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no. 8: zeitenwenden
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Les misérablesoder: Eine Gesellschaft verabschiedet sich von ihrem Bewußtsein |
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von Lars Reyer |
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Dichter, Schriftsteller oder gar Schrifthandwerker? -- Über das, Was und Wie des Tuns der Künstler mit Worten streiten sich bekanntlich die Geister. Unübersehbar ist jedoch, daß sich die Angehörigen dieser Zunft unentwegt mit der Maschinerie der Massenmedien konfrontiert sehen, die jede Kunst in den Strudel des Konsums zieht und immer wieder nur das produziert, von dem man schon weiß, daß es auch gehört und gelesen werden will. Bleibt hier noch Platz für eine sich als kritisch verstehende Kunst, ganz gleich, ob nun Ausdruck von Handwerk oder von Genie? |
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Was sind das eigentlich für lustige Gesellen, die sich immer einen kessen oder tiefsinnigen Spruch zwischen den Lippen hervorziehen? (Tiefsinnig ist in unseren Landen meist besser, da dem deutschen Gemüt immer noch der Mythos -- na! eben dieser-- anhängt.) Dichter werden sie genannt, zumindest in früheren Zeiten war diese Titulierung gängig; heute werden sie auch schon mal Schriftsteller gerufen, und damit wären wir beim Punkt. |
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Ein Schriftsteller ist per definitionem jemand, der Schrift stellt. "Wo stellt er sie denn hin, die Schrift?", wird man da sofort neugierig nachfragen. Die Antwort ist recht simpel. Er stellt sie auf Seiten leeren Papiers, damit sie voll werden, denn nichts ist dem Schriftsteller grausiger als ein Blatt Papier, das nicht vollgestellt ist mit Schrift. Es ist sein Beruf, diese Seiten immer und überall vollzustellen. In Romanen, Erzählungen, Anthologien, geschmeidigen Lyrikbändchen, Pamphleten politischer Natur, ja sogar in der privaten Korrespondenz kann es sich der Schriftsteller nicht verkneifen, Schrift zu stellen. Er wird schließlich dafür bezahlt (oder auch nicht, aber das ist eine andere Geschichte...), und so stellt er gleichsam unermüdlich als auch fortwährend. Der Schriftsteller ist also ein Arbeiter im ganz wörtlichen Sinne; er arbeitet mit Worten, hievt sie umher, dirigiert sie an ihre bestimmten Plätze, setzt sie in sinnige Relationen zueinander, geht auf sie ein und kooperiert mit ihnen. Es liegt kein großer Unterschied zwischen dieser Tätigkeit und einem Job als, sagen wir, Fluglotse. Der Fluglotse steht Schilderzeichenwedelnd auf der Start- und Lande-Bahn seines Flughafens, weist den Neuankömmlingen aus der Luft ihre Plätze zu; auch er hat darauf zu achten, daß die teilweise recht polterigen Stahlkolosse miteinander harmonieren, daß sie nicht kollidieren, sondern kooperieren; und er hat dafür zu sorgen, daß der Flugplatz vollgestellt ist mit Flugzeugen. Wäre dieser leer, würde der Fluglotse seinen Job verlieren, denn auf einem Flughafen ohne Flugzeuge erscheint er nur als rote Zahl unterhalb des Bilanzstrichs; als ein höchst entbehrlicher Kostenfaktor. Ebenso der Schriftsteller: Stellt er keine leeren Seiten voll -- aber das hatten wir schon. |
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Doch warum dieser Wandel innerhalb des Sprachgebrauchs? Warum mußte der Dichter dem Schriftsteller weichen? War dies eine von vornherein determinierte Entwicklung oder nur eine Laune gesellschaftlicher Natur? Wir werden das alles zu erkunden versuchen; und noch viel mehr. |
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Seit 1995 gibt es eine "hochkarätige Literatenschmiede" in Deutschland, genauer gesagt in Leipzig. Da muß ein Aufschrei durch die Herzen aller Berufenen gegangen sein, die sich in dem einzigartigen Privileg wähnten, Etwas besonderes zu verkörpern; mit einem naturgegebenen Kleinod ausgestattet: der dichterischen Kreativität. Richtig, es muß ein Schlag ins Gesicht der Dichter alter Schule (obwohl man das ja gar nicht so sagen darf) gewesen sein, als sie erfuhren, daß man fortan in einer unversitären Einrichtung das erlernen könne, was sie zum Besonderen machte. "Eine Gabe läßt sich nicht lehren! Und schon gar nicht erlernen! Will man uns etwa weismachen, es sei nur eine Frage der Übung, göttliche Verse und Zeilen für die Nachwelt zu erschaffen? Pah; das spottet der Sache an sich!" |
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Ich kann solcherlei Reaktionen gut nachvollziehen, sucht sich der Mensch doch stets eine Nische, in der er sich anderen als überlegen denkt, und der Ruf der so Herabgewürdigten könnte demnach als ein gerechtfertigter betrachtet werden. (Vielleicht täusche ich mich aber auch, und die Reaktionen fielen ganz anders, womöglich sogar positiv aus. Ich will diese Zweifel aber beiseite schieben, denn sonst würde sich die fein-zurechtgeschmiedete Synthese meines Aufsatzes in Rauchwerk auflösen. Gesetzte Prämissen wollen schließlich eingehalten werden!) |
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Doch die Furcht kam zu früh. Oder kam sie nicht früh und vehement genug? |
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"Das Literaturinstitut will dezidiert jenes handwerkliche Wissen für den Umgang mit Sprache vermitteln, das dazu nötig ist, Gedichte zu schreiben, Erzählungen und Romane zu verfassen, ebenso Features, Hörspiele, Reportagen oder Literaturkritiken."[Anm. 1] |
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Aha! Es handelt sich also um die Vermittlung von Handwerk. Ob dies gut oder schlecht ist, sei dahingestellt, jedenfalls verweist dieser Anspruch auf eine direkte Weiterführung der geschichtlichen Entwicklung. Vom Dichter zum Schriftsteller zum Schrifthandwerker? Die Sachlage scheint eindeutig; und wenn auch viele den Wegfall von Originalität, die Reduktion eines Geniestreichs auf handwerkliche Prozesse anklagen werden, so bringt diese Entwicklung doch auch etwas Gutes mit sich. Es wird Wert gelegt auf die Beherrschung der sprachlichen Mittel. Zu hoffen bleibt, daß es nicht mehr zu so traurigen Szenen kommen wird, in denen verzweifelte Germanisten über den Satzkonstruktionen eines vermeintlichen Genies zusammenbrechen, da sie in Semantik und Syntax nicht den geringsten Hauch von Verständlichkeit spüren. Machen wir uns darauf gefaßt, daß es fortan eine Art Baukasten geben wird (nicht unähnlich den beliebten Chemieköfferchen, mit denen Väter ihre Zöglinge ab einen gewissen Alter beglücken), aus dem ein jeder die seiner literarischen Neigung entsprechenden Klötze nehmen und zusammensetzen kann. Endlich wird der Dichter wieder zum Mann/zur Frau des Volkes; nicht mehr dem Zwang unterworfen Sätze wie den folgenden zu züchten, die in ihrer Komplexität und Verschachtelung einen elitären Anflug von Artismus aufweisen: |
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"In Front des schon seit Kurfürst Georg Wilhelm von der Familie von Briest bewohnten Herrenhauses zu Hohen-Cremmen fiel heller Sonnenschein auf die mittagsstille Dorfstraße, während nach der Park- und Gartenseite hin ein rechtwinklig angebauter Seitenflügel einen breiten Schatten erst auf einen weiß und grün quadrierten Fliesengang und dann über diesen hinaus auf ein großes, in seiner Mitte mit einer Sonnenuhr und an seinem Rande mit Canna indica und Rhabarberstauden besetztes Rondell warf."[Anm. 2] |
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In Zukunft heißt es nur noch Subjekt-Prädikat-Objekt. Für jeden verständlich und zweckgerichtet. |
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Eine ganz andere Dimension der Debatte offenbart sich, wenn man einmal die Geschichte der fraglichen Akademie Revue passieren läßt. Damals, in grauer Vorzeit, als es noch so etwas Häßliches wie den Ostblock (igitt!) gab, als die Mauer noch stand und die Menschen in der SBZ (= Sowjetische Besatzungs-Zone; ja, so nannten viele Bundesbürger den Osten Deutschlands noch lange, nachdem dieser sich als selbstständiger Staat namens DDR konstituiert hatte...) als hinterwäldlerische Spezies, höchstens zweieinhalb Stufen über dem primitiven Höhlenbewohner angesiedelt, galten: Da florierte die zu jener Zeit Johannes-R.-Becher-Literatur-Institut genannte Akademie wie ein Amsterdamer Schnittblumen-Basar. Nicht nur, daß so gut wie alle ostdeutschen Autoren, die nach der Wende einigermaßen Erfolg zeitigen konnten bzw. Öffentlichkeit erlangten (vor der Wende ja sowieso...), innerhalb der Mauern (sic!) dieser Einrichtung herangewachsen waren. Nein, im nachhinein muß man zugeben, daß eben dieses staatlich betriebene Literatengewächshaus zum "Ort der freien Meinung" mutierte. Ironie der Geschichte oder der natürliche Weg jeglicher künstlerischer Ausdrucksweise? |
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Letzten Endes womöglich sogar einfach die Beherrschung und Perfektionierung eines gelehrten Instrumentariums? Man denke darüber nach: "Wer sein Handwerk nicht ehrt, ist des Genius nicht wert." Brachte die Aneignung eines dezidiert überlieferten handwerklichen Komplexes also ungeahnte Folgen mit sich? Drückten sich die Literaturschaffenden plötzlich so aus, daß das Volk sie verstehen konnte; und stellte diese Unzweideutigkeit in der Ausdrucksweise gar den finalen Tropfen dar, der ein im Grunde längst schon übergequollenes Faß über die Köpfe der Menschen ergoß; so daß sie sich den Schlaf aus den Augen wischten und laut schreiend durch die Straßen zogen? |
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Gewagte Spekulationen -- vor allem zu umfangreich für diesen Aufsatz. Festzuhalten bleibt aber, daß es nicht schädlich sein kann, wenn sich der Dichter präzise und klar äußert, d.h. wenn er sein Handwerk so gut beherrscht (womit es, im Zuge der perfektionierten Beherrschung, wieder zur Kunst wird), daß jeder (oder doch die Mehrzahl; wir wollen an dieser Stelle nicht zu idealistisch werden!) verstehen kann, was er mit seinen Worten, mit seinen Anhäufungen und Konstruktionen von Symbolen und Zeichen sagen will. Und genau durch diesen Akt der sprachlichen Klarheit wird der Dichter ein Stück weit zum Handwerker. Er schwelgt nicht mehr nur in unergründlichen, unbegründbaren Metaebenen, sondern begibt sich auf faßbaren Boden. Er operiert mit den linguistischen Körperchen wie ein Architekt mit seinen stofflichen Materialien operiert; die schematischen Zeichnungen liegen dem Bau an sich zugrunde, der Baumeister weiß schon längst, bevor der erste Mörtel das Licht der Welt erblickt, wie sein Werk in der Vollendung Gestalt annehmen wird. Aber das, was die Konstruktion tatsächlich wertvoll für jeden Menschen macht, sind die Steine, der Zement, die Holzbalken, die Stahlverstrebungen, das Glas in den Fensterrahmen, einfach alles Faßbare, Befaßbare, auf diesem Boden Befindliche, klar Verständliche und Nutzbare. (Man verzeihe mir diesen Ausbruch an Aufzählung, aber das Gespenst der Agitation ging mit mir durch...) |
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Und in nichts anderem besteht die Aufgabe des Dichters; läßt er sich denn herab, auch ein bißchen zum Schriftsteller, d.h. zum Handwerker zu werden. Seine Konstruktion schwebt auch ihm durch den Geist (besser noch, er hält sie auf Konstruktionspapieren fest!); und es ist ein langer blasenschwelender Weg, bis diese Gedankenwelt in nachvollziehbare Form gegossen werden kann. |
