Von Wolfram Schütte

© Roderich Reifenrath
|
Vertrauen Sie sich mir an - Als Kunde der Postbank ist es mir nun schon
mehrfach geschehen, dass ein Überweisungsauftrag nicht ausgeführt wurde, weil
meine Unterschrift auf der Überweisung mit der hinterlegten angeblich nicht
übereinstimme. Es handelte sich dann immer um die Überweisung größerer
Geldbeträge über 1000 €, nie um kleinere Beträge. Mir ist auch nicht bekannt,
dass ich ab 1000 € anders unterschriebe als wenn es um weniger Geld geht. „Soll
Ihr Auftrag noch ausgeführt werden?“, werde ich dann in dem Schreiben der
Postbank, in dem sie mir ihre Auftragsverweigerung mitteilt, gefragt &
angewiesen: “Dann bitten wir Sie, uns einen neuen Überweisungsantrag zu senden.
Denn die Originalaufträge vernichten wir, nachdem wir sie elektronisch erfasst
haben. So stellen wir eine kostengünstige und schnelle Bearbeitung sicher. Für
Ihr Verständnis vielen Dank“.
Über das irritierende Faktum der Abweisung & die Formulierungen dieses Textes
habe ich nun zu oft Gelegenheit gehabt nachzugrübeln, als dass mir nicht das
eine oder andere darüber durch den Kopf gegangen wäre. 1. Wieso fragt man mich,
ob mein Auftrag „noch“ ausgeführt werden soll & nicht „dennoch“, will sagen:
obwohl er von der Postbank storniert worden war? 2. Wieso ist das corpus delicti
meines Originalauftrags, nämlich der handschriftliche Beweis dafür, dass meine
Unterschrift angeblich mit der hinterlegten Form nicht übereinstimme, vernichtet
worden? 3. Ich habe keine faktische bzw. rechtliche Möglichkeit, gegen die
Falschbehauptung der Postbank mich zur Wehr zu setzen oder vorzugehen. 4. Der
Fall provozierte wahrscheinlich erst dann eine juristische Klärung, wenn durch
die fälschliche Zurückweisung einer terminlich fixierten Überweisung
Säumniszuschläge o.ä. entstanden wären & ich deshalb gegen die Postbank klagen
würde.
Ich würde diesen Prozess höchst wahrscheinlich verlieren. Denn die Postbank
würde argumentieren, dass sie ja zu meinem Schutz & gegen einen erschlichenen
Missbrauch meines Kontos durch Betrüger die aktuelle Unterschrift mit der von
mir hinterlegten durch ein Gerät elektronisch „abgleichen“ lasse. Somit werde
maximal sichergestellt, dass kein Fremder meine Unterschrift fälschen könne;
ebenso werde damit auch der subjektive Faktor einer möglichen menschlichen
Beurteilung beim Vergleich der beiden Unterschriften ausgeschlossen.
Der einzige Unsicherheitsfaktor dabei bin offenbar nur ich. Weil ich nicht
meiner hinterlegten Vorgabe entsprochen habe: befindet der Apparat.
Günther Anders hat in seiner „Antiquiertheit des Menschen“ von der
„prometheischen Scham“ gesprochen, wenn der Mensch erkennt, dass die von ihm
erschaffene Maschine ihm überlegen ist & er sich seiner „Unterlegenheit“ schämt.
Die Unterlegenheit besteht in den meisten Fällen darin, dass die Maschine
exakter ausführt, womit sie mit dem Menschen, der sie dazu programmiert hat, in
Konkurrenz tritt. In diesem Fall: sie hat meine Unterschrift – Ausdruck meiner
Individualität - fixiert & kann sie exakt reproduzieren. Ich dagegen muss meine
Unterschrift jeweils neu produzieren & dabei versuchen, meinem einmal
niedergelegten graphischen „Urbild“ nahe zu kommen. Offenbar ist die Maschine,
die meine Versuche, mir selbst unterschreibend nahezukommen, derart
programmiert, dass ihre Toleranzbreite für die erkennungsdienstliche
Vergleichung sich reduziert, wenn die damit verbundene Freigabe von Geld eine
bestimmte Höhe überschreitet.
Wahrscheinlich könnte ich der Demütigung, der sie mich in diesen Fällen zufügt,
glanzvoll entgehen, wenn ich mir aus meiner hinterlegten Unterschrift einen
Stempel machen ließe & statt meine Überweisungen zu unterschreiben, sie jeweils
stempelte. Womit der gefährliche Rest an punktuell möglicher subjektiver
„Abweichung“ beseitigt wäre, weil ich mich selbst „maschinell“, als Stempler,
„bewaffnet“ hätte.
*
Schwarze Hefte – Unter diesem Titel machten kürzlich private
Aufzeichnungen Martin Heideggers Skandalgeschichte. „In his own write“, um mit
John Lennons Buch zu sprechen, geben die „Schwarzen Hefte“ Zeugnis von den tief
sitzenden antisemitischen Ressentiments des Schwarzwälder Philosophen.
