebtes Kaufhaus. Im alten Kino läuft ein alter Film, der Barbier schneidet Haare. Alles ist for sale. Nur der Weg zum Klo führt an modernen Spielautomaten vorbei, die es damals nicht gab. "Main Street" gibt es längst nicht mehr, aber hier. Kein Zeichen von Verfall und Veränderung, die Simulation ist perfekt, sie repräsentiert alles andere als eine main street um die Jahrhundertwende. Keiner stört sich jedoch daran, daß die main street hier um ihre Geschichte gebracht wird, wie sie mit dem Land zusammenhing, wie sie durch die Attraktivität der größeren Städte und der größeren Geschäfte dort langsam verkam. Verschwiegen wird der Zusammenhang, daß die alte main street verschwand wegen des Telephons, der Automobile, der Gas- und Ölindustrie, wegen AT&T, General Motors und Exxon. Denen, die das Idyll main street auf dem Gewissen haben, verdanken wir das Epcot Zentrum in Disney World. Täter und Opfer existieren hier gemeinsam um des Profits willen. Unsere Nostalgie wird geweckt und unmittelbar durch Konsum befriedigt, aber die Rechnung geht nicht auf. |
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Die Jungs kriegen nichts davon mit, sie haben ihr Programm: 3D movie, Space Mountain, Big Thunder, Haunted House. Dazwischen ist nicht viel. Um das Erleben geht es auch weniger als um das Erlebt-Haben, den Freunden zu Hause sagen zu können, sie haben die Dinge gemacht, die man tun muß. Sie haben es eilig und das entspricht genau der Verräumlichung der Zeit in Disney World. Erst durch die Wiederholung, dann, wenn es langweilig wird, ist man den Streß der Beschleunigung los. |
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Von dem 3D movie sind sie enttäuscht. Innen darf man die Brillen nicht absetzen, weil es die Augen gefährden würde. Nach außen darf man sie auch nicht mitnehmen, ebenfalls, weil es die Augen gefährden würde. Disney beherrscht die Tiefendimension, das soll einem klar werden, bevor man zu den anderen Attraktionen kommt. Abbildungen müssen dreidimensional sein, um uns den Triumph über das Original zu verschaffen, deshalb ist Jurassic Park so erfolgreich. Die Jungs hätten lieber einen besseren Film gesehen oder die Brillen mitgenommen, dann allerdings wäre ihnen der Betrug klar geworden. |
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Weiter geht es zum Space Mountain, was interessiert ist die Zukunft. David und Daniel wissen vorher schon, daß diese Erfahrung "cool" ist. Zum mountain geht es hoch, beim Fall erfährt man dann die Schwerelosigkeit des space. Space Mountain eine katachrestische Erfahrung: mountain steht eigentlich für die Loslösung von der Schwerkraft und space für das Gegenteil, die Kollision mit ihr. Hier entkommt man also nicht nur der Zeit, der Geschichte, sondern auch noch der physischen Körperlichkeit. Gleich daneben jedoch ist der Ort an dem die Raumfähre Challenger explodierte. Das sensationelle Szenarium von Space Mountain ist also ein Katastrophe, ein Szenarium das wirkliche Katastrophen völlig vergessen macht. Erst entzieht Disney World dem Besucher den Zeit- und Geschichtssinn und dann den Sinn für Bezüge. Haben wir Temporalität und Referentialität verloren, dann ist alles Simulation von Simulationen. Aber so ist es nicht. |
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Mit Space Mountain triumphierten wir über den Tod, überlebten wir den Aufprall, durch Atemporalität und Areferentialität. Mit dem Haunted House gelingt das Gleiche durch Holographie. Unsere Wagen laufen am Band durch die Geisterbahn, uns wiederfährt das Übliche: Spinnweben, Skelette, sprechende Köpfe in Gläsern ... und am Ende sehen wir uns im Spiegel, nur mit einem Geist neben uns. Die anderen sehen mich und ich sehe sie mit der Projektion des Geistes auf ihrem Körper und das ist wirklich gespenstisch. Ich beobachte ein Morphing von David und Daniel in Geister und sie kommen tatsächlich noch einmal mit einem Schrecken davon. |
