New York, 7. Sep 2004_
Einer der Wahlkampfkritikpunkte seitens der Demokraten, der von den
Republikanern genauso als unpatriotisch abgetan wird wie er ihnen ein
Dorn im Auge ist, ist die Rede von den zwei Amerikas, ein Slogan, der
vom demokratischen Vizepräsidentschaftskandidaten John Edwards schon
zu Beginn des jetzt in die heiße Phase gehenden US-amerikanischen
Wahlkampfs geprägt wurde. Auf der einen Seite steht hier das von den
Republikanern bevorzugte und unterstützte Amerika der Reichen, der
Milliardäre und Großkonzerne, die dank der Innen- wie Außenpolitik der
Bush-Regierung noch reicher werden, als sie es sowieso schon sind, und
auf der anderen Seite das Amerika des großen Rests der Bevölkerung,
das in der Vision der Republikaner keinen Platz hat und damit im
Rahmen der gegenwärtigen Regierungspolitik sang- und klanglos auf der
Strecke bleibt. Alles nur Neid und unpatriotische Wahlkampfpropaganda,
heißt es dazu von republikanischer Seite, wo man zur Zeit in
altbewährter Manier damit beschäftigt ist, das Image des
Gegenkandidaten John Kerry zu diskreditieren, und George W. Bush als
einzig und allein befähigt darzustellen, das Land mit eiserner Faust
vor dem ansonsten sicheren Untergang im Kampf mit dem internationalen
Terrorismus zu retten.
