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korrespondenz -> berlin, 9. aug 2002
 
 
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Für hier oder to go? Eine Einladung zum Espresso

von Dirk Hohnsträter

Berlin, 9. Aug 2002_  Im Anfang, das heißt, als ich hierher zog, lag die Endhaltestelle der Tram noch diesseits der S-Bahn-Bögen. Und das letzte, was man vor dem Aussteigen sah, waren zwei Glasfassaden: links das Lokal Hackescher Hof, rechts ein edles Möbelgeschäft. In dem Möbelladen stand eine Lampe, die leuchtete abends so schön durch die Fensterfront, daß ich sie irgendwann gekauft habe. "Wenn mal was ist, sie können immer vorbeikommen.", hatte die Verkäuferin gesagt. Als ich nach längerer Abwesenheit erneut nach Berlin zog, lag die Haltestelle plötzlich hinter den S-Bahn-Bögen und dort, wo der Lampenladen gewesen war, befand sich jetzt etwas, das ich gerade in den Vereinigten Staaten kennengelernt hatte: ein Starbucks Café. Im Mittleren Westen war es ein Segen gewesen, in Seattle weit eher ein Fluch -- und hier? Ein Artikel im New Yorker hatte mich bereits gewarnt: die Kaffee-Kette, die im Durchschnitt jeden Tag einen neuen Laden eröffnet, expandiert nach Europa. Ausgangspunkt der Deutschland-Eroberung: die Hauptstadt, die Hipstadt -- Berlin. Was sich mir beim Blick aus der Straßenbahn zeigte, war einer von mehr als 5000 Starbucks-Shops weltweit.

Zuerst wurde ich nicht reingelassen. Ein bulliger Türsteher, den man in einen schwarzen Anzug gesteckt hatte, wies mich ab: Nur für geladene Gäste. Tags darauf gab es wie zur Entschädigung etwas umsonst: ein schaumiges, knallbuntes Etwas, das irgendwo zwischen Getränk und Speise-Eis changierte und mit Kaffee ganz gewiß nichts zu tun hatte. Nachdem mich mindestens vier emsige Angestellte angelächelt, begrüßt, bedient und mir einen schönen Tag gewünscht hatten, hielt ich endlich meinen Espresso in der Hand. Die erste Überraschung: Er kostete mit seinen €1,90 satte vierzig Cent mehr als beispielweise beim exklusiven Einstein um die Ecke. Die zweite: Er schmeckte keineswegs besser als die koffeinhaltigen Heißgetränke der Konkurrenz. Zu bitter, meinte ein Kritiker, zu sahnig, fand ich.

In den folgenden Wochen stellte sich heraus: Der Landen brummt. Warum nur? Weil niemand mehr bei Barcomi's auf die Bedienung warten will? Weil beim Einstein die Snacks immer trockener werden? Weil es bei Coffee Mamas so verbrannt riecht? Immerhin wäre da noch die Espressobar L'una, und überhaupt, um die Ecke hat doch jeder seinen kleinen Italiener, der ein Drittel weniger verlangt und dafür ungleich besseren caffè bietet. Ich kehrte erneut ein, verabredete mich, diskutierte mit amerikanischen Freunden. Am Himbeerkuchen konnte es nicht liegen, weit eher an der günstigen Lage. Vor Jahren (als die Endhaltestelle der Tram noch diesseits der S-Bahn-Bögen lag) war es angesagt, im Lokal Hackescher Hof zu sitzen und durch die großen Fensterscheiben zu beobachten, wie sich die gelben Straßenbahnwagen auf dem regennassen Pflaster spiegelten. Vielleicht gefällt den Leuten jetzt dasselbe Spektakel, nur eben eine Hausnummer weiter? Vielleicht sind es aber auch ohnehin nur Touristen, die bei Starbucks sitzen und a tall decaf latte with skim milk and a shot of vanilla flavour genießen. (Pardon, liebe Puristenfreunde, ich bin nur der Bote.) Das bringt uns der Sache schon näher. Denn wiewohl Mitte-Menschen hier kaum zum Habitué werden dürften, kann selbst der skeptische Bericht-erstatter nicht glaubhaft bestreiten, daß ihn beim Betreten des Ladenlokals ein eigentümliches Gefühl des Heimkommens beschlich. Besser als seine Kopien und schlechter als die Originale, kann man sich weltweit auf einen Standard verlassen, und sei es nur, um sich auf diesem Globus überall gleichermaßen fremd zu fühlen.

Espresso versöhnt jeden Ökologen mit der Moderne, denn ohne eine gute Maschine keine Crema, und Starbucks versucht Kommerz und Kultur kurzzuschließen: Kette, aber mit Jazzmusik. Schema, aber mit Qualität. Als der Hackesche Hof hip war, verdankte sich seine Popularität auch dem Symbol des Lokals: des Ostberliner Ampelmännchens. Mancher mag damals geklagt und sich die Zeit zurückgewünscht haben, als Ampelmännchen nur auf Ampeln prangten und zum Gehen oder Warten aufforderten. Jetzt wären viele schon froh, wenn es überhaupt noch einen lokalen Bezug gäbe. Aber die örtlichen Zeichen sind verbraucht und das Rauhe, Östlich-Obstinate, wo es nicht nicht längst verschwunden ist, beginnt bereits zu nerven. Längst fällt es leichter, in Mitte schicke Schuhgeschäfte zu finden als eine Bäckerei. Meine Lampe kann ich hier jedenfalls nicht mehr umtauschen. Aber noch leuchtet sie verläßlich, und vielleicht kaufe ich mir eines Tages eine Espressomaschine und trinke in ihrem schönen Schein das köstliche Getränk bei mir zuhause. Ganz individuell. _//
 

autoreninfo 
Dr. Dirk Hohnsträter  unterrichtet Literatur, Film und Kreatives Schreiben an der Eötvös Loránd Universität in Budapest. Er ist Absolvent von Ars Dramatica, der Akademie für dramatisches Erzählen in Berlin und verfaßt Drehbücher und Prosatexte.
E-Mail: Dirk.Hohnstraeter@gmx.de
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