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korrespondenz -> nairobi, 26. okt 2005
 
 
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Ungesunde Bananen, vitaminreiche Orangen

von Marie Elisabeth Müller

Nairobi, 26. Okt 2005_  Wenn ich in den vergangenen Wochen meine beiden Zeitungen -- in Nairobi liest man The Nation oder The East African Standard, und ich lese immer beide - beim Straßenhändler vor dem Parkplatz meiner Universität kaufe, unterhalten wir uns fast immer auch über den Geschmack von Orangen. Die meisten Kenianer mit denen ich bei der Arbeit oder auf der Straße und in Geschäften spreche, bevorzugen neuerdings Orangen, seitdem die Regierung zwei Früchte zu offiziellen Symbolen bei der Abstimmung über die neue Verfassung Kenias erhoben hat. Orangen stehen für "Nein", Bananen symbolisieren bei der für den 21. November angesetzten Abstimmung ein "Ja" zum Verfassungsentwurf, der "Wako Draft" heißt. Der "Wako Draft" hat das Regierungslager -- das seit November 2002 von mehreren Parteien gebildet wird -- und die ganze Nation in zwei verfeindete Lager gespalten. Das Regierungskabinett von Präsident Kibaki trifft sich schon seit Monaten nicht mehr zu Regierungsgeschäften, sondern Minister und neuerdings auch der Präsident touren durchs ganze Land, um die Kenianer auf "Bananen" oder "Orangen" einzustimmen. Ich erinnere mich an einen Besuch vor wenigen Tagen in meinem kenianischen Cybercafé. Ein Gast, der das Taxi Phone benutzt hat und gerade an seinem Handy horcht, spricht mit einem der festangestellten Mitarbeiter an der Kasse. Der Besucher fragt den Mitarbeiter, "Was essen Sie zu Hause für Früchte?", der antwortet lächelnd, "Ach, wir essen alles mögliche, Avocados, Mangos, Papayas, ... (kleine Pause) und Bananen." Der Cybergast stutzt für einen Moment und läßt sogar sein Handy sinken, dann erwidert er in beißendem Tonfall: "Sie essen Bananen? Das ist sehr gefährlich!" und verläßt raschen Schrittes das Cybercafé, das gleich um die Ecke der University of Nairobi am Main Campus liegt, auf der Koinange Street.

In Nairobi orientiert man sich teilweise an Straßennamen, aber auch anhand der Namen der Gebäude und Häuserblocks in der Innenstadt, die meistens ein großformatiges eingemauertes Namensschild über dem Eingang oder weithin sichtbar auf der Fassade angebracht haben. Das Cybercafé, das ich häufig aufsuche, liegt im Kenya-House, in dem noch viele weitere kleine Geschäfte und Büros versammelt sind. Wie bei allen Gebäuden im Innenstadtbereich, sitzen im Kenya-House im Eingangsbereich Sicherheitsleute, die die Besucher begrüßen und teilweise auch durchsuchen. In manchen Hochhäusern -- in denen Banken, Reisebüros oder andere große Firmen ihre Büros haben -- muß man den Sicherheitsleuten sogar einen Ausweis abgeben, den man erst bei Verlassen des Hauses zurückerhält. Sicherheit wird in Nairobi groß geschrieben, und die Verantwortlichen werden dafür ihre Gründe haben. Vermutlich kann man ohne Illusionen sagen, daß die Lage hier typisch für alle urbanen Regionen außerhalb Mittel- und Westeuropas ist. In Ländern wie der Schweiz, Österreich, Deutschland, befinden sich die EinwohnerInnen vergleichsweise in einem Schlaraffenlandstatus, sowohl was ihren Lebensstandard und das moderate Klima, aber auch was die Sicherheitslage und die staatliche Exekutive betrifft. Jemand (ich glaube, es war der US-amerikanische Reverend Jesse Jackson) sagte kürzlich -- anläßlich der katastrophalen sozialen Situation in den Südstaaten, die durch den Hurricane Katrina offenkundig geworden und medial aufbereitet worden war -- daß weite Teile der USA einem Drittweltland ähnelten. Und beispielsweise in Los Angeles habe ich schon vor vielen Jahren beobachtet, wie sich die Mittel- und Oberklasse in strikt gesicherte Compounds zurückgezogen hat.