Nichts war jedoch während des am vergangenen Donnerstag zuende
gegangenen Parteitags der Republikaner in New York City
offensichtlicher als gerade die Gespaltenheit der Nation in zwei
ungleiche Lager: Auf der einen Seite die hermetisch nach Außen
abgeschlossene Show der sich gegenseitig zujubelnden republikanischen
Delegierten in der berühmten Arena des Madison Square Garden, und auf
der anderen Seite eine beständige Welle von Protesten verschiedener
Gruppen der New Yorker Bürger und der US-Bevölkerung; die
umfangreichsten Proteste die es gegen eine Regierungspartei auf ihrem
Parteitag je gegeben hat, und die ein Polizeiaufgebot auf Trab
hielten, wie es in diesem Ausmaß selbst New York noch nie erlebt
hatte. Eine halbe Million Menschen gingen am 29.8., dem Vortag des
Parteitagsbeginns unter wolkenlosem Himmel und in beinahe
unerträglicher New Yorker Augusthitze in Midtown Manhattan auf die
Straße, um ihrem Unmut über die Politik der Bush-Regierung und über
die schiere Anwesenheit der republikanischen Delegierten gerade in New
York City Ausdruck zu geben. "Ich habe die New Yorker noch nie
patriotisch erlebt," meinte einer meiner New Yorker Freunde
hier anläßlich des allgemeinen Unmutes, "außer nach dem
11. September, und ich habe New Yorker noch nie wirklich politisiert
gesehen, außer nach der Entscheidung der Republikaner, ihren Parteitag
in New York abzuhalten." "Streets of Rage. Bush
Ignites the City", "Straßen des Zorns. Bush
entflammt die Stadt" titelte dementsprechend die Village
Voice und wählte ein Titelblatt, auf dem die Wolkenkratzer von
Lower Manhattan, wo die Türme des World Trade Centers nun nicht mehr
zu sehen sind, sich hinter der symbolträchtigen Brooklyn Bridge, Ikone
der Stadt und Zeichen des Massenexodus nach den Attacken des
11. September, als geballte Fäuste gen Himmel recken.
Zunächst muß den Strategen des republikanischen Wahlkampfs und der
allgemeinen Regierungspropaganda, allen voran Karl Rove, dem
'mastermind' des Bushcamps in Sachen
Medienpräsentation und --manipulierung die Wahl New Yorks als Ort für
das republikanische Parteitagsspektakel als Geniestreich erschienen
sein. Denn was konnte effektiver sein, als das gegenwärtig immer noch
wichtigste US-amerikanische Narrativ, die Ereignisse des 11. September
2001, das die Bush Regierung ja seit nunmehr drei Jahren als carte
blanche für mehr oder weniger alle Facetten ihrer radikalen Politik
benutzt, am Orte des Geschehens mit der eigenen Interpretation zu
besetzen und festzuschreiben? Was wäre erfolgversprechender, als zum
bewußt spät gewählten Zeitpunkt des Parteitages, knapp eine Woche vor
dem Jahrestag der nationalen Katastrophe und knappe zwei Monate vor
der Wahl, nur wenige Meilen von der WTC site entfernt medienwirksame
Tränen zu vergießen und George W. Bush noch einmal als entschlossenen
Retter der Nation und republikanischen Kandidaten für die Wiederwahl
des US-amerikanischen Präsidenten aufs Schild zu heben?
Bei diesen Überlegungen hatte man jedoch die Rechnung ohne die New
Yorker gemacht, die ihrer Entrüstung über die republikanischen Pläne
bereits unmittelbar nach der Entscheidung für den Parteitagsort New
York Luft machten. Schnell liefen Planung und Vorbereitungen für
großangelegte Gegendemonstrationen auf Hochtouren. Hierbei war der von
den beiden Graswurzel-Organisationen United for Peace and Justice
(UPJ) und Not In Our Name (NION) geplante Protestmarsch vom 29.8. nur
der wirkungsvollste Teil eines einwöchigen Programms, das viele
kleinere und dezentralere Aktionen miteinschloß. Still We
Rise, eine Koalition von rund 50 NGOs, darunter viele New Yorker
Gruppen, die sich der Hilfe für HIV-Positive, Immigranten, Arme und
Obdachlose verschrieben haben, marschierte am Montag, die
Gewerkschaften und die National Organization for Women (NOW) riefen am
Mittwoch zum Protest auf, und für Dienstag den 31.8. waren von einem
anarchistischen Kollektiv, der A31 Action Coalition schon im Voraus
über den Tag verteilte Aktionen des zivilen Ungehorsams angekündigt
worden. Am beeindruckensten, abgesehen von der gigantischen
Protestaktion am Sonntag, die Menschen jeglichen Alters und
gesellschaftlichen Hintergrundes aus New York und dem ganzen Land
zusammenbrachte, waren wohl zwei symbolische Aktionen, die an Beginn
und Ende der Protestwoche standen. Am Mittwochmorgen, zwischen 8:13
and 8:31, bildeten mehrere Tausend Menschen 'The Line,'
eine symbolische Arbeitslosenschlange, die sich von Wall Street bis
zum Madison Square Garden erstreckte, und am Samstag vor dem
Parteitagsbeginn waren Zehntausende mit Glocken und Glöckchen in der
Hand in einer Ausläutprozession über die Brooklyn Bridge zur WTC
site gezogen, hatten diese einmal umrundet und dann in zehn
Schweigeminuten ein Eingedenken der Opfer des 11. September erreicht,
das den Vereinnahmungsbestrebungen der republikanischen Partei
zuvorkommen sollte. Von den Medien wurden gerade diese beiden letzten,
verhältnismäßig 'leisen' Aktionen jedoch kaum
bzw. überhaupt nicht beachtet, was ihre Wichtigkeit zwar natürlich
nicht schmälert, im Hinblick auf die Entscheidung des sich nun
verschärfenden Wahlkampfes allerdings durchaus eine Rolle spielt. Denn
der Wahlausgang und der Kampf um die Wählerstimmen wird in den USA
noch mehr als anderswo vor allem in den Medien entschieden, eine
Tatsache, derer sich die Organisatoren des Bürgerprotestes natürlich
mehr als bewußt waren.