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Big Thunder kommt nicht vom Donner, sondern von den Loren im Bergbau, die durch die Schächte donnern. Wir sitzen in diesen Wagen, es ist keine Kommunikation möglich, es ist auch kein Abstand zum Geschehen möglich. Draußen langweile ich mich, hier drinnen, mitten in der Beschleunigung gehen wir alle auf in der Bewegung. Hier steht kein Bewußtsein im Weg des Begehrens und jede Dialektik ist außer Kraft gesetzt. |
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Bei der nächsten Attraktion bin ich nicht dabei und schaue mich um: Schwitzende, müde Kleinfamilien; Väter, die stöhnend ihre Kameras zu reparieren versuchen; Mütter die sichtlich entnervt Windeln wechseln; Kinder, die miteinander streiten, mit ihren Strohhalmen ihre Cola zum Blubbern bringen, Pommes Frites auf den Boden fallen lassen usw. Eine Menschenmenge und keine die zufrieden ist. |
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Riskantes Territorium, zu dem die Karte fehlt. Hier gibt es Chaos und unerwartete Veränderungen, Auseinandersetzungen und handfeste Konflikte. Väter wollen nach Hause, Kinder möchten Souvenirs oder die eine oder andere Sache nochmal machen. Mütter wollen sitzen bleiben und ihre Ruhe haben. Außerhalb der Attraktionen und Sensationen, abseits der klimatisierten Dunkelheit und Anonymität, am Rande der "Karte vor dem Territorium" und eben auch mittendrin, findet sich wieder Temporalität und Referenzialität ein. Die Präzession der Simulacra ist nicht so absolut, wie Baudrillard sich das dachte, der vielleicht nie da war. Hat er die besinnungslose Begeisterung und die gelangweilte Wahrnehmung der anderen, also den Kontrast, überhaupt erlebt? Wir fahren zu unserem Motel, um für morgen, für das Epcot Zentrum fit zu sein. |
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Epcot ist ganz anders: das Wasser ist drinnen und nicht draußen, drum herum stehen die Häuser mit den Attraktionen, geordnet nach Technologien und nach Kulturen. Aber auch Epcot bietet ein historisierendes Schaufenster, in dem alles simuliert ist und nur von der Geschichte ablenken soll. Alles geht hier schneller als im Magic Kingdom, denn alles läuft auf Fließbändern, hier kann man nicht anhalten oder zweimal hinschauen wie im Museum. Man springt auf und wieder herunter, dazwischen gibt es nichts zu sehen. |
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Die Zeitalter der Technologie kommentiert eine Stimme, die man bei der nächsten Attraktion noch dasselbe sagen hört. Die Stimme läßt alles grandios erscheinen, nur nennt sie nie Namen oder Daten. Von Höhlenbildern ist die Rede, aber Lascaux wird nicht genannt. Griechen werden gezeigt beim Spiel, aber wir erfahren nicht welches. Der Beginn des Buchdrucks wird dargestellt, aber es fehlt ein Datum oder ein Name usw. Keine Daten und Namen, Beobachtung vom Fließband, kein Halt, der uns zum Nachdenken kommen ließe. Im Elektronikzeitalter dann Hektik, wir sehen uns selber im Bildschirm, wir sehen, wie wir bewegt werden, am Schluß erscheint der Name für alles: AT&T. Eine inhaltslose Erzählung und dann ein einziger Name, als ob die ganze Technologiegeschichte nur auf American als Vorname hinausliefe. Doch das war noch nicht das Ende, denn nun geht es aufwärts in die Zukunft mit dem Fließband, denn AT&T verspricht uns den Kosmos des Informationszeitalters. Das läßt uns den eigenen Tod vergessen und macht uns wieder zu posthistorischen Wesen, die sich selbst überlebt haben. Die Sternbilder, die wir sehen, gibt es nicht, sie sind simuliert. Wir haben es geschafft: nicht wir sind Teil des Universums, sondern das Universum ein Teil von uns, d.h. von AT&T. |
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Das ist der Ablauf auch in den anderen Häusern. The House of Motion fängt an mit dem Rad -- von Archimedes keine Rede -- und führt uns empor zur Offenbarung General Motors. Das Haus der Energie endet mit Exxon, das Haus der Landwirtschaft mit Kraft. Diese Konzerne sind nicht damit zufrieden, Waren massenhaft zu produzieren, sie möchten auch gerne noch die allgemeinen Kategorien (Kommunikation, Energie, Bewegung, Ernte), unter die sie fallen, selbst produzieren. Wenn sie dann noch die ganz Technologiegeschichte für sich reklamieren, verkaufen auch sie nicht nur Waren, sondern Zeitlosigkeit. Und nicht nur das, man hat als Zuschauer auf den Fließbändern das Gefühl, selbst massenhaft produziert zu werden. |
