London, 7. Jul 2005_
Es ist 19 Uhr Ortszeit und gerade hat der Nachrichtensender BBC News
24 37 Todesopfer und 700 Verletzte der Terroranschläge von London
gemeldet. Ich vermute aber, daß die Öffentlichkeit erst morgen früh
über die wahren Ausmaße dieser Tragödie informiert werden wird. Denn
Millionen von Londonern müssen heute noch die Heimfahrt antreten. Und
das ohne U-Bahn. Die Busse in der Innenstadt haben ihren Service
gerade erst wieder aufgenommen. Viele Züge fahren ebenfalls
nicht. Ganze Straßenzüge sind abgesperrt. Kilometerlange Staus auf
den Autobahnen rund um London. Die britische Hauptstadt befindet sich
im Ausnahmezustand, und niemand würde es den Behörden Übel nehmen,
wenn sie nicht noch mehr Hiobsbotschaften verbreiten wollen.
Dabei war vor einigen Stunden die Welt noch in Ordnung. Viele
Londoner erwachten mit einem Kater angesichts der Feierlichkeiten zur
erfolgreichen Olympia-Bewerbung. Auch meine Frau und ich hatten ein
bißchen gefeiert. Immerhin wohnen wir in Hackney (Ost-London), zehn
Minuten von Stratford entfernt, wo die Spiele 2012 stattfinden
werden. Unser Stadtteil wird sehr von den umfangreichen Investitionen
in die Infrastruktur profitieren. Immerhin ist das
'Eastend' Londons eine der ärmsten Gegenden
Großbritanniens.
Früh am Morgen war ich vor allem damit beschäftigt, mein Auto in
der Werkstatt abzuliefern. Als ich gegen 9.45 Uhr unser Verlagsgebäude
betrat, stürzte gleich ein Kollege auf mich zu: In einigen
U-Bahnschächten habe es Explosionen aufgrund von technischen Problemen
gegeben. Mehr wußten wir zu diesem Zeitpunkt nicht. Explosionen in
U-Bahn-Schächten durch technisches Versagen? So ganz konnte ich diese
Version der Ereignisse nicht glauben. Allerdings waren zu diesem
Zeitpunkt noch zehntausende Menschen in dem riesigen unterirdischen
Labyrinth der Tube unterwegs. Die Nachricht, daß in der U-Bahn Bomben
hochgegangen waren hätte eine unvorstellbare Massenpanik
ausgelöst.
Einige Zeit später wurde bekannt, daß ein Bus in der Innenstadt
explodiert war. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde jedem klar, daß
es sich hier nicht um ein technisches Problem handeln konnte. Viele
Briten hatten schon seit langem befürchtet, daß die Beteiligung
Großbritanniens am Irak-Krieg mit einem blutigen Racheakt gesühnt
werden würde. Schnell tauchte dann auch ein Bekennerschreiben auf und
jeder dachte: es ist soweit.
Bei uns im Verlag war die Stimmung gedrückt. Ans Arbeiten dachte
niemand. Scharenweise versammelten sich meine Kollegen um den
Fernsehapparat, auf dem seit 9 Uhr morgens BBC News 24 lief. Oder sie
wählten nervös Telefonnummern von Freunden und Verwandten -- waren die
Lieben alle unverletzt und in Sicherheit? Als die Bilder von dem
zerstörten Bus über den Fernsehschirm flimmerten, herrschte tiefes
Schweigen. Jeder konnte sich ausmalen, wie furchtbar es die
Passagieren auf dem Oberdeck dieses Doppeldeckerbusses getroffen
hatte. Auf der Website des britischen Fernsehsenders Sky hieß es:
"The front of the British Medical Association building,
near the bus blast, was splattered with blood to a height of around
15ft." Eine solche Meldung sprach für sich, da mußte
man nichts mehr hinzufügen
London weint heute. Und die Welt weint mit ihm.
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