London, 02. Feb 2007_
Jetzt ist es amtlich: Die Briten sind keine Rassisten. So sehen es
nach dem Sieg der indischen Schauspielerin Shilpa Shetty in der
Celebrity-Big-Brother-Show -- 63 Prozent der Anrufer stimmten für sie
-- jedenfalls die Boulevardzeitungen auf der Insel: "Shilpa
gewinnt BB ... für uns alle" hieß es auf der Titelseite von
The Sun am Tag nach dem Ereignis. "Shilpa schlägt die
BB-Eiferer" titelte der Daily Mirror. Die Journalisten
der Klatschpresse waren sich einig: Die Briten hatten es den Rassisten
gezeigt. Die Logik hinter der Euphorie schien zwingend: Wären die
Briten Rassisten hätte Shetty nicht vom Publikum zur Siegerin gekürt
werden können. Bereits im Vorfeld hatten Zuschauer in Weblogs zu
Kampagnen aufgerufen, die Shilpa auf den BB-Thron verhelfen sollten.
Schließlich mußte das Ansehen des Inselvolks in den Augen der Welt
gekittet werden. Mit Erfolg wie es scheint. Die Sun ist sich
sicher, daß alles wieder in Butter ist: Shilpa
Shettys Auftritt in Celebrity Big Brother wurde als Wendepunkt
im Kampf gegen den Rassismus gefeiert. Obwohl hier die Betonung noch
auf Shilpas Leistung liegt, kommen die Autoren einige Zeilen später
zur Sache: "Kritiker sagten, daß das Ergebnis beweist: Wir sind
eine tolerante Nation." Wer genau diese "Kritiker"
sind, darüber läßt sich die Sun nicht aus.
Andere Journalisten waren da schon selbstkritischer: "Das
richtige Ergebnis ist ein schwacher Trost für Channel 4",
verkündete Mark Lawson in der britischen Tageszeitung The
Guardian. Denn: Noch in den letzten Minuten der Show machte sich
unangenehme Stimmung breit, als einige Zuschauer die
Bollywood-Schönheit beim Verlassen des Big-Brother-Hauses mit
Buh-Rufen empfingen. Channel 4 war diesmal aber auf Draht und drehte
sofort den Ton weg. Den Zuschauern an den Fernsehgeräten wurde
mitgeteilt, daß eine technische Störung vorliege. Erst als die Raketen
und Böller des Feuerwerks krachten, durften die BB-Fans an den
heimischen Glotzen wieder mithören. Eine ähnliche
'Panne' hatte bereits früher am Abend dazu geführt, daß
die Fernsehzuschauer den Proteststurm der Menge zum Empfang von
'house mate' Danielle Lloyd ebenfalls nur sehen, aber
nicht hören konnten. Danielle war eine der Hauptakteurinnen des
rassistischen Mobbings im BB-Haus. Sie hatte Shetty geraten, sich
"nach Hause zu verpissen", sich aber später
entschuldigt.
Uneinsichtig war dagegen die Dritte im Bunde, Jo O'Meara,
ehemals Sängerin der Popband S Club 7 (sie hatte behauptet, viele
Inder seien aufgrund ständiger Krankheit so dünn, da sie ihr Essen
nicht richtig kochten.): "Ich kann nicht sagen, daß es mir Leid
tut", erklärte sie dem Sunday Mirror
trotzig. "Wenn ich nochmal in das Haus ginge, würde ich das
gleiche wieder sagen."
Der Erzbischof von York, John Sentamu (der erste schwarze
Erzbischof der Church of England), war der Ansicht, daß der BB-Skandal
die häßliche Seite einer Gesellschaft enthüllt habe, die schnell
bereit sei, mit dem Finger auf den Ausländer zu zeigen. Wenn das der
Fall sei, kommentierte Sarfraz Manzoor im Guardian, seien die
zahlreichen Beschwerden der Zuschauer und der Sieg Shettys ein
ermutigendes Zeichen. Aber um Rassismus zu besiegen, brauche es mehr
als eine Telefonstimme, schrieb Manzoor weiter und verwies auf die
brutale Ermordung des pakistanischen Taxifahrers Mohammad Parvaiz, der
letztes Jahr von einer Bande weißer, britischer Jugendlicher mit
Zaunlatten und Ziegelsteinen zu Tode geprügelt wurde. Manzoor:
"... es geht darum was passiert, wenn die Kameras
ausgeschaltet sind, wenn Big Brother nicht zuschaut."
Überflüßig zu erwähnen, daß das Thema noch lange nicht vom Tisch
ist -- auch wenn viele britische Zeitungen das Debakel mit dem Sieg
Shettys gerne unter denselben gekehrt hätten. Öffentliche Auftritte
von Promis und Politikern dürften noch schärfer beobachtet werden, als
sie es ohnehin schon werden. In dieser kritischen
'Nach-Big-Brother-Atmosphäre' wirkten zum Beispiel auch
die jüngsten Behauptungen des Tory-Chefs David Cameron (der mit immer
skurrileren politischen Kampagnen auf Stimmenfang für die nächsten
Parlamentswahlen geht) irgendwie fehl am Platz. Cameron erklärte, daß
Multikulturalismus Menschen eher voneinander entferne, statt ihre
Verschiedenheit zu respektieren. Eine Alternative hatte er aber nicht
zu bieten. Allein in diese Richtung zu denken, scheint mir angesichts
der momentanen Stimmung in Großbritannien problematisch.
Geradezu grotesk ist jedoch, daß Channel-4-Chef Andy Duncan im
Endeffekt mit seiner fragwürdigen Entscheidung, dem Mobbing im
Big-Brother-Haus seinen Lauf zu lassen, tatsächlich den Finger in eine
Wunde gelegt hat. Auch wenn es ihm vermutlich in erster Linie um
Einschaltquoten ging, hat er die Augen der Welt auf ein Geschwür in
der britischen Gesellschaft gelenkt, gegen das niemand ein
Allheilmittel kennt.
_//