In dieser Hinsicht jedoch stellten die Proteste ein zweischneidiges
Schwert dar, denn 'echte' Medienaufmerksamkeit vermögen
letztlich eben nur gewaltsame Ausschreitungen zu erreichen, und gerade
diese galt es während des Parteitages zu verhindern, hatten doch die
Republikaner bereits im Vorfeld angekündigt, jegliche Ausschreitungen
während ihres Treffens auf bewußte 'Volksverhetzung'
seitens der Demokraten zurückzuführen. Gleichzeitig war ebenso klar,
daß ein eventuelles Chaos auf den Straßen der Stadt, der
'großen Hure Babylon', die New York für viele
Amerikaner in den ländlichen Weiten des Landes ja immer noch ist, von
den republikanischen Spinmeistern als prophetisches Vorzeichen des zu
erwartenden allgemeinen Chaos unter einer demokratisch geführten
Regierung gedeutet werden würde. -- Zwischen Anti-Bush-Demonstranten
und Terroristen besteht eben letztlich kein wirklicher
Unterschied. Wer auf ein solches Chaos hoffte, für den waren die New
Yorker Parteitagsproteste ohne Zweifel eine Enttäuschung, denn wenn es
auch im Laufe der fünftägigen Proteste zu rund 1700 Verhaftungen kam,
fanden diese aufgrund höchstmöglicher Disziplin unter den
Demonstranten sowie aufgrund mit Zurückhaltung gepaartem rigorosen
Zugreifens seitens der Polizei statt, ohne daß es dabei zu
nennenswerten Ausschreitungen gekommen wäre. Ted Koppel, einer der
bekanntesten Nachrichtenkommentatoren des Landes zeigte sich in einem
Interview darüber sichtlich enttäuscht. Es sei im Rahmen der Proteste
einfach nichts weiter Berichtenswertes geschehen, wobei man sich doch
schon darauf eingestellt hatte, ähnlich aufregende Bilder wie vom
Parteitag anno '68 in Chicago zeigen zu können, als es zu blutigen
Zusammenstößen von Polizei und Demonstranten gekommen war. Im Hinblick
auf Ted Koppels Hoffnungen bot gerade der große Protestmarsch vom
Sonntag Anlaß zur Sorge, denn hier hatten die Organisatoren ja bis zur
letzten Minute und bis zur letzten Instanz, dem US Supreme Court, mit
der Stadt um die Erlaubnis gekämpft, den Marsch mit einer Kundgebung
im Central Park enden lassen zu dürfen. Dieser Kampf jedoch war
gescheitert, denn der Rasen des great lawn ist hier in New
York den Stadtvätern ebenso heilig wie der in Wimbledon den Londoner
Tenniszaren. Ein Szenario in dem ein verbitterter Teil der
500 000 Demonstranten, die sich um ihre Rede- und
Versammlungsfreiheit gebracht sahen, trotz des Verbotes sich auf den
Weg zum Central Park gemacht hätten, um dabei mit der Polizei
aneinanderzugeraten, was ein höchst ungutes Vorzeichen für den Rest
der Woche gesetzt hätte, war daher nicht auszuschließen, und ein
solches 'worst-case scenario' spukte daher
auch im Vorfeld warnend durch die Feuilletons. Zum Glück blieb der
geballte Aufmarsch der aufgebrachten Bevölkerung jedoch friedlich und
in den vorgeschriebenen Bahnen und konnte wegen seiner überwältigenden
Größe -- 250 000 hatten die Organisatoren erwartet, 500 000
waren gekommen -- auch von den nationalen Medien nicht übersehen
werden. Doch wenn die Bilder von der Großdemonstration auch am Montag
noch den Mantelteil der New York Times prägten, womit sie die
Berichterstattung von der Eröffnung des Parteitages selbst
überschatteten, so wurden sie in den folgenden Tagen schnell von den
überlebensgroßen Gesichtern von Rudi Guiliani, Arnold Schwarzenegger,
Bush und Cheney ersetzt, die vollmundig ein 'sicheres
Amerika' versprachen, womit unklar ist, wieviel vom ersten
Eindruck der Woche im kurzlebigen Gedächtnis der amerikanischen
Bevölkerung wenige Tage später noch übrig ist. Von einigen Stimmen
werden die Ereignisse der Parteitagswoche in New York und das
Auftreten des 'anderen' Amerikas auf den Straßen der
Stadt jedenfalls bereits jetzt als mögliche Antwort auf die alte
philosophische Frage gewertet, ob ein Baum im Wald denn tatsächlich
gefallen sei, wenn dies niemand beobachtete. Es bleibt abzuwarten, ob
das Echo des Aufpralls in den amerikanischen Wahlurnen Anfang November
noch zu hören sein wird.
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