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Die Häuser der Technologie finden sich alle vorn am See, links kommen dann die Häuser Mexiko, China und Skandinavien, gegenüber liegen Deutschland, Italien, Japan, Marokko und Frankreich und rechts dann England, die USA und Kanada. Was haben diese Häuser zu tun mit den Häusern der Technologiegeschichte? Wo sind Rußland, Australien, Indien, Afrika und Süd-Amerika geblieben? Epcot heißt Environmental Prototype Community of Tommorrow. Im Namen der Zukunft wird hier jedes Land zum Prototyp. Waren David und Daniel bisher bloß Zuschauer, sind sie jetzt wieder Kunden. In Mexiko waren sie auf einem Schüleraustausch und das Mexiko-Haus ist leicht als Simulation entlarvt: es fehlen die Mexikaner vor den Ständen und nicht dahinter, es fehlt der Staub, das Geschrei, das Durcheinander. Nein hier sei es wie die Mexiko-Woche im Kaufhaus zuhause. Wir gehen in eine Bar und bestellen auf Spanisch und werden auf Englisch bedient. |
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So geht es in allen Häusern: von außen authentische Architektur, innen ersetzt Konsum die Kultur. Besonders leid tut einem Marokko, das einzige Land Afrikas: es belegt nur die Hälfte des Hauses, in der anderen Hälfte befinden sich die einzigen Toiletten auf dieser Seite des Sees. Im Frankreich-Haus bezahle ich unsere Cola bei einer jungen Frau, auf deren Namensschild Betsy steht. Ich frage sie, wie sie eigentlich und zwar auf Französisch heißt und sie antwortet in Englisch, einem Englisch mit französischem Akzent: "This is not my real name. We don't use our real names. We wear uniforms with American names." |
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Während Magic Kingdom alles vermeidet, was etwas anderes repräsentiert, versucht Epcot alles andere mitzurepräsentieren. Aber diese Andersartigkeit reduziert sich letztlich wieder auf eine einzige Äußerung und die ist Englisch. Die Environmental Prototype Community of Tommorrow spottet der Andersartigkeit, der Heterogenität, indem hier alle Kulturen dem Konsum untergeordnet werden, der nur eine Währung kennt. |
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Die Jungs sind restlos frustriert und jammern: keine Sensationen, keine Spiele, wenig andere kids, keine rechten Souvenirs. Die siebenstündige Wanderung um den See hat ihnen nichts gebracht. Daß hier alles nur simuliert ist, ist für sie so offensichtlich, wie die Erfahrung im Space-Mountain für sie echt war. Die ganze Selbstverherrlichung der Konzerne in Epcot ging an ihnen völlig vorbei. Andy Warhol meinte einmal:"Je länger du schaust und es bleibt immer das Gleiche, desto besser und leerer fühlst du dich" (sic). Das hatte sich Walt Disney ursprünglich nicht vorgestellt, daß Disney World über seine Redundanz und nicht seine Variabilität Wirkung entfaltet. |
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Baudrillard insistiert darauf: "Disneyland wird als imaginär präsentiert, um uns glauben zu machen, daß der Rest real sei." Da hat er nicht Recht, denn der Eintritt unterscheidet sich vom Austritt: am Anfang weiß ich es noch, am Ende weiß ich es aber nicht mehr recht, was wirklich und was imaginär ist. Aber gerade das müßte nach Baudrillard bezweckt werden. Dagegen hat Marin Recht: "Deshalb findet der Besucher, der die Realität am Eingang zurückgelassen hat, sie am Ausgang wieder aber als das wirklich 'Imaginäre'". Was uns diese Erfahrung vermittelt ist, was Baudrillard und Marin unterschätzen: der Mythos der Technologie. Disney World präsentiert sich als imaginär, ja, aber nur um den Preis der Unterdrückung einer transzendentalen Metaphysik, die Unterdrückung des "Realen". Eine Harmonisierung, die nur mit Hilfe der Technik gelingt. Disney World wird uns als imaginär präsentiert, damit wir daran zweifeln, daß der Rest real sei: um Geschichte kommt man herum, der Tod läßt sich aufschieben. Disney World soll einen Mythos verkörpern im Sinne Marins: "Ein Mythos ist eine Erzählung, die einen fundamentalen Widerspruch in einer Gesellschaft auf phantastische Weise 'löst'." |
