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Die Luftschlößchenbrücke

von Patrick Wilden

Dresden, 08. Apr 2007_  Dresden. -- Kein Hochwasser, nirgends. Wenn auch das Riesengebirge Schnee gehabt haben soll, dessen Tauwässer in der Elbe an Dresden vorbeifließen, so war dieser Winter doch zu warm, zu trocken. Was im Fluß abgeht, interessiert hier derzeit niemanden. Keine RTL-Ü-Wagenposten an Brückenköpfen, wo Kneipen unter Wasser stehen könnten. Keine fragwürdigen, aber immerhin nett inszenierten Brückensperrungen wie im vergangenen April. Nach dem 2006er Jubeljahr des 800. Stadtgeburtstags lag zunächst eine merkwürdige, fast schwüle Ruhe über der Stadt. Die vielen neuen Läden und Lokalitäten der Innenstadt hatten sich in weiser Voraussicht auf die Ebbe in den Kassen eingestellt, getreu der Devise, die für die Monate Januar und Februar gilt: Wenn vor der Frauenkirche keine Schlange steht, brauchen wir auf gute Umsätze nicht zu hoffen. Zwar gehört dieser Barockneubau zu den jüngsten Gebäuden der Stadt, aber er hat schon alle Macht, Maßstäbe zu setzen.

Nein, in diesem Frühjahr gibt es keine Überschwemmung. Und dennoch ist es mit der Ruhe vorbei. Es geht nicht um Wasser, sondern um das, was darüber führt. Um das, was den Europaschwärmern gemeinhin als Leitmetapher dient, Markenzeichen jeder Euro-Banknote -- eine Brücke. Ihr Charakteristikum: es gibt sie nicht, und dennoch existiert sie seit langem: als Möglichkeit in Bebauungsplänen, als politischer Zankapfel, als Gesprächsthema fürs Stadtvolk. Sogar eine erstaunlich objektiv geratene Wikipedia-Seite von beachtlicher Größe findet sich inzwischen über sie. Man könnte von einem Luftschloß sprechen -- als solches würde sich die Brücke prächtig an der für sie vorgesehenen Stelle ins Ensemble einfügen, in einer Reihe mit den Schlössern Albrechtsberg und Eckberg und der Villa Stockhausen. Selbst der geplante und namensspendende Ort, das Dresdner Waldschlößchen, das seine Entwicklung von der Marcolinischen Grafenvilla zur Brauereigaststätte mit schönster Aussicht auf den Fluß und die Silhouette der Stadt nahm, nobilitiert den Standort.

Und natürlich geht es am Ende doch wieder ums Wasser. Und Wasser, das heißt in Dresden: die Elbe. Und die Elbe ist hier nicht einfach ein Fluß. Sie ist ein landschaftliches Ereignis, das sich an niedrigen, nicht selten mit Wein bewachsenen Hängen entlang durch eine breite Aue schlängelt, sehenswert an fast jeder Stelle, Großstadt hin oder her. Das, wie man meinen könnte, höchste Adelsprädikat bekam dieser Naturraum 2004 von der Unesco zugesprochen: Weltkulturerbe. Und es gibt sogar in Dresden ein paar Leute, die stolz darauf sind.

 

Doch wie immer im Märchen -- und das Reden über Dresden trägt eindeutig Züge des Märchenhaften -- gibt es da die böse Stiefmutter. Und die sagt: das Kind, also die Stadt, braucht eine neue Brücke. Und sie kommt da und da hin. Ans Waldschlößchen, basta! Wie zu Zeiten, als man noch Brillen "verpaßt" bekam, ganz egal, ob sie schön aussahen. Sie mußten eben sein. Auch der Dresdner Brückenstreit, der im übrigen schon seit Generationen geführt wird, ist geprägt von diesem obrigkeitlichen Geist. Die Skandalchronik ist lang.

Im ersten Generalbebauungsplan von 1862 ist die Möglichkeit immerhin angelegt, das südliche Johannstädter Ufer der Elbe an der Stelle des 'äußeren Environweges' durch einen Brückenschlag mit dem nördlichen der Radeberger Vorstadt zu vereinen. Doch Geldmangel, das an dieser Stelle sehr weitläufige Tal und ästhetische Vorbehalte verhinderten dies -- im Jahr 1900 erließ die Stadt sogar ein Bauverbot. Statt dessen wurde auf den Johannstädter Elbwiesen bis zum Zweiten Weltkrieg Jahrmarkt abgehalten, die berühmte 'Dresdner Vogelwiese'. Dann kamen wieder Zeiten, in denen die Ingenieure am Zuge zu sein schienen, allerdings ohne große Konsequenz. Die Brückenplanungen in den 30er Jahren verhinderte der Zweite Weltkrieg, zu DDR-Zeiten scheiterten sie in den modernistisch bewegten 60ern und 70ern wohl am Größenwahn -- achtspurige Querung mit Innenstadtautobahn -- und später, mit einem abgespeckten Entwurf, an der Wende.