In sechs Schwarzen Heften hat die „Süddeutsche Zeitung“ jährlich seit 2013 bis
zum 3. August dieses Jahres ein Protokoll der 438 Tage publiziert, an denen in
München der NSU-Prozess verhandelt wurde. Die Reporter Annette Ramelsberger,
Wiebke Ramm & Rainer Stadler haben etwas Einzigartiges verfasst: eine
Dokumentation aller wesentlichen, substantiellen Aussagen aller an dem Prozess
beteiligten Personen: vom Richter Manfred Götzl über die Angeklagten & deren
Anwälte bis zu den Plädoyers der Nebenkläger. Das ist eine herausragende
journalistische Arbeit, denn es galt, Unwesentliches, Redundantes etc.
wegzukürzen oder zusammenzufassen – ohne die Nervenpunkte des Verlaufs & die
zentralen Aussagen & Äußerungen im Gerichtssaal aus den Augen zu verlieren.
Ramelsberger, die Gerichtsreporterin der SZ, ist für ihre Berichterstattung über
den NSU-Prozess bereits 2014 mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet worden.
Aber die drei Journalisten, die das sechsjährige Verfahren kontinuierlich
verfolgt & zusammengefasst haben, hätten für das Kondensat dieser
außergewöhnlichen „Langzeitbeobachtung“ ebenso eine Auszeichnung verdient wie
Redaktion & Verlag der Süddeutschen Zeitung, die jährlich eines ihrer
unterhaltsamen bunten Wochenendmagazine nahezu vollständig davon frei geräumt
haben, um ausreichend Platz für diese fortlaufende Dokumentation in ihren
Schwarzen Heften zu haben – als zeitgenössische Agora, auf der die aktuellen
Mentalitäten aller am Prozess Beteiligten versammelt & ein für allemal
festgehalten sind. Ein journalistisch-semantisches Zeugnis & historisches
Dokument unserer Zeit.
Mehr noch: Man könnte sogar ohne Übertreibung der Meinung sein, dass das
sechsfache SZ-Magazin damit sowohl symbolisch als auch faktisch im Raum der
Öffentlichkeit für die beschädigte Würde der polizeilich heimgesuchten Familien
& zum Gedenken von deren heimtückisch ermordeten Familienmitgliedern getan hat,
als der Richtspruch, der am Ende des NSU-Pronzesses stand.
Das verdiente eine symbolisch deutliche öffentliche Würdigung, z.B. von dem
höchsten Repräsentanten des Staates, der sich, zurückhaltend formuliert, im
Blick auf den sogenannten „NationalSozialistischenUntergrund“ & dessen
Verbindungen zum Verfassungsschutz auf der ganzen Linie versagt hat.
*
Vom Himmel hoch, da komm ich her – Rückblickend auf einen
Dokumentarfilm über Zugvögel, der vor ein, zwei Jahren Furore machte, weil die
Kamera auf Augenhöhe & in nächster Nähe der beobachteten Wildgänse z.B. auf
ihrem Flug über die Alpen, mitflog, waren das womöglich die ersten
filmästhetisch fündigen Drohnenbilder. Bis dato hatte man zwar von diesen
technisch neuen, heimtückischen Instrumenten der US-Kriegsführung gegen einzelne
mutmaßliche „Terroristen“ gehört, wofür besonders der Friedensnobelpreisträger
Obama ein Faible hatte.
Nachdem militärisch mannigfaltig zu nutzende, unterschiedlich große Drohnen im
politisch- militärischen Komplex eingeführt worden waren & mittlerweile bald
jeder bei uns sich für seinen privaten Gebrauch & zum Vergnügen Drohnen leichter
kaufen kann als Feuerwaffen, dringen die ferngesteuerten unbenannten kleinen
Hubschrauber ohne viel Aufhebens in unseren Alltag. (Gewiss wird das zu
mannigfachen Problemen führen, die mich jedoch augenblicklich nicht
interessieren.)
Die Drohne mit Kamera ist mittlerweile zum geläufigen Instrument sowohl in der
TV-Reportage als auch im Spielfilm geworden. Was bislang mit Hubschrauber,
Teleobjektiv oder (stationär) Kranfahrten als weitläufige & rasante Fahrten im
Raum oder durch Panoramaschwenks spektakulär von sich reden machte (& ebenso
aufwendig wie teuer war), ist nun wesentlich leichter zu machen & billiger zu
haben.