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Freilich findet der Dichter/Schriftsteller auf seinem Weg zahlreiche Hindernisse vor, die ihn dann doch abheben vom Architekten oder 'Hausbauer'. Denn während die zweitgenannten Berufe aus Gründen der Einsicht in ihre materielle Zweckdienlichkeit bei der Bevölkerung, bei der 'öffentlichen' Meinung; vorbehaltlos akzeptiert sind und dies immer waren, herrscht gegenüber der dichtenden/schriftstellernden Zunft ein unbrechbares Präjudikat vor: Ihre 'Arbeit' geschehe nach der eigentlichen Arbeit, nach dem Täglich-Brot-Erwerb (als pures Freizeitvergnügen, womöglich noch!). Nichts kann so falsch sein, wie diese gemeine (auch im Sinne von: weithin verbreitete) Annahme! Das Bild, welches die rot benagellackte Vorzimmerdame (Sekretärin!!) in einem beliebigen Hochhausbüro eines beliebigen Globalunternehmens sich vom Dichterleben macht, ist possierlich zurecht gelegt, ja sogar romantisierend und äußerst verständlich in ihrer Lage, aber: Es ist falsch! |
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Nie habe ich (und nun sind wir endlich in der ersten Person Singular angelangt:) von jemandem gehört, der sich in einem Ausbruch des kreativen Flächenbrandes an den Schreibtisch wirft und innerhalb von zwei genialischen Stunden fünf Kapitel des Romanes runterreißt, der über Jahre hinweg (Zukunft, also) das gesamte Erscheinungsbild moderner Literatur (die ja immer kontemporäre ist; das liegt an unserer beschränkten Auffassung des Begriffs Zeit) prägen oder vielleicht gar komplett revolutionieren wird. Noch nicht mal ein mittelmäßig lesbares Stück Schrift kommt dabei raus -- das müßte schon ein Glücksfall sein -?!- |
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Natürlich: wenn man Konsalik heißt, dann schreibt man täglich eben nur eine DIN A4 Seite mit seinem feinwaschmitteligen Gewäsch voll und kann dabei noch leben wie der Zar in Rußland vor 1917. Sowas sind jedoch Ausnahmen; und ganz eklige zuckerfabrikig-süße noch dazu. Welche Existenzberechtigung (als Schriftsteller) hat ein Mann wie Konsalik? Er trieft den Menschen das in ihre Gefühlsgänge, was sie hören, bzw. lesen wollen. Er richtet seine Antennen gen Massen-Pol und läßt dann seiner unbestreitbaren Gabe des populistischen Lippenbekenntnis freien Lauf. Literatur ist das allerdings nicht. Es ist das Durchbrechen der Populärkultur, die sich durch ihre leichte Verdaulichkeit (ohne Magenbeschwerden oder Blähungen nach sich zu ziehen) auszeichnet und die deshalb bei den Massen so beliebt ist. Die Frage lautet aber: Was wäre wenn? Nämlich was wäre, wenn solch halbgares literarisches Belustigungsgeschrieb nicht existierte bzw. nicht den Status besäße wie es ihn im Moment innehat? Es kostet schon einigermaßen Phantasie, sich ein derartiges Szenario vorzustellen, aber provozieren wir ruhigen Gewissens ein bißchen die Kraft der Imagination! -?- |
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Die Massenmedien regieren die kulturelle Landschaft (wenn man denn noch von einer solchen sprechen darf...); und im Zuge dieser Okkupation jeglichen kulturellen Auswurfs legen sie die Meßlatte für die, die sich in irgendeiner Weise am kulturellen Prozeß einer Gesellschaft beteiligen, auf ihr Niveau. Denn Qualität wird, im gesamtgesellschaftlichen Kontext betrachtet, einzig an der Massenwirksamkeit eines Produktes (man beachte den modernen Sprachduktus in Bezug auf Kunst/Kultur!!) gemessen, an dessen Magnetwirkung, an der Fähigkeit die Aufmerksamkeit der Menschen aufrecht zu halten, ohne dabei wirkliches Engagement zu verlangen. |
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Der Dichter, der Kulturschaffende, der Künstler schlechthin steht angesichts dieser Sachlage vorm berüchtigten Bergmassiv des Zweifels (der Verzweiflung?), sofern er sich nicht damit abfinden will, in die Rolle eines welt- und realitätsfremden Verkopfungsmenschen gedrängt zu werden; sofern er nämlich eine Aussage mitbringt, die er auch "unters Volk" streuen möchte. Die hohlbackige, aber wohlgenährt-dralle Tyrannei der Massenmedien und ihrer Sendeformate scheint ihm geradezu aufzudiktieren, mit welchen Mitteln (ja sogar mit welchen Themen) er das potentielle Publikum zu