Der Alltag in Nairobi wird -- in der Wahrnehmung einer Westeuropäerin -- durch die starke Präsenz von privaten Wachleuten und Sicherheitsfirmen bei allen Erledigungen sehr erschwert und man fühlt sich in der kenianischen Hauptstadt leicht wie in einem Orwellschen Alptraum, denn man kann sich nur selten, in wenigen Stadtteilen, nur zu bestimmten Tageszeiten und überhaupt nur mit Bedacht frei bewegen. Alle diese Sicherheitsmaßnahmen sind zum Schutz der Zivilisten, also auch zu meinem persönlichen Schutz, eingerichtet. Deshalb lösen sie, bis hin zu den weitläufigen und hohen Elektrozäunen, die fast alle Grundstücke umgeben, ganz gemischte Gefühle bei mir aus. In der Innenstadt kann man nur in bestimmten Straßen und Gegenden ungehindert umherlaufen oder gar spazierengehen -- und sowieso möglichst nur, wenn man wirklich so gut wie ohne Wertsachen, beispielsweise auch ohne Ohrringe, unterwegs ist. Als mich vor kurzem ein kenianischer Bekannter zu einer Party in einem Club nahe des Parlaments einlud, fragte er mich zuerst, ob es mir erlaubt sei, die Innenstadt nach 20.00 Uhr überhaupt zu betreten. Ehrlich gesagt, laufe ich um diese Zeit am liebsten nicht mehr alleine dort herum. Man fährt und bewegt sich also von einem gesicherten Compound oder geschützten Parkplatz zum nächsten. Auch in den großen, wunderschönen Naturparks, wegen denen größtenteils die Touristen nach Kenia kommen, fährt man im mehr oder weniger geschlossenen Auto umher, weil man sonst leichte Beute der heimischen Büffel, Löwen, Nilpferde und anderer wilder Tiere würde. Die Vorsichtsmaßnahmen in Stadt und Natur betreffen übrigens nicht nur weiße Europäer, sondern alle Einwohner unabhängig von Hautfarbe und Herkunft, die wohlhabend(er) sind und mobiles Eigentum besitzen. Ich war nicht schlecht erstaunt, als mir ein guter Freund, der einen festen Job hat und an der Universität studiert, erzählte, daß er nur unangemeldet in sein Heimatdorf fährt, das etwa drei Stunden östlich von Nairobi entfernt liegt, um dort seine Familie zu besuchen. Er fürchtet, von anderen Dorfbewohnern überfallen zu werden, weil er in ihren Augen ein wohlhabender Städter ist, und so unfreiwillig zum Objekt vieler Begierden geworden sei. Er übernachtet aus demselben Grund dort so gut wie nie mehr.

Diese verinnerlichten Vorsichtsmechanismen sind die andere, die dunkle Seite des "Turbokapitalismus", der sich als eine Folge des Zusammenbruchs der sozialistischen Staaten seit 1989/1990 verbreitet hat. Seitdem mußten viele Staaten der sogenannten Dritten Welt ohne die gewohnten Finanzspritzen der ehemaligen sozialistischen Bruderstaaten auskommen und lagen für mehr als eine Dekade nicht mehr im Fokus der westlichen Industriestaaten. Inzwischen aber sind über die internationalen Gremien und Instrumente der Weltbank und anderer kommerzieller Entwicklungshilfeorganisationen die zeitgenössischen neoliberalen Spielregeln des Freihandelsmarktes sowie von Rendite und Gewinnoptionen auch in die Drittweltländer Afrikas und anderer Weltregionen importiert worden, deren Arbeitsmärkte und Handelsinstitutionen sich weder von der kolonialen Situation unabhängig noch in irgendeiner Weise wettbewerbstauglich gemacht haben konnten. Die daraus resultierende schizophrene soziale Realität kann man in afrikanischen Millionenstädten wie Nairobi glasklar beobachten. Ein großer Teil der Bevölkerung lebt trotz eines Jobs an der Armutsgrenze, während ein noch größerer Teil der Bevölkerung, etwa geschätzte zwei Millionen Menschen, ohne feste Beschäftigung in den riesigen Slums lebt, die direkt an die Innenstadtbereiche der kenianischen Hauptstadt anschließen. Als ein Fernsehteam der ARD vor kurzem mit starker Bewachung in Kibera Aufnahmen machte, dem mit über geschätzten eine Million BewohnerInnen größten Slum Nairobis, wurden sie trotz der zahlreichen Bodyguards überfallen und einer Kamera entledigt. Graca Machel, die ehemalige First Lady Südafrikas und Ehefrau von Nelson Mandela, besuchte gerade als Vorsitzender einer Afrikanischen Frauenorganisation und im Rahmen einer NEPAD Tagung Nairobi und war an einem Tag auch in Kibera. Sie erklärte einem Journalisten von The Nation, daß sie selbst in ihrer Kindheit tiefste Armut geschmeckt habe und deshalb wüßte, daß man den Armen nicht ihrer Würde nehmen dürfe, wenn man sie besuche. Sie beschränkte ihren Sicherheitsapparat in Kibera auf ein Minimum. Aber vermutlich dürfte ihr größter Schutz ohnehin darin bestehen, daß sie die Ehefrau von Nelson Mandela, der lebenden afrikanischen Nationallegende ist, der überall auf dem Kontinent gleichermassen verehrt wird. Die übrigen Bewohner Nairobis, die in ihrem Alltag keine Armut schmecken, weil für Geld hier wirklich alles erhältlich ist, sind Kenianer, die der superreichen Oberklasse zugehören, oder Ausländer wie ich, die für internationale Organisationen arbeiten, ein gutes oder Spitzeneinkommen haben, und sich in ihre zu Fort Knox' ausgebauten Behausungen und Einkaufsmalls zurückziehen.

Schon früher wurden bei Abstimmungen in Kenia, und anderen afrikanischen Ländern, Symbole gewählt, die auch von Analphabeten verstanden werden können. In Kenia waren es bislang Tiere, für das Referendum am 21. November sind zum ersten Mal Früchte ausgewählt worden. Dahinter steckt auch eine erfolgreiche Marketingstrategie, weil echte Bananen und Orangen nun en masse verkauft werden. Mein Kollege Alfred meinte neulich schon, bald müßten Bananen nach Kenia importiert werden, weil sie den Wahlkämpfern auszugehen drohen. Aber wie jede gute Marketingstrategie vernebeln auch die Früchtchen den Blick auf die eigentliche Abstimmung. Kenia, das seit Ende der 1960er Jahre praktisch als ein Einparteienstaat regiert worden ist -- nach der Unabhängigkeit 1963 und bis zu seinem Tod 1978 von dem Mau-Mau Kämpfer und erstem kenianischen Präsidenten Jomo Kenyatta, danach von Arap Daniel Moi --, erlebte 2002 eine friedliche Revolution, bei der die Regierung Kibaki in einer "Regenbogenkoalition" an die Macht gewählt wurde. Die neue Verfassung sollte ursprünglich unter anderem ein Vielparteiensystem und eine stärkere Machtverteilung innerhalb der Exekutive -- zwischen Präsident und Premierminister, der die Regierung bildet -- gewährleisten. Aber dieses Vorhaben wird in dem nun zur Abstimmung gebrachten "Wako Draft" nicht ausreichend widergespiegelt und viele Kenianer werden für die "Orange" stimmen, weil sie in der neuen Verfassung Züge der altbekannten Zeit wiedererkennen zu meinen. Die Situation ist angespannt und die Kampagnen tragen alle Zeichen für einen bereits ausgebrochenen Machtkampf im Hinblick auf die Wahl 2007, der maßgeblich zwischen Präsident Kibaki, seinem Roads Minister Raila Odinga und dem Oppositionsführer Uhuru Kenyatta ausgetragen wird. Aber auch wenn hier noch einmal alte Kämpfer gegeneinander antreten, die die überwiegend traditionellen Werte der kenianischen Gesellschaft repräsentieren, die jungen Kenianer, denen ich an der Universität und in der Stadt begegne, sind voller Hoffnung und äußern sich gut informiert und extrem kritisch der politischen Elite ihres Landes gegenüber. Sie sehen, daß man sie wieder einmal 'hereinlegen' will, aber sie besitzen Geduld, Friedfertigkeit und Klugheit, um ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und sich für eine bessere Zukunft zu wappnen, die zuallererst in einer guten Ausbildung besteht. Es werden wohl die ländlichen Gebiete sein, in denen die Abstimmung zum "Wako Draft" entschieden wird, und in denen traditionelle Stammeszugehörigkeiten, Landrechte und Privilegien ausschlaggebend sein werden. Kein Wunder, der Präsident ist dazu übergegangen, an einige Stammesgemeinschaften Landrechte zu verschenken und dabei sogar den Widerspruch des Chief Justice in Kenia, Evan Gicheru, zu ignorieren. Auch internationale Proteste konnten nicht verhindern, daß der Präsident den für das kenianische Kulturerbe und den Tourismus wichtigen Amboseli National Park in ein nationales Reservat mit lokaler Verwaltung durch den Stamm der Olkejuado herunterstufen ließ und damit auf wichtige Einnahmen für den Staat zugunsten der lokalen Gemeinschaft verzichtete.

Dennoch, im Augenblick scheint Kenia in ein überwältigendes Orange getaucht zu sein und man darf gespannt sein, ob die Befürworter der neuen Verfassung, unter denen sich Präsident Kibaki und seine 'Cronies' befinden, das Referendum in letzter Minute stoppen oder einer deutlichen Niederlage entgegengehen. _//
 

autoreninfo 
Dr. Marie Elisabeth Müller  ist Literatur- und Medienwissenschaftlerin und lebt in Berlin. Seit Mai 2008 tätig im Internationalen Bildungsmanagement für deutsche Hochschulen und internationale Institutionen. Von Oktober 2004 bis April 2008 als literaturwissenschaftliche DAAD-Lektorin an der University of Nairobi, Kenia. Seit 1993 Arbeit als Journalistin, Redakteurin und Autorin für Radio und Printmedien und als Regisseurin für Radiofeatures. Autorin von über 40 Features und einigen Hörspielen; unter anderem Bearbeitung von Martin Amis, Night Train für den MDR (erschien im Audio-Verlag 2002). 2005 veröffentlichte Hoffmann Und Campe ihr Buch Mietek Pemper, Der rettende Weg. Schindlers Liste, Die wahre Geschichte, das sie in enger Zusammenarbeit mit Mietek Pemper und Viktoria Hertling schrieb und das mehrfach übersetzt worden ist, u.a. 2008 in englischer Übersetzung bei The Other Press, New York. Zahlreiche Veröffentlichungen in Fachjournalen und in Internetzeitschriften. Themen: Kultur- und Bildungsmanagement -- Kulturjournalismus -- Interkulturelles Training -- Medientheorie -- Zeitgenössische Literatur.
Homepage: http://memplexx.de/
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