Als sich im Jahr 1990 der Freistaat Sachsen unter der Ägide des Kurt Biedenkopf neu formierte, kam bald auch die Frage nach einer weiteren Brücke im Dresdner Stadtgebiet aufs Tapet und wurde auf Architektenworkshops, in Wettbewerben, im Stadtrat wie in der Öffentlichkeit kräftig diskutiert. Doch es scheint, als habe die sächsische Staatsregierung von Anfang an Förderzusagen nur einseitig für den einen Standort gegeben: am Waldschlößchen, sonst nirgends. Wer mag da nicht an die böse Stiefmutter denken? Zumal sie ihren Helfershelfer stets im Dresdner Regierungspräsidium gehabt hat, das gleich oberhalb des Waldschlößchens liegt, und böse Zungen sagen, daß die fleißigen Beamten die Brücke vor allem deshalb unbedingt haben wollen, um in ihren SUVs endlich einmal ohne Stau von der topsanierten Blasewitzer Altbauwohnung im Süden an die Arbeit zu rollen.

Auf dieses vorgegebene Ziel steuerte der Rat der Stadt nun mit wechselnden Mehrheiten hin. Es gab Ausschreibungen, Zuschläge, Rücknahmen, Regreßforderungen, neue Ausschreibungen -- schon für die ungebaute Brücke flossen Millionen. Schließlich wurde ein Entwurf durchgewunken, der eine pfeilerfreie Querung vorsieht, mit hohen Stahlbögen und langen Auffahrten, die auf der einen Seite in einen Tunnel münden -- ein abenteuerliches Bauwerk, ingenieurtechnisch machbar, aber eben doch nur ein Riesending aus Stahl und Beton, das den umgebenden Naturraum negiert und der Stadt wachsendes Verkehrsaufkommen beschert, welches neue Statistiken doch gerade als sinkend ausgewiesen hatten.

Seither sind die Fronten jedoch so verhärtet, daß keiner meint, ohne Gesichtsverlust aus der Sache heraus zu können. Zur Durchsetzung des eigenen Standpunkts scheint jedes Mittel recht. Im Februar 2005 initiierten die Brückenbefürworter sogar einen Bürgerentscheid, in dem sich von den gut 50 Prozent der Wahlberechtigten, die teilnahmen, rund zwei Drittel für die Brücke aussprachen. "Baut das Ding endlich", schien dieses Votum zu bedeuten, "dann ist Ruhe." Der Dresdner Schriftsteller Jens Wonneberger schrieb daraufhin im Stadtmagazin Sax, der Nachteil direkter Demokratie in solchen Dingen bestehe vor allem darin, daß es niemanden gibt, der die Bürger vor sich selbst schützt.

Der Stadtrat, mehrheitlich gegen das geplante Monstrum am Waldschlößchen eingestellt, versuchte es trotzdem, und so ging die Chose in eine weitere Runde. Seither arbeiten die Gerichte auf Hochtouren, eine Klage und einstweilige Verfügung jagt die nächste. Da hinein mischte sich nun auch die Unesco-Welterbe-Kommission, die sagte: Mit dieser Brücke verliert ihr den Titel. Ministerpräsident Milbradt konterte: "Der Verlust des Welterbetitels ist verkraftbar", denn, so das machiavellistische Argument, die Touristen kommen auch so. Zu einer sogar gerichtlich angemahnten Mediation war auf seiten der Staatsregierung niemand bereit. Jüngst urteilte das höchste zuständige Verwaltungsgericht Sachsens: Ihr habt keine Handhabe gegen die von euch selbst beanspruchte direkte Demokratie. Das Ergebnis eures Bürgerentscheids liegt vor, nun müßt ihr die Brücke bauen. Sofort. Punktum!

 

Das war Anfang März. Inzwischen regt sich immer heftigerer innerstädtischer Widerstand, denn so nahe war die vermaledeite Brücke noch nie. Am Wochenende ist auf den Elbwiesen die Entschlossenheit der Gegner zu besichtigen. Mehrere Tausend Menschen marschierten am letzten Märzsonntag für den Erhalt des Welterbes vom Waldschlößchen zur Frauenkirche, wo Ludwig Güttler, Startrompeter und Wiederaufbau-Guru, und der Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen, Martin Roth, die Demonstranten anfeuerten. Während einige Dresdner Wurstblätter ihrem Landesvater applaudieren und anmahnen, daß die Touristen auch weiterhin mit der Weißen Flotte durchs Elbtal gondeln werden, mit oder ohne Brücke resp. Welterbetitel, läßt die versammelte Kulturszene der Stadt keine Gelegenheit aus, sich gegen das Projekt auszusprechen: von der Planung her häßlich, in sachen Unesco rufschädigend und blamabel und mit veranschlagten 130 Millionen Euro Baukosten geradezu irrwitzig teuer -- so ihre Argumente. Seit die Sache so richtig ins Rollen gekommen ist, findet auch die Initiative "Welterbe erhalten" regen Zuspruch. Die Liste der Unterzeichner bei der noch laufenden Online-Unterschriftenaktion gegen die Brücke, die binnen weniger Wochen um mehrere Tausend anwuchs, liest sich wie ein Who is Who der versammelten Kulturprominenz, lokal wie mittlerweile auch (inter)national.