erreichen habe. Machen wir's kurz: Das heutzutage schwergewichtigste Kriterium bezüglich Kunst und ihrer Qualität ist die Verkaufbarkeit. Es ist ein Dilemma und ein Paradoxon zugleich, daß der moderne Mensch -- wo er doch zu keiner anderen Zeit solch ideale materielle Bedingungen vorfand wie heute -- in keinster Form gewillt ist, seine Horizonte zu erweitern, geschweige denn sich ein umfassendes Wissen anzueignen. Damals, nach den folgenreichen Zeiten der industriellen Revolution, kämpften die unterprivilegierten Lohnsklaven noch für bessere Arbeitsverhältnisse und mehr Freizeit, damit sie sich in selbiger unter anderem auch den Künsten zuwenden konnten. Heute genügt es, wenn der Fernseher funktioniert, das Bier im Kühlschrank friert und die Polstergarnitur angenehm weich ist. Wer braucht schon noch einen Heinrich Mann, eine Else Lasker-Schüler oder einen Kurt Tucholsky (keine repräsentative Aufreihung), um glücklich zu werden, wo doch der Fingertippser auf die Fernbedienung genügt, damit man pünktlichtäglich 19.40 Uhr Gute Zeiten/Schlechte Zeiten präsentiert bekommt und man unbedarft (weil unbewußt) in den Spiegel der eigenen Lächerlichkeit starrt. |
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Wie ist es also für den Dichter möglich, die Hegemonie der Massenmedien zu durchbrechen, wenn er nicht den Konsalik-Weg (und den vieler anderer) gehen will; wenn er demnach die bewußte Entscheidung trifft, nicht das zu reproduzieren und zu plagiieren, was der Apparat der öffentlichen Massenmeinungsbildung verlangt, und doch den Anspruch hegt, nicht zum Freizeit- bzw. Feierabendpoeten zu werden? Wenn er also auch seinen Unterhalt und somit sein Leben finanzieren muß durch das, was er schreibt? |
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Dies ist eine Streitfrage zwischen Gewissen und Zwang. Nämlich zwischen dem Zwang zum 'Geldverdienen' und der Haltung des Nicht-Mitmachen-Wollens in einem affirmativen System, in dem bedenkenlos die bestehende Hierarchie aufrecht erhalten wird, ohne eine aktive Kritik, ja, in vielen Fällen gar ohne ein seichtes Hinterfragen derselben. Der Literaturschaffende (hier: stellvertretend für den Kunstschaffenden im allgemeinen) sieht sich zwischen zwei Polen eingeklemmt (und zerrissen...), die ganz offenkundig miteinander konkurrieren. |
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Das Essen muß auf dem Tisch stehen (oder, wenn kein Tisch vorhanden ist, dann halt irgendwo anders), ansonsten verwahrlosen die einstmals schreibfähigen Finger zu ziellos umhertatternden Schattenjägern; und der schöpferische Geist versackt allmählich in den Wirren, die der pure Kampf ums Überleben ihm auferlegt. Die Kunst als "rationale Kraft der Erkenntnis", die für sich selbst und gegen die Gesellschaft existiert, scheint heute nicht mehr überleben zu können, denn "die absorbierende Macht der Gesellschaft höhlt die künstlerische Dimension aus, indem sie sich ihre antagonistischen Inhalte angleicht. Im Bereich der Kultur manifestiert sich der neue Totalitarismus gerade in einem harmonisierenden Pluralismus, worin die einander widersprechendsten Werke und Wahrheiten friedlich nebeneinander koexistieren."[Anm. 3] Es ist schwer, geradezu unmöglich geworden eine herausfordernde Kunst zu schaffen, da im Moment ihres Bekanntwerdens (ihrer Veröffentlichung) der Zugriff der regulierenden Kräfte innerhalb der Gesellschaft auf sie einwirkt. Die Vermarktungsfähigkeit ist das oberste Gebot, durch welches die Gesellschaft ökonomisch und sozial in ihren sanftschlummernden und gleichzeitig ertragsreichen Bahnen gehalten wird (sich selbst hält, wie es korrekter heißen müßte!). Läßt sich etwas auf den ersten Blick nicht verkaufen, wird es trotzdem vereinnahmt, um seinem potentiellen Bedrohungsgrad für das Bestehende vorzubeugen, denn die moderne Logik spricht: Wird etwas durch die herrschenden Verhältnisse (Mächte??) sanktioniert