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korrespondenz -> london, 23. jan 2007
 
 
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Big Brother's big shame

von Frank Heinz Diebel

London, 23. Jan 2007_  "Dies ist ein rassistisches Land", schrieb die bekannte australische Feministin, Professorin für Kunstgeschichte und Journalistin Germaine Greer vor einigen Tagen in der britischen Tageszeitung The Guardian. Der Grund: Im Verlauf der unsäglichen Celebrity-Big-Brother-Show, die gerade in Großbritannien auf dem TV-Sender Channel 4 läuft, wurde die indische Bollywood-Schauspielerin Shilpa Shetty von drei weißen, britischen Bewohnerinnen mit rassistischen Sprüchen und allgemeinen Unmutsbekundungen drangsaliert. In Windeseile entfachte sich ein internationaler Proteststurm: Inzwischen sind bei der britischen Fernseh-Aufsichtsbehörde Ofcom 45 000 Zuschauer-Beschwerden eingegangen, es kam zu wütenden Demonstrationen in Indien und Finanzminister Gordon Brown, der sich gerade auf einer Indien-Reise befand, wurde von Journalisten in Bangalore gedrängt, zu den Ereignissen im Big-Brother-Haus Stellung zu nehmen. Auch das britische Unterhaus mußte sich der Sache annehmen und die Polizei in Herfordshire (Heimat des Big-Brother-Hauses) ermittelt wegen rassistischen Verhaltens.

Ob die Briten Rassisten sind, darüber wird derzeit in Büros, an Stammtischen, in Blogs und den Medien auf der Insel heftig diskutiert. Der Vorwurf wiegt schwer, denn so mancher Angelsachse hält Großbritannien für den Geburtsort von demokratischen Tugenden wie Meinungsfreiheit und Toleranz. Dennoch ist Rassismus immer wieder ein Thema, das die Öffentlichkeit beschäftigt. Sei es, daß der Polizei vorgeworfen wird, wie im Mordfall des schwarzen Jungen Damilola Taylor angeblich die Ermittlungen verschleppt zu haben, oder das Gewalttaten mit rassistischen Motiven an Schwarzen oder Angehörigen anderer ethnischer Minderheiten begangen werden. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, daß Diskriminierung zum Beispiel von Deutschen auf der Insel immer noch gang und gäbe ist. Kein Fußballspiel England-Deutschland vergeht, ohne die üblichen Schlagzeilen wie "Let's Blitz, Fritz!" und so weiter. In den Boulevard-Zeitungen werden Deutsche immer noch als "huns" und "krauts" bezeichnet. Wer das als Deutscher nicht mag, dem wird vorgeworfen keinen Sinn für Humor zu haben. In meinen Augen wäre eine Big-Brother-Show mit einem deutschen Hausbewohner in Großbritannien vermutlich undenkbar.

Zunächst wurde also darüber gestritten, ob das Verhalten im Big-Brother-Haus wirklich rassistischer Natur war. Die Antwort war schnell gefunden. Shilpa Shetty wurde von den drei Hausbewohnerinnen Jade Goody, Danielle Lloyd (Ex-Miss Großbritannien), und Jo O'Meara (ehemals Sängerin der Popgruppe S Club 7) als "Hündin" und "fucking loser" bezeichnet; außerdem wurde ihr geraten "sich nach Hause zu verpissen." Originalton Goody: "Mir wird schlecht, wenn ich sie sehe." Jade Goody, ein großmäuliges Promi-Sternchen aus dem rauhen Londoner East End (die bereits in einer früheren Big-Brother-Show als Hausbewohnerin Unheil gestiftet hatte, aus dem Rummel aber gewinnbringend Kapital schlug und inzwischen mehrfache Millionärin ist und unter anderem sehr erfolgreich ihr eigenes Parfüm vermarktet), prägte für die Bollywood-Schönheit die Spitznamen Shilpa Fuckawallah, Shilpa Durupa und Shilpa Poppadom. Außerdem gab es diverse Sticheleien mit rassistischen Untertönen, zum Beispiel angesichts einer Mahlzeit, die Shetty für die anderen Hausbewohner zubereitet hatte: "Die essen doch mit den Händen in Indien, oder nicht? Oder ist das in China? Wer weiß, wo diese Hände vorher gewesen sind", meckerte Danielle Lloyd.

Nachdem Shilpa Shetty sich selbst bei Big Brother über das rassistische Mobbing ihrer Mitbewohner beschwert hatte (eine Beschwerde, die sie etwas später zurückzog), bliesen etliche britische Tageszeitungen zum Angriff: "How a reality TV show has shamed our country in the eyes of the world" titelte der Daily Express. Die auflagenstärkste britische Boulevard-Zeitung The Sun appellierte an die Leserschaft: "Evict the face of Hate" (das "Gesicht des Hasses" ist Chefmobberin Jade Goody). Auch Kulturministerin Tessa Jowell verurteilte die Vorgänge in der Big-Brother-Show: "Ich glaube, das ist Rassismus, der als Unterhaltung präsentiert wird, und ich finde das widerlich." Neben den pöbelnden Hausbewohnern geriet auch der Fernsehsender Channel 4 ins Kreuzfeuer -- insbesondere, nachdem der Chef des Senders, Andy Duncan, neugierigen Reportern als Anwort auf ihre Fragen den Mittelfinger gezeigt hatte. Das Verhalten des Senders ist in der Tat höchst fragwürdig: Nachdem sich Channel 4 zunächst in Schweigen hüllte, gab Duncan nur zu, daß man in "kontroverses Terretorium geraten sei -- das Problem des Rassismus und inwieweit er immer noch in dem Verhalten von Briten verwurzelt sei, trotz all des Fortschritts, den wir im Hinblick darauf gemacht haben, eine echte multikulturelle Gesellschaft zu werden." Big-Brother-Sponsor Carphone Warehouse hat inzwischen seinen Sponsoren-Vertrag mit Channel 4 gekündigt -- die Begründung: "Wir sind absolut gegen jede Form von Rassismus und Mobbing." Der Sender wird teilweise mit öffentlichen Geldern finanziert: Was wird die britische Regierung wohl zu sagen haben, wenn Duncan demnächst um neue Mittel bittet?

Jade Goodys Karriere driftet in eine Krise: Ihr Parfüm Shh... wurde inzwischen aus den Regalen enfernt. In einem Interview mit der Boulevard-Zeitung News of the World betrieb sie Schadensbegrenzung: "Ich habe rassistische Kommentare gemacht. Ich schäme mich für alles." Auch Danielle und Jo steht ein Spießrutenlauf bevor. Ungestraft darf niemand das internationale Ansehen Großbritanniens beschmutzen. Einziger 'Gewinn' aus der Misere bislang: Die Einschaltquoten schnellten aufgrund des Mobbing-Eklats von 3,5 auf 8,8 Millionen hoch. Vermutlich werden am Wochenende zum großen Finale noch mehr Briten zuschalten. Die Frage ist: Wird Bollywood-Queen Shilpa Shetty am Sonntag gewinnen und so den angeschlagenen Ruf Großbritanniens retten? Fortsetzung folgt.

PS: In Anbetracht der Ereignisse im Big-Brother-Haus verwies der Guardian auf ein Interview mit Peter Bazalgette, Chief Creative Officer von Big-Brother-Produzent Endemol, mit Indiantelevision.com letztes Jahr: "Das großartige an Big Brother ist, daß es die Kultur des Landes reflektiert, in dem es stattfindet", erklärte Baz. "Big Brother ist lebensechte Seifenoper." _//
 

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