So kommt es, daß eine Brücke, die es noch gar nicht gibt, Geschichte macht. Sogar der Bundestag hat schon über sie diskutiert. Die Berliner tageszeitung polterte letzten August, nachdem die Stadt bei Frank-Walter Steinmeier um Vermittlung angefragt hatte: "Habt ihr noch alle Tassen im Schrank? Das Auswärtige Amt? Nur weil der Weltkulturerbe-Titel der Unesco auf dem Spiel steht? Und die Politik hat nichts Besseres zu tun, als bei dem Kasperletheater auch noch mitzumachen." Vor gut zwei Monaten stellte Ira Mazzoni in der Süddeutschen Zeitung die rhetorische Frage: "Aber was, wenn in Dresden nun die Welterbekonvention für Deutschland ausgehebelt wird?" Und gab selbst die Antwort: "Unvorstellbar." Denn es wäre in der Geschichte der Institution Unesco-Weltkulturerbe das erste Mal, daß einem Ort der Welterbetitel aberkannt würde. Selbst beim prominenten Streit um Hochhäuser in der Nähe des Kölner Doms wurde ja eine Einigung erzielt, mit der beide Seiten leben konnten.

Daß es auch in Dresden stets stadtplanerische Alternativstandorte für eine kürzere, schlichtere und vor allem billigere Brücke gab oder daß die nicht ganz abwegige Idee eines -- landschaftsschonenden -- Tunnels diskutiert wurde, hat sich in der Stadt noch immer nicht herumgesprochen. Während dessen steht Dresden bereits auf der roten Liste, seit erkennbar ist, daß die derzeitigen Planungen auf Gedeih und Verderb umgesetzt werden sollen; die Aberkennung droht im Juni. Für die Gerichte, die, da ihnen keine andere Wahl blieb, schlicht formaljuristische Urteile sprachen, war vor allem ausschlaggebend, daß der Bundestag das Weltkulturerbe bisher nicht in nationales Recht überführt hat, Länder und Kommunen daher rein rechtlich nicht daran gebunden seien. Inzwischen wurde ein Brief des Auswärtigen Amtes an die Kultusminister der Länder bekannt, in dem gerade diese Rechtsprechung als "verfassungsrechtlich bedenklich" eingeschätzt und darin ein "erheblicher Schaden für die Bundesrepublik Deutschland und alle Länder" vorausgesehen wird. Das Kasperletheater geht also weiter.

 

Dresden gegen den Rest der Welt -- unter Superlativen tun wir’s hier nimmer. Im "symbolischen Zentrum des deutschen Kulturkonservatismus", so Evelyn Finger am 15. März 2007 in der Zeit, wird das Welterbe für ein schmuck- bis sinnloses Straßenbauprojekt beerdigt. Zugleich wird von hier aus das Bundesverfassungsgericht angerufen, um über eine neue Brücke für Dresden zu entscheiden. Verrückter geht es wirklich nicht mehr.

"Es ist nichts Wesentliches zerstört worden", resümierte schon vor einigen Jahren der bekannte Dresdner Architekturhistoriker und Denkmalpfleger Volker Helas in einem Band über den Bauplatz Dresden seit 1990 (Michel Sandstein Verlag, Dresden 2003) und befand, daß schon allein diese Feststellung "ein Grund für Freudenfeste" sei. "Wäre die geplante Waldschlößchenbrücke an ihrer vorgesehenen, landschaftlich hochempfindlichen Position schon gebaut, fiele dieses Resümee wohl anders aus, aber sie ist es noch nicht." Hoffen wir, daß das Märchen doch noch gut ausgeht und es am Ende ein Freudenfest gibt, auf dem alle tanzen. _//
 

autoreninfo 
Patrick Wilden , geboren 1973, aufgewachsen in der Gegend zwischen Kassel und Göttingen. Geschichtsstudium in Tübingen und Rouen, Verlagsvolontariat in Stuttgart. Lebt und arbeitet als Antiquar in Dresden. Schreibt neben gelegentlichen journalistischen Arbeiten Lyrik und Kurzprosa. Mitarbeit bei den Internet-Zeitschriften parapluie und kultura-extra.de. Im Jahr 2000 Würth-Literatur-Preis mit der Kurzgeschichte "Klassenfeind". Gründungsmitglied des Literaturforums Dresden.
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