und zum Konsum freigegeben, findet es sich in dem Raum wieder, den es eigentlich zu bekämpfen versucht. Die Unterdrückung besteht nicht mehr darin, daß eine bestimmte Kunst verbannt und vor der Öffentlichkeit geheimgehalten wird, sondern in ihrer Freigabe zum gedankenlosen Verbrauch, wodurch sie ihre Gefährlichkeit für den kulturellen (und somit auch gesellschaftlichen?!) status quo verliert. Der Gedankengang, der hierbei im Konsumenten provoziert wird, lautet: Das System erhebt den Fehdehandschuh nicht gegen sich selbst, also liegt das, was von ihm sanktioniert wird, im Grünen Bereich (lapidar ausgedrückt). |
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Der Mensch, der auf diese Weise nur noch unkritisch absorbiert, der die Fabeln und Realitäten ohne Unterschied wie ein Schwamm in sich einsaugt, nimmt nicht nur die unschöne und aufgeblähte Form eines panischen Kugelfisches an, er befindet sich auch in einem fortwährenden Dämmerschlaf, im Zustand der Bewußtlosigkeit zwischen unterdrückten Handlungsambitionen und akzeptierter Passivität. Nie zuvor in der Geschichte (selbst an dieser Stelle wird mit Superlativen nicht gespart!!) vernebelten Prachtbauten und Glitzerschaufenster, gefüllt mit den lautlachendsten Unnötigkeiten den Blick auf Gründe und Motive so wie heute. Nie zuvor klaffte die Schere zwischen Möglichkeit und Ist-Zustand so weit auseinander. Der Satz "Jeder darf sagen, was er will", (der zu einem Schlachtruf innerhalb dieser Demokratie avanciert ist, mit dem jeder Kritiker mundtot gemacht werden kann), gehört umgedreht und in eine zeit-adäquate Stringenz gebracht: "Jeder will sagen, was er darf." Die heutige Form der Kultur ist ein großflächiges Manipulativum, das sich in den dreistesten Fällen hinter der Fassade jedweder Kunst versteckt, die sich für diese Zwecke vereinnahmen läßt. Ob der in guter Absicht handelnde Dichter komplizierte Worte benutzt oder ob er sich so klar und eindringlich wie möglich auszudrücken versucht: Immer stößt er auf das Phänomen der Gleichgültigkeit bei einem Großteil seiner potentiellen Adressaten, die nurmehr gegenüber dem schnellebigen Trend, der Modeerscheinung, der Ware sensibilisiert sind. Die Aufnahmefähigkeit beschränkt sich auf geistige Kurzstreckenetappen, und auch das von Grund auf Negierende, das Ablehnende, das offensichtlich Kritische wird nur in buntbestückte Regale eingeordnet -- dem Konsum, und damit dem Vergessen anheim gegeben. Es wird verbraucht; und was verbraucht wird, wird letzlich ausgeschieden und ad acta gelegt; die Darminhaltsreste fliegen auf einen indifferenten Haufen, der sich verwesend auflöst. |
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Dilemma oder Normalität? Hysterie seitens des Autors oder ein tatsächlich beobachteter Zustand? Die Entscheidung sei jedem selbst überlassen (ein Zeichen dafür, daß ich die geistige Autonomie der Menschen noch nicht vollends abgeschrieben habe)! |
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Es bleibt festzuhalten, was schon vor Jahren seine Gültigkeit besaß und auch heute noch zuzutreffen scheint: |
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"Ob ritualisiert oder nicht, enthält Kunst die Rationalität der Negation. In ihren fortgeschrittenen Positionen ist sie die Große Weigerung -- der Protest gegen das, was ist. Die Weisen, in denen die Menschen und Dinge dazu gebracht werden, zu erscheinen, zu singen, zu tönen und zu sprechen, sind Weisen, ihre tatsächliche Existenz zu widerlegen, zu durchbrechen und neu zu schaffen. Aber diese Weisen der Negation zahlen der antagonistischen Gesellschaft Tribut, mit der sie verbunden sind. Getrennt von der Sphäre der Arbeit, worin die Gesellschaft sich und ihr Elend reproduziert, bleibt die von ihnen geschaffene Welt der Kunst bei all ihrer Wahrheit ein Privileg und ein Schein."[Anm. 4] |
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