Nicht verwunderlich, dass die Drohnen mit Kamera im Augenblick in der
audiovisuellen Produktion inflationär en vogue sind. Ich erinnere mich noch,
dass es eine Zeit im Kinospielfilm gab, in der Regisseure wie z.B. Niklas
Schilling besonders stolz auf ihre „Steadycam“-Fahrten waren. Sie suggerierten
eine schwebend-fluide Bildlichkeit. Da die Kamera dabei aber an die
Körperlichkeit des Kameramannes oder der Kamerafrau gefesselt war (obgleich sie
dabei scheinbar frei sich zu bewegen schien), blieb der Suggestionsraum
gewissermaßen nur auf „Augenhöhe“. Nun aber kann sich der Kamerablick von der
„Augenhöhe“ mühelos im Raum bewegen & vor allem (wie ein Vogel) sich in die Höhe
erheben: zur Überblicksperspektive & -totalen & scheinbar schwerelosen
Blickfahrten im Luftraum. Kamera & Kameramann oder -frau sind nicht mehr mit
ihrem optischen Aufzeichnungsgerät (erst recht beim Steadycam) physisch
verbunden, sondern noch mehr getrennt voneinander als der Arzt, der eine
Darmspiegelung mit einem Koloskop vornimmt: das verwandte optische Verfahren en
miniature. Die Drohnenkamerafahrten erweitern zweifellos das
Darstellungsrepertoire der audiovisuellen Medien & verändern damit auch deren
bisherige Erzählformen. Bin gespannt, wann einer damit wirbt, seinen ganzen Film
nur mit Drohnen gedreht zu haben; & wie das dessen Erscheinungsbild verändern
würde.
Artikel online seit 15.08.18
|
»Petits
riens«,
nach dem Titel
eines verloren gegangenen Balletts, zu dem der junge Mozart einige pointierte
Orchesterstücke schrieb, hat der Autor seit Jahren kleine Betrachtungen,
verstreute Gedankensplitter, kurze Überlegungen zu Aktualitäten des
Augenblicks gesammelt. Es sind Glossen, die sowohl sein Aufmerken bezeugen
wollen als auch wünschen, die
»Bonsai-Essays«
könnten den Leser selbst zur gedanklichen Beschäftigung mit den Gegenständen
dieser flüchtigen Momentaufnahmen anregen.
»Kleine
Nichtse« eben - Knirpse, aus denen vielleicht doch noch etwas werden kann.
Petits riens (IX)
Horrorfamilien &-feste -
Fürsorgliche Belagerung - Wert, Schätzung
Text lesen
Petits riens (x)
Die
Konkurrenz schläft nicht - Kinospekulation - Reisebekanntschaften - Café de
France, trocken
Text lesen
Petits riens (elf)
Text lesen
Erhellung - Appell -
Calvinisten-Lehre - Fundamentales hier & dort
Petits riens (zwölf)
Text lesen
Privatissime öffentlich / Was tun?
Ahnungslose Nachfolge.
Petits riens (dreizehn)
Text lesen
Die kleine Differenz - Literarische Bodenlosigkeit - Sprich,
Erinnerung, sprich - Mit Mozart zu Boeing
Petits riens (vierzehn)
Von Wolfram Schütte
Text lesen
Weniger
ist mehr - Raumflucht - Flensburgisches Berchtesgaden - Wo steht das Klavier? -
Tot zu Lebzeiten
Petits riens (fünfzehn)
Von Wolfram Schütte
Text lesen
Aus
zweiter Hand - Alla Calabrese - Noli me tangere - Fanpost
Petits riens (sechzehn)
Von Wolfram Schütte
Text lesen
Landläufig
- Die verlassenen Bücher - Ortsfetischismus
Petits
riens (siebzehn)
Von Wolfram Schütte
Text lesen
Eingeweide-Mahnung
- Hase & Igel mit Pedalen - Nachhilfe-Kommentatoren
Petits
riens (achtzehn)
Von Wolfram Schütte
Text lesen
Merkel semper triumphans -
Erkennbare Missgeburt - Kino-Vision
- Findlingstückchen
Petits
riens (neunzehn)
Von Wolfram Schütte
Text
lesen
Brecht/Trump -
Self fulfilling prophecy - Schadenfreude
Petits
riens (zwanzig)
Von Wolfram Schütte
Text
lesen
Zeit haben -
Nachtmahlen
-
Späte Erkenntnis -
Das Gefäß
bestimmt den Inhalt
Petits
riens (21)
Von Wolfram Schütte
Text
lesen
Korrektur - Aus
der Geschichte lernen - Vorsicht & Nachsicht
Petits
riens (22)
Von Wolfram Schütte
Text
lesen
Deutsche Karrieren
(mehrfach) - Teure Bürde
der Verantwortung -
Trumpeln
Petits
riens (23)
Von Wolfram Schütte
Text
lesen
In die Tasche gesteckt - Stumm- & Tonfilm - Feuerwerksverpuffung
Petits
riens (24)
Von Wolfram Schütte
Text
lesen
Wo ich
nichts weiß, macht mich nichts heiß - Verlust-Anzeige -Der kleine Unterschied -
Kniefall -Allein diese beiden - Die Verwandlung
Petits
riens (25)
Von Wolfram Schütte
Text
lesen
Unterlassene
Hausaufgaben - Drakonische Notwehr -
Morbus Trump
Petits
riens (26)
Von Wolfram Schütte
Text
lesen
Zukunft einer
Illusion - »Aber gerne« - Waffen & Bauen -
Kollateralgewinn
Petits
riens (27)
Von Wolfram Schütte
Text
lesen
Noli me tangere - Karriere eines Wortes - Kanonische Spekulationen - Zugebissen
- Studentinnen -
Kleine Nachtmusik mit Primzahl-Kompositionen |