Glanz@Elend
Magazin für Literatur und Zeitkritik
© by Herbert Debes & Kurt Otterbacher

 

Volk ohne Traum VI

 


Los der Arbeit oder endlich ausschlafen
Ein Statement von Uve  Schmidt








Seit den ersten wilden Streiks bei Feuerstein & Co wissen wir, daß der Ruf nach Arbeit nicht das Verlangen nach sinnvoller Tagesgestaltung durch tätige Wertschöpfung ausgedrückt, sondern nach Lebensunterhalt und Feierabend. Heute stellt sich das Problem anders: Der Staat unterstützt auch arbeitsfähige Arbeitslose, wünscht aber – so Clement- „daß die Leute nicht zuhause oder auf der Strasse versauern“, und deshalb gibt er Arbeit, die anderen entzogen wird, oder arrangiert Ausbildungen für Jobs, die hernach niemand anbietet. Offenbar hat die moderne deutsche Gesellschaft ein Besetzungsproblem. Volk ohne Raum? Wer partout in Sibirien siedeln will, darf das, wer in Oberschlesien etwas gründen möchte, kann es versuchen, und natürlich steht uns weiterhin die Welt offen. Es fehlen auch keine Gewerbeflächen, im Gegenteil, Bürotürme und Industrieparks bilden wachsende Leerstände in nächster Nähe und selbst Obdachlose müssen sich nicht auf den Müllkippen einrichten. Das Problem scheint primär eine Platzierungsfrage: Wohin mit den Leuten, solange es hell ist?

Wenn einer Regierung und der sie tragenden Volksteile ein anderer Volksteil lästig und die eigene Mischpoke peinlich wird, meldet sich in parlamentarischen Demokratien das Menschenrecht. Bei Nacht und Nebel können bekiffte Kids durch die Landschaft brettern, doch greise Stadtstreicher nicht nach Belieben ihre Schlafnischen behaupten, und ein Nachtexpress voll türkischer Eckensteher zum Schneeschippen im Schwarzwald würde nur über die Leiche von Claudia Roth den Bahnhof Zoo verlassen dürfen. Hat man die Verkehrsteilnehmerschaft um 16jährige Knautschkamikaze erweitert, um die Folgen der Jugendarbeitslosigkeit flach zu halten, werden die „Moshammermillionen“ in die Forschung fließen, um endlich die lausigen Pennergene nachzuweisen??

Wer DIE GRÜNEN als "Jobkiller schlechthin" schmäht (wie die FDP in Schleswig es tat), sieht die Wiese vor Windrädern nicht, denn die Reisefreiheit für GUS-Bürger und Skipetaren schafft auch in Deutschland Arbeitsplätze, z.B. rund um unsere Hauptbahnhöfe. Allein, was hier und heute gegen die Arbeitslosigkeit unternommen wird, sind kosmetische und psychologische Maßnahmen; vonnöten sind strikte chirurgische Eingriffe, wobei die entfernten Gewächse nicht durch gutartige Nachbildungen ersetzt werden sollten. Das Jahrtausend der totalen Automation bei gleichzeitiger rasanter Zunahme der Weltbevölkerung dank fundamentalistischer Fertilität kennt nur zwei Zukünfte: Europa als asiatische Halbkolonie oder Europa als autarke Festung. So oder so wäre die Alte Welt gut vorbereitet, wenn wir keine Zeit verlören mit scheinheiliger Arbeitsbeschaffung, sondern uns ab sofort einem altneuen Beschäftigungssystem zuwendeten, welches fast so schön klingt wie Habseligkeit: Leibeigenschaft.

Daß die Geschichte sich nicht wiederhole, ist ein ausgewiesener Blödsinn, ergo war Einstein nicht das letzte Megagenie und Montesquieu nicht der Vater der Demokratie. Quer durch die Menschheitsgeschichte notiert die Historie das Nebeneinander von Fürstentümern und Freien Städten, von Mönchsrepubliken und Freibeuterstaaten, von Wahlkönigreichen und Diktaturen, es wechselten die Götter und die Gesetze, der Geschmack und die Gesellschaften und nach einer gewissen Zeit war alles schon mal da gewesen. Selbstverständlich würden wir heute (d.h. in Zukunft) eine faule Haussklavin nicht mehr prügeln, sondern ihren Fernseher plombieren, und ein entlaufener Helot würde nicht gebrandmarkt werden, sondern in die Pampa verbannt (sic), und natürlich könnten sie weder Kinder kriegen, noch Couchgarnituren kaufen. Es war der unvermeidliche Zugang zu neuen Techniken, welcher die Risiken der Sabotage und der Rebellion seitens unfreier Malocher derart erhöhte, daß im 19.Jh. eine sukzessive oder sofortige Freisprechung nötig wurde, zumal es den christlichen Herren (und Damen) vorteilhafter anstand, Großmut zu zeigen, als soziale Reue oder blanke Furcht zu bekennen.

Wie wir wissen, hat die klassische Sklaverei in vielen afrikanischen und asiatischen Ländern überlebt und die Lohnsklaverei weltweit, woraus folgt, daß die in Feudalstaaten oder Kolonien historisch aufgewachsenen, in totalitären Regimes oder Kriegsordnungen zu staatlich befohlener Arbeit und gegängelter Freizeit erzogenen Völker (selbst in den neutralen Staaten Europas hat man 1939/45 unter gewissen Notprogrammen gewirtschaftet und im nationalen Ausnahmezustand gelebt) sich ohne weiteres anpassen könnten, wenn es die Not der Stunde gebietet. Doch weil unsere Arbeitslosen und ihr Nachwuchs sich sowohl mit dem Recht auf Arbeit ausgestattet glauben, als auch in der Erwartung wiegen, daß es dem Staat obliege, ihr Problem nicht irgendwie zu parkieren, sondern ein fahrbares Zukunftsmodell anzuschieben, kann niemand erwarten, daß diese Männer und Frauen sich mit Entwürfen befreunden, welche von der Tatsache ausgehen, daß die Arbeitswelt unserer Väter längst zum Jurassic-Park geworden ist.

Es lebe der Museumsstaat! Revolutionen sind nicht zu befürchten, denn jeder Depp weiß um die Überlegenheit der staatlichen Gewaltmonopole, und wer kein Depp ist, erinnert sich sogenannter Volkserhebungen in Europa nach 1968. Paris? Eine anarchische Studentenposse. Portugal? Ein linker Militärputsch. Griechenland? Die Demission der Obristen auf Drängen der USA. Polen? Eine von Vatikan und CIA gesponserte Marienerscheinung. Die DDR? Ein telegenes Fingerhakeln zwischen Bankrotteuren und Deserteuren und sonst nichts weiter als der gigantische, mit PRIL-Blümchen überklebte Scherbenhaufen eines kapitalistischen Gaunerstücks in Fortsetzungen. Bleibt die Frage, wie wir die Zeit zum Ausschlafen nutzen –die Nacht der Langen Messer verpennt man nicht gefahrlos...


 
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