Glanz@Elend |
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Volk ohne Traum XXXII |
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Daß Maxim Biller viele Freunde hat, glaube ich nicht (wer hat sie schon, diese nibelungischen Korsettstangen), schon gar nit solche, die ihn wirklich lieb haben, doch daß viele furchtsame Kollegen ihn umkreisen, heilfroh, wenn der Morgen graut ohne eine neue Kolumne des Meisterhassers, dem dürfte wohl so sein. Dennoch oder eben drum beeilten sich die meisten Feuilletonisten – von denen jeder auch ein Rezensent und Buchautor ist – nach Verkündigung des Karlsruher Urteils Biller beizuspringen mit Solidargeheul des Tenors, daß nicht nur ein grosses Kunstwerk uns vorenthalten würde, sondern generell zu befürchten sei, daß wir von der Prachtstrasse der Kunstfreiheit in eine Sackgasse der Beliebigkeiten genötigt werden. Nun haben die deutschen Schriftsteller zwar keine einflußreichen, weil ernstzunehmenden Standesorganisationen mehr, aber stolze Instrumente des Widerstandes, voran die Medien, denen nichts existenzgefährdender erscheint als die Verfolgung von Indiskretionen und Rufmordversuchen. Falls es dennoch dazu käme, befänden wir uns längstens in einem Ausnahmezustand, wo eh kein Hahn nach der Freiheit des Wortes kräht, solange die Wettervorhersagen und die Strassenzustandsberichte nicht unterbleiben. Weshalb dann das Buhei? Das Gemunkel, der Staat wolle einen schamlosen kosmopolitischen Provokateur entmutigen, verdient ein verquältes Lächeln, zumal mit dem Verbot dieses authentischen Liebesromans nicht der interkulturelle Geschlechtsverkehr diskreditiert oder die Ehre türkischer Frauen in Feigenblätter gewickelt wurde. De facto ist nicht mal der Autor betroffen, da er die noch jungfräuliche Neuerscheinung seiner Ex-Liebsten übersandte mit der Widmung: „Dieses Buch ist für Dich, ich habe es nur für Dich geschrieben.“ Was braucht er noch Leser und Zuhörer?! Wer immer in der jüngeren Vergangenheit sich anschickte, Intimstes als erzählende Prosa zu veröffentlichen, wusste in etwa, wie weit man/frau „gehen darf“, ohne mit einem sofortigen oder alsbaldigen Auslieferungsstop ausgebremst zu werden. Wann immer wider alles Erwarten dennoch Privatimes gedruckt, gefilmt oder gemalt und öffentlich dargeboten wurde, war die Herausforderung der Entrüstung mehr oder weniger beabsichtigt. Das war nicht selten sehr kindisch, aber auch Kinder sind Taktiker: Erpresse ich mittels Suppenstreik eine Extrawurst oder muß ich ohne Abendbrot ins Bett? Es sind Härtetests der Toleranz, Auslotungen von Spielräumen, letztlich Machtproben zwischen Zeitgeist und Zensur. Berechnet wird die Steigerung der Verkaufszahlen durch öffentliches Geplänkel und konkurrierende Gutachterei bis zur Aufhebung der Einstweiligen Verfügung, die zu erwartende Nachfrage sowie die gesteigerte Beachtung des Autors und seines Verlages. Eindeutig kindisch jedoch erscheint mir das ewig Leibliche als Dauerthema, welches weit weniger unser Schamgefühl verletzt, als daß es dem guten Geschmack und dem Ansehen einer Nationalliteratur schadet. Es mag wohl sein, daß mehr Leute die Mutzenbacher gelesen haben als die Jelinek, aber dafür gibt es halt keinen Nobelpreis post mortem an Felix Salten und keine offizielle Antwort, weshalb Phillip Roth hoffentlich auch nächstes Jahr draußen vor bleiben muß. Fällt den abendländischen Romanciers nichts Anstößigeres ein als Sex? Natürlich weiß ich, daß das Esra-Urteil erging, weil Mutter & Tochter sich wiedererkannt haben und wer sie kennt, sie ebenso wiedererkennt. Ob die Klägerinnen nur nackt oder an ihrem bizarren sexuellen Verhalten zu erkennen sind, wissen wir nicht, indes war entscheidend, daß die Würde wiederzuerkennender weiblicher VIPs in einem sexuellen Handlungsrahmen unvergleichlich stärker beeinträchtigt ist, als etwa beim Kochen und Kinderhüten, Szenarien, die auch in einem guten Buch (was Esra nicht abgesprochen wurde!) kompromittierender geschildert werden könnten als eine Bettszene, und so fragt man sich, ob unsere purpurroten Richter nur das Eine im Kopfe haben. Wären in solchen Fällen nicht Schnellspruchkammern besser berufen, zuständig für jegliche artifizielle Sauerei und befugt, coram publico Körperstrafen vollstrecken zu lassen? Wir nähern uns der Schmerzgrenze. Täglich erscheinen im deutschen Sprachraum massenhaft pseudowissenschaftliche Reißer, religiöse und weltanschauliche Traktate, mehrfach geklitterte Geschichtsauslegungen, aberwitzige Weltbaupläne und narrentaugliche Naturkunden, tonnenweise Esoterika und Lebensratgeber, nützlich wie das Mutterkorn in der Keksdose, d.h. jede Menge Machwerke, welche allein schon ihrer Blödheit halber verboten gehören, doch all das kann man kaufen bei den Produzenten, bei Versandhändlern, in einschlägigen Fachgeschäften und wir tolerieren es, denn zu viele unserer geschätzten Mitmenschen (speziell Nachbarn, Kollegen und Verwandte) schwören auf die eine oder andