Glanz@Elend |
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Volk ohne Traum XIX |
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Ich z.B. hatte noch nie Urlaub, habe es aber irgendwie aufgegeben, Fragen nach meinen Urlaubsplänen oder Urlaubserlebnissen mit dem Bescheid zu bedienen, ich sei als Student, Hospitant, Jobspringer und schließlich Freiberufler noch zu keinem Anspruch auf Urlaub gelangt, und weil ich stets nur mit Personen verreiste, welche als NutznießerInnen von Semesterferien, Schulferien, Theaterferien und Ferien vom Skiurlaub über viel freie Sommerzeit verfügten, waren wir keine richtigen Urlauber. Richtige Urlauber haben relativ wenig Zeit und sie bleiben auch mal daheim, um Einfamilienhäuser zu bauen oder sich einer Weltmeisterschaft zu widmen. Ich habe für das Bübchenzeugen und das Bäumchenpflanzen keinen Urlaub gebraucht, und ich war nie megahappy, wenn ich meinen festen Wohnsitz verlassen musste mit Gepäck. Nach allem, was ich in sechs Jahrzehnten urlaubsähnlicher Abwesenheiten vom eigenen Bett alljährlich beobachten konnte, dürfte der Urlaub als solcher eine noch grössere kollektive Kasteiung sein, als das Miteinander daheim bei Verwandten, Nachbarn und Kollegen, die man auf Bali oder Bornholm nicht einfach am Strand liegen lassen kann. Wer als Kind bürgerliche Umgangsformen gelernt hat, empfindet es nicht als Heuchelei, ungeliebte Anwohner zu grüssen, und natürlich ist gute Nachbarschaft ein hohes Gut, das man klüglich nicht im Swinger-Club begießt. Aber müssen wir die ungeratenen Gören unserer Zimmernachbarn ertragen, weil ihre sportiven Eltern uns eventuell das Leben retten könnten auf hoher See oder am Berg? Man bedenke nur, dass wir zuhause beinahe jeder Meinungsverschiedenheit ausweichen können, wohin wir wollen; im Urlaub ist man zu jeder Anpassung oder Unterwerfung gezwungen, umständehalber, denn unsere Hausgötter haben keine Kümmerlizenz in der Fremde, falls die dortigen Naturkräfte, der Sittenkodex und die Landessprache das Abweichen vom Haupttrampelpfad überhaupt gestatten. Wo aber sollen wir hin, wo sonst sollten wir gewesen sein? Man meint die Gründe zu kennen, welche aus Junggesellen, Ehemännern und Familienvätern veritable Strandpantoffelhelden machen, doch daran leiden meinesgleichen Leute eher selten. Es ist ein ganzes Volk, welches spätestens seit der NS-Freizeitorganisation KRAFT DURCH FREUDE die Zwangsvorstellung pflegt, ein alljährlicher Auslandsaufenthalt in kurzen Hosen erfülle ein kollektives Gelöbnis wie in ferner Vergangenheit die Wanderschaften und Wallfahrten zu den Altären der Arbeit und des Aberglaubens. Natürlich konnte die Deutsche Arbeitsfront ihren zahlenden Gästen (1 Theaterbesuch = 70 Reichspfennige) nicht immer paarweise das Vergnügen verschaffen und man/frau konnten nicht überall hin, und die legendären KdF-Sausen fanden nicht auf den faschistischen Kreuzfahrtinseln statt, sondern fast ausschließlich im Altreichsgebiet, so dass die Fortsetzung dieser geselligen Tradition als FDGB-Urlaub in der DDR fröhliche Urständ feierte, während in der Bundesrepublik D Kirchen, Gewerkschaften, Jugend- und Wohlfahrtsverbände wetteiferten, ihre Klientel zu verwöhnen, und wegzuschauen, wenn auf den Freitreppen der Kurheime die Herzpatienten der AOK mit Fluppe & Flachmann den Sozialstaat verhöhnten. Dennoch, die meisten Urlauber sind Kleinfamilien, Paare und Freundinnen, die sich „etwas gönnen, was sie verdient haben“, wissend, dass der Urlaub nur ein Angebot ist wie die Teilnahme an einem Pilgermarsch, welcher wunde Haxen garantiert, aber keine Wunder. Gleichwohl glauben Millionen weiblicher Alleindenker an das Glück auf Reisen bzw. am Reiseziel, Schwärmende, von denen 65% „kein reines Abenteuer“ erhoffen, sondern Erfüllung einer Sehnsucht und sowohl als auch Tapetenwechsel. Ergo sind Frauen die wesentlichste Manipulationsmasse der Saisonbetriebswirtschaft und drum sind die allermeisten Reisekaufleute Geschlechtsgenossinnen. Als (bis um 1900) pro Gnädigste mindestens eine weibliche Begleitperson auf Fernreisen benötigt wurde sowie jede Menge aktueller Anschaffungen und diverse Extras vor Ort, welche primär der christlichen Schicklichkeit und den teuflischen Moden geschuldet waren, benötigte ein Mann nur Zigarettengeld, um als Urlauber im Pyjama abzutauchen, womit die entscheidenden Komponenten gekennzeichnet sind: Erlebnishunger und Eventkultur, eine kommunikative Ebene, auf der Frauen und Männer sich tunlichst als Ehebrecherinnen und Heiratsschwindler begegnen, als Hochstaplerinnen und Falschspieler. Vom literaturwürdigen Treuebruch bis zur historischen Kriegserklärung entwickelten sich welterregende Affären vorzugsweise in Kur- und Seebädern, auf Festspielen und Rennplätzen, aber auch in verträumten Sommerfrischen und sturmumtosten Skihotels. Doch die Erde dreht sich, und seit das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas ist, muß man zum Muttischubsen nicht mehr nach Mallorca. Ein Lichtblick?! Schon stehen wieder die leeren Koffer im Flur… Was mit Baedeker und Bismarck begann und von deutschen Sozialisten als Volksgemeinschaftswerk zur Verbaggerung unserer schaffenden Schichten angeschoben wurde, ist allweil wieder beim unverhüllten Klassenkampf angekommen. Den handtuchbreiten Streifen Morgensonne am Pool, welchen man sich mit List oder Gewaltandrohung täglich sichern muß, motiviert nicht nur die Urenkel ehemaliger Kriegsgegner, sondern ebenso die Globalplayer, freilich ohne Urlaubsschein und Ansichtskartenadressenliste. Die Gefahr, während einer Diashow bei befreundeten Studienrätinnen einzuschlafen und auf einem Floß im Mittelmeer aufzuwachen, ist durchaus gegeben. |
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