Nairobi, 25. Aug 2006_ Vor kurzem bekam ich eine nette E-Mail von einer deutschen Kollegin
aus Lagos, die mich darauf aufmerksam machte, daß das
nigerianische "Wahalla" wenig mit dem germanischen
"Walhalla" gemein habe, auf das ich in meiner
letzten E-Mail
letzten E-Mail aus Nairobi eingegangen bin. Tja, ich gebe zu, das ist
ein typischer interkultureller Sprachirrtum, der nur echten
KennerInnen des nigerianischen Pidgin-Englisch aus Lagos
aufällt. Während sich die kenianische Wahalla Szene derweil nach
Abreise der Artur-Brüder in endlosen parlamentarischen Anhörungen
dahinschleppt und versanden wird, durchlebten Germanen und andere
Europäer die europäischen Sommermonate in Nairobi unter einem tristen
Himmel ohne afrikanische Sonne und mit trübem Regenwetter. Ende Juni
bis Anfang August ist es hierzulande zudem bitterlich kalt und während
ich im vergangenen Juni noch im Mittelmeer bei Oran geschwommen bin,
habe ich in diesem Jahr meinen Kamin in Nairobi zu befeuern
gelernt. Die ersten Male flackerte das Feuer auch hell und verströmte
bald die erwartete Wärme. Aber als das gelagerte Holz verbraucht war
und ich neue Scheite für weitere Taten bei den üblichen Händlern am
feuchten Strassenrand eingekauft hatte, stand mein Apartment plötzlich
in tiefem Qualm und ein zufälliger Besucher konnte nur noch durch
tränende Augen zu mir sprechen. Die Kunst der Holzlagerung gehört hier
für zwei Monate Mitte des Jahres mit zum dringend benötigten
Alltagswissen, sofern man einen Kamin hat. Auch ein Wintermantel ist
hin und wieder nicht verkehrt, zumal Häuser und öffentliche Gebäude
für tropische Temperaturen eingerichtet sind und viele Veranstaltungen
weiterhin im Zugigen stattfinden. Die kenianische Stadtbevölkerung
allerdings trotzt den kühlen Winden überwiegend, indem sie sie
ignoriert und ihren Alltagsgeschäften nachgeht, als würde weiterhin
die ewige Sonne scheinen. Alles eine Frage der Einstellung und einer
gut sortierten Hausapotheke. Kein Wunder, daß der Präsident inzwischen
für einige Wochen an die Küste gereist ist, um seinen Wahlkampf für
Dezember 2007 anzuheizen, während seine engsten Konkurrenten in den
USA, Deutschland und Australien das Weite suchten. Der beginnende
Wahlkampf erschöpft sich vorerst darin, die Kandidaten der
augenblicklichen Nichtregierungs-Parteien LDP und KANU zu profilieren,
die schließlich gegen Amtsinhaber Kibaki (NARC-K) antreten werden, und
sich gegenseitig die Reise- und Wahlkampfbudgets vorzurechnen. Die
Forderung der Opposition, endlich wieder an die, nach dem für die
Regierung verlorenen Referendum, seit neun Monaten stillgelegte
Verfassungsreform zu gehen, kann zu einer wahlentscheidenden
politischen Karte werden. Aber Mwai Kibaki, der Präsident, der nach
wie vor in erster Linie in Schweigen regiert, besitzt einen
Präsidentenbonus, wie aus jüngsten Umfragen hervorzugehen
scheint. Diesen Bonus kann man auch noch bei seinem Amtsvorgänger
Daniel Arap Moi besichtigen, der sich durch einen Autounfall Anfang
August sofort in die vorderste Berichterstattung des Landes
katapultierte und vom Krankenhausbett weiter seine politischen
Strategien dirigierte, die auf Machterhaltung seiner einflußreichen
Familie und Alliierten aus Rift Valley und Central Province
abzielen. Unter anderem besitzt die Moi-Familie 49% am
Standard-Medienhaus, in dessen Personalpolitik sie regelmäßig
"diskret" eingreifen soll. Als weiser Elder Statesman hat
sich der ehemalige Diktator seit Monaten wieder ins tagespolitische
Spiel in Kenia eingefädelt und genießt sein Ansehen in Teilen der
Bevölkerung und der Medien. Sein Unfall dürfte dabei auf gefährlich
überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen sein, denn auf Kenias Straßen
rasen die Wagenkolonnen der politischen Klasse weiterhin umher, als
gelte für sie keine Verkehrsordnung. Es kann gut passieren, daß einem
auf einer zweispurigen Straße mitten in Nairobi ein
blaulichtbestückter und schrill pfeifender Mercedes als Vorhut einer
solchen Kolonne in falscher Fahrtrichtung entgegenrast und alle
anderen Fahrzeuge gewaltsam zur Seite drängt. Die panisch
verlangsamten Reaktionen der mit solchen Attacken ungeübten Fahrer
münden nicht selten in Unfällen, wie ich selbst schon in der Nähe vom
Präsidentensitz beobachten konnte. Auch das eine Frage der
Einstellung.