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Die Gesellschaft sind die USA, der fundamentale Gegensatz ist die Tatsache, daß es die Zeit und den Tod noch immer gibt. Wir können zwar Maschinen, Simulacra und Doppelgänger erfinden, die ihr eigenes Leben haben, aber wir "erste Beweger und Schöpfer" sterben noch immer. Die phantastische Lösung, wenn man um Geschichte herumkommen will und den Tod bezweifelt, besteht darin zu glauben, wir würden schließlich die Technologie der Lebensverlängerung in den Griff bekommen. Aber das interessiert David and Daniel überhaupt nicht. Es sind zwei sehr verschiedene Dinge, ob ich die subjektive Zeitlosigkeit des Technik-Erlebnisses suche oder die objektive Zeitlosigkeit der Erlebnis-Technologie. Das eine bedeutet so etwas wie "Selbstverwirklichung", das andere ist schlicht eine Verkaufsstrategie. Aber dann ist Selbstillusionierung immer noch besser als Fremdillusionierung. Nur daß das eine im anderen stattfinden kann: Disney World wird nicht merken, daß die Kunden sich an ihrer Verkaufsstrategie vorbeiamüsieren. In Frankreich und Europa merken sie es, denn dort ist der Sinn für Geschichte und das Andere immer noch ausgeprägter als in sonnigen Florida. Das heißt natürlich nicht, es gäbe keine europäische Verkaufstrategie: der sogenannte "mainstream der Minderheiten" beweist es, gerade kulturelle Unterschiede lassen sich als populäre Indi-Musik und populären Indi-Film vermarkten. Warum also nicht ein Euro-Disney, es muß bloß dezentral von der Peripherie herkommen und den Unterschied zwischen den USA und Europa berücksichtigen, unter Umständen mitvermarkten. Das werden die Markforscher doch wohl noch in den Griff kriegen, daß die meisten Kunden mit einigem Sinn für Ironie sich in Disney-Land über Disney-Land amüsieren -- und ansonsten natürlich jeden wilden Ritt mitmachen. Es gibt immer genug Kultur, um ihre Elemente als Unkultur vermarkten zu können und aus dem Angebot der Unkultur hat sich noch immer jeder das herausgepickt, was ihm/ihr als Kultur paßt. |
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Man mag die moderne Arbitrarität des Kulturbetriebs, der keiner Tradition oder Hierarchie mehr folgt, bedauern oder begrüßen, die Frage ist doch, ob sich die kulturelle Dynamik der "Wertsetzung" mit dem Warenkreislauf der "Wertschöpfung" bis zu dem Punkt beschleunigt, an dem keine Aussagen über "Kultur" mehr möglich sind, weil keine Wahrnehmung mehr als gesichert gelten kann oder ob nicht umgekehrt, doch immer noch die Physiologie, Psychologie und Kommunikationsfähigkeit des Kunden die kulturelle Dynamik bremst, weil er/sie einfach nicht mitkommt. Besuchen wir Disney, befinden wir uns auf einem dieser Exerzierfelder mensch-medial-maschineller Ko-evolutionsübungen. Keiner weiss, was dabei herauskommt, nicht jeder will's wissen, aber jeder erfährt's täglich ein Stück weit und noch konkurrieren die Programme. |
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autoreninfo
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Prof. Dr. Thomas Wägenbaur M.A. in Komparatistik, University of California/Berkeley; Ph.D. in Komparatistik, University of Washington/Seattle, 2000-2009 Prof. of Cultural and Cognitive Studies und Director of Liberal Arts an der International University in Germany/Bruchsal. Zur Zeit freier Dozent und Kommunikationsberater. Veröffentlichungen zu Literatur-, Kultur- und Medientheorie. Forschungsschwerpunkte: natürliche vs. künstliche Sprachverarbeitung (Philosophy of Mind); Postkolonialismus und Globalisierung; Kognition in der Entscheidungstheorie.
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