Glanz@Elend |
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Volk ohne Traum XXIV |
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Wetterbericht Neulich verschwand im Jangtsekiang eine nur dort beheimatete Süßwasserdelphinspezies; der zur Artenzählung entsandten Expedition ging nicht mal ein letztes lebensmüdes Exemplar ins Netz. Offiziell endete das auf 500 Millionen Jahre geschätzte Erdendasein dieser Art zufolge dauernder Kontaminierung durch Fabrikabwässer; da in letzter Zeit keine auffälligen Opferzahlen anderer Wasserbewohner im Jangtse registriert wurden, erlag der vorsintflutliche Tümmler vermutlich keinem speziellen Gift, indes ist nicht auszuschließen, daß die letzten ihrer Art von Trophäenjägern oder Rohstofflieferanten der chinesischen Apotheken und Drachenküchen erbeutet wurden oder aber entführt worden sind von Gönnern, welche die Tiere verstecken und vermehren. Immerhin ist unvorstellbar lange unvorstellbar viel Wasser mit Pipi ins Meer geflossen, währenddessen dieser gesellige und hochintelligente Zahnwahl obendrein von Menschen verfolgt wurde. Fazit: Das den Menschen als »wesensverwandt« und »intellektuell näher als Schimpansen« beschriebene seltene Säugetier genoß in praxi offenbar keine Vorzugsbehandlung, und als die epochale Umgestaltung des bedeutendsten Stromes Chinas, welche auch als eine der brutalsten Vergewaltigungen der Natur in unseren Tagen anzusehen ist, vollstreckt wurde, blieb auch dieser freundliche Fischfresser auf der Strecke, trotz aller Zusicherungen der Regierung und ihrer zuständigen Organe gegenüber den internationalen Naturschutzgremien (etc). Doch vielleicht vermochte der Süßwasserdelphin im Mündungsgebiet zu mutieren und sich so in die offene See zu retten? Beachtet man, daß der Naturschutz als amtliche und ehrenamtliche Aufgabe stets unsere eigene Spezies davon ausnimmt, dürfen wir uns fragen, ob Begriffe wie Naturvölker und natürliche Lebensweise den Übergang bezeichnen, jenseits dessen wir weder Artenschutz, noch Herrenrassenstatus beanspruchen können, z.B. als Zivilisationsflüchtlinge in Ozeanien oder als Häuslebauer in der Türkei. Hingegen konstatieren wir längstens die Ankunft und Niederlassung nichteuropäischer Ausländer, denen mehrheitlich oft erst nach Erreichen der ersten Herrentoilette die ubiquitäre Verwendung fließenden kalten und warmen, sauberen Süßwassers vermittelt wurde. Eine Anpassung erfolgt freilich nicht schon und nicht allein durch die Inanspruchnahme sanitärer Einrichtungen, und natürlich erwarten wir von den unerwünschten Ankömmlingen auch nicht, daß sie sich der Bundesmarine als Unterwasserwaffen zur Verfügung stellen. Das Schicksal des Jangtse-Delphins ist nicht das Los der vom technischen Fortschritt oder vom Raubbau vertriebenen Ureinwohner Afrikas, Asiens, Australiens und Amerikas; diese Geschöpfe wurden größtenteils bereits im Verlaufe der Eroberungen und Kolonisierungen ausgelöscht oder bastardisiert, und wo sie sich bis heute halten konnten, verdanken sie es engagierten Europäern. An den Gestaden und Flughäfen der Alten Welt landen nicht die letzten Mohikaner vom Amazonas, aus der Kalahari oder dem Himalaja, sondern diejenigen, welche nicht warten wollen, bis der MEDIA MARKT in ihr Dorf kommt. Es sind nicht die Abgesandten alter Priesterkasten oder Adelsgeschlechter, die ihre Tempeljuwelen und Apanagen investieren wollen, sondern hochtrainierte Überlebenskünstler, welche sehr wohl zur Anpassung bereit und fähig sind, sofern es ihnen paßt; der Delphin als Akrobat und Einmanntorpedo schwebt ihnen mitnichten vor, zumal den meisten dieser Kunstgewerbler und Straßenhändler die Welt in Ordnung scheint, solange alle ungestört den selben Schnickschnack herstellen und verhökern dürfen, die selben Suppenstände betreiben, die selben Briefchen austragen. Der Jangtse-Delphin bin ich. Was immer sich derzeit menetekelhaft auf den Satellitenfotos und Wetterkarten abzeichnet, ist bereits das Endspiel, denn wider jedes Erwarten hat die Klimakatastrophe in wenigen Jahren volle Fahrt aufgenommen, und man outet sich nicht als German-Angst-Hase, wenn man die eigenen Wahrnehmungen den laufenden wissenschaftlichen Lageberichten zuordnet. Der point of no return ist niemals zu vermeiden (wie der mittlerweile akzeptierte Ansturm der Asteroide und dessen theoretisch erfolgreiche Abwehr), sondern immer erst dann zu erkennen, wenn es rein rechnerisch zu spät ist. Gleichwohl müssen wir den Weltuntergang nicht fürchten, denn im Gegensatz zu lästigen Überschwemmungen und Wirbelsturmschäden ist Armageddon die wahrhaft letzte Vorstellung von Gottes Willen. Bis dahin scheint mir die unangenehmste Naturkraft das dahinsiechende menschliche Vorstellungsvermögen und unser daran gekoppeltes Verantwortungsgefühl recte Gewissen, denn so gelassen, wie die meisten Leute das Ende aller Tage abwarten, nehmen sie die wachsenden Mißlichkeiten unserer vorletzten Tage hin: Wie die vollschlanken Tortentanten des Udo Jürgens ihre Kalorienbomben mit noch mehr Sahne krönen, tut mein Volk sich von staatswegen immer mehr Welt an, lädt Deutschland sich wie Atlas das Himmelgewölbe unseren Erdball auf, als wäre der ein Globus von Gögglingen. Weshalb nicht global playing als Ballsport, meinetwegen auch in der nordafghanischen Version, eine Art Polo mit Totenköpfen, ja, das würde der Sachlage und den Perspektiven entsprechen, doch wir dürfen das nicht. Eigentlich dürften wir auch in Fernost (und anderswo) nicht für'n Appel & Ei produzieren lassen, doch statt fair zu bezahlen, sollten wir uns fragen, wer diesen Ramsch überhaupt benötigt?! Wer in den vergangenen Dezemberwochen erlebt hat, wie das Goldene Kalb des Konsums umtanzt wurde (ich rede von der permanenten Medien-Party, nicht von einer komplett berauschten Bevölkerung!), wünscht sich für 2007 möglichst keinen Börsenkrach, aber herzinnigst das Wiederauftauchen Godzillas vor Tokio und Staten Island. Vorläufig steuern wir erstmal ein Weilchen unser gutes, altes Europa, am deutlichsten von der Kommandobrücke des Traumschiffs DEUTSCHLAND beim Boatpeoplefishing im Mittelmeer. Vielleicht begegnet den deutschen Rettern dort ein ostasiatischer Irrgast vom Großen Fluss? Man heiße ihn willkommen, in Duisburg. |
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