Ob Kenianer gerne und viel lesen, ist eine der Fragen, die meine
kenianischen Bekannten häufiger ausführlich und disparat
diskutieren. Das Distributionsnetz des kenianischen Buchhandels ist
im Vergleich mit Deutschland fast nicht vorhanden und Bücher
sind für ein lokales Durchschnittseinkommen märchenhaft
teuer. Germanistk StudentInnen lesen fast alles in Kopie und in
Leihexemplaren, denn unsere deutsche Bibliothek an der University of
Nairobi ist aufgrund großzügiger Bücherlieferungen
über das Goethe-Institut in Deutschland bemerkenswert gut
ausgestattet. In Nairobi gibt es zwei herausragende Buchhandlungen,
"Bookpoint", zentral an der Moi Avenue gelegen, und
"Bookstop" im Yaya-Center in Hurlingham, die allerdings
fast alles haben und besorgen können, was an zeitgenössischer
und klassischer englischsprachiger und kenianischer Literatur ins
Auge rücken mag. Chand Bahal, Betreiber des "Bookstop",
zeigt dabei eine bibliophile Euphorie inmitten seiner von der Last
wuchernder Bücherstapel durchgebogenen Regalwände, die mich
an die verblassenden Tage der Liebhaber-Buchläden in Deutschland
erinnert, als man Doron Rabinovici noch nicht hätte
buchstabieren müssen, um im Computer seine Neuerscheinung zu
fixieren, und unter verstaubten Exemplaren handsiginierte Ausgaben
von was-weiß-ich-wem aufzufinden waren. Aber wie in der
bildenden Kunst kann ein nicht-europäischer Autor hier nur vom
Schreiben leben, wenn er einen Verleger in Europa oder Nord-Amerika
findet. Der junge kenianische Schriftsteller Binyavanga Wainaina, der
in Deutschland insbesondere durch seinen in der Süddeutschen
Zeitung erschienenen satirischen Text "How to write
about Africa. some tips: sunsets and starvation are good" von
2005 bekannt geworden ist, wird vom anglosächsischen Verlagshaus
GRANTA publiziert und nutzt so die Möglichkeit, ein
internationales Publikum zu erreichen. In Nairobi hat er 2003 die
jährlich erscheinende Anthologie "kwani?" begründet,
in der literarische Texte, Cartoons und journalistische Reportagen
von zeitgenössischen kenianischen AutorInnen und Dokumente
kenianischer Kulturgeschichte veröffentlicht werden. Einmal
monatlich trifft sich das kwani?-Team mit seinem begierigen Publikum
im "Club Soundd" in Nairobi zu öffentlichen Poetry
and Slam Sessions, die von populären Radio- und
FernsehjournalistInnen moderiert werden. Sprachwitz und
Geschichtsbewußtsein sind die Signatur vieler Texte in den
bislang erschienenen drei kwani?-Editionen. Einer meiner
Lieblingstexte ist darunter "The Poetry Police" von Tony
Mochama, der so endet: "They shall charge me. With
writing while under the influence of thinking. When I run out of
poetic tricks, I shall commit syntax, Ferry my body in a verse, And
bury me, in the symmetry." Gleich daneben findet sich
eine Anzeigenseite von Transparency International: "Silence is
not always Golden" ... wie im richtigen Leben, denn in
Kenia ist es immer nur ein Schritt von der Politik in die Welt der
Fiktion -- und zurück.
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autoreninfo

Dr. Marie Elisabeth Müller ist Literatur- und Medienwissenschaftlerin und lebt in Berlin. Seit Mai 2008 tätig im Internationalen Bildungsmanagement für deutsche Hochschulen und internationale Institutionen. Von Oktober 2004 bis April 2008 als literaturwissenschaftliche DAAD-Lektorin an der University of Nairobi, Kenia. Seit 1993 Arbeit als Journalistin, Redakteurin und Autorin für Radio und Printmedien und als Regisseurin für Radiofeatures. Autorin von über 40 Features und einigen Hörspielen; unter anderem Bearbeitung von Martin Amis, Night Train für den MDR (erschien im Audio-Verlag 2002). 2005 veröffentlichte Hoffmann Und Campe ihr Buch Mietek Pemper, Der rettende Weg. Schindlers Liste, Die wahre Geschichte, das sie in enger Zusammenarbeit mit Mietek Pemper und Viktoria Hertling schrieb und das mehrfach übersetzt worden ist, u.a. 2008 in englischer Übersetzung bei The Other Press, New York. Zahlreiche Veröffentlichungen in Fachjournalen und in Internetzeitschriften. Themen: Kultur- und Bildungsmanagement -- Kulturjournalismus -- Interkulturelles Training -- Medientheorie -- Zeitgenössische Literatur.Homepage: http://memplexx.de/E-Mail: mem@gmx.com