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no. 26: visuelle kultur
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Cannelle Tancs Kunst artikuliert sich ausgehend von Stadtplänen zwischen fotografischer Arbeit, räumlicher Umsetzung, Zeichnung und Malerei.
Die Auswahl der Stadtpläne erfolgt anhand von Cannelle Tancs eigenen Ortswechseln, anhand historischer Besonderheiten der Städte oder aufgrund der phantasieanregenden Wirkung der Städte. Nicht zuletzt spielt die Funktion von Städten als Katalysatoren der Modernität für Cannelle Tanc eine Rolle.
Durch den Akt des Schneidens in Karten entfernt Cannelle Tanc die bebauten Zonen der Städte, während Straßen, Grünbereiche und Wasserflächen erhalten bleiben. Die derart ausgeschnittenen Pläne bringen neue Stadtentwürfe zum Vorschein: sie entfernen sich vom Objekt der Karten und gewinnen einen eigenständigen Status.
Die Entwürfe von Städten ohne Bebauung sind für Cannelle Tanc Raster, Filter, Bilder, die ähnlich wirken wie ein zugleich durchlässiger und verhüllender Spitzenbesatz: Im Blick durch sie hindurch wird die Imagination neuer Architekturlandschaften inspiriert.
Von Rem Koolhaas stammt die Vorstellung solcher Raster als das Unbewußte, das eine Stadt strukturiert. Zugleich können die Raster als Elemente einer Kulisse verstanden werden, in der sich urbanes Ambiente manifestiert, so als handele es sich um einen Szenenaufbau für einen Film -- man denke an Guy Debord, Asger Jorn oder auch Gil Wolman.
Cannelle Tanc begnügt sich jedoch nicht damit, ein Dispositiv zu schaffen. Sie durchquert es auch von Norden nach Süden, von Osten nach Westen, um es zuletzt geradezubiegen, zu falten, zu zerknüllen, um zeichnerische oder malerische Eingriffe vorzunehmen. Auch räumliche Objekte aus Karten entstehen durch das Nachverfolgen der Faltung der Karte. Auf diese Weise erforscht Cannelle Tanc die ihrer Arbeit eigenen Linien und richtet sich auf ihnen ein. Ihre Arbeit mit Stadtplänen bedeutet somit auch, eigene Karten zu schaffen. Denn kartographieren heißt, unbekannte Landschaften zu vermessen.
Im Anschluß an das beschriebene Vorgehen fotografiert Cannelle Tanc die cut maps vor realen Gebäuden. Dabei können die Situierung der Architektur im Raum, die künstlerischen Herausforderungen eines Gebäudes, das Licht oder die Symbolik des Ortes eine Rolle spielen. Die Karte selbst fungiert als Werkzeug der Bildeinstellung, das es Cannelle Tanc erlaubt, die Architektur ins Bild zu setzen. Da dieses Werkzeug im Bild zu sehen ist, also nicht außen vor bleibt, wird der Moment des In-den-Blick-Nehmens mit thematisiert.
Gegenwärtig entwickelt Cannelle Tanc ihre Kunst in zwei Richtungen -- nicht zuletzt, um beim Betrachter eine eigene gedankliche Rekonstruktion der Idee der Stadt zu provozieren: Entweder sie stellt Entsprechungen zwischen der Stadtkarte und dem Standort des Gebäudes heraus. Oder aber sie entscheidet sich gerade für das Gegenteil -- für eine Nicht-Entsprechung zwischen Karte und Stadt, in der sich das fotografierte reale Gebäude befindet.
Cannelle Tanc lebt und arbeitet in Paris. Im Jahr 2000
eröffnete sie zusammen mit ihrem Partner Frédéric Vincent, Immanence, Galerie
und Ort der Begegnung für internationale Künstler. Im Jahr 2003 hat sie nach
Diplom und Post-Diplom auf dem Beaux-Arts noch ihren DEA in Kunstgeschichte an
der Sorbonne in Paris mit Auszeichnung bestanden.
cannelletanc.eu,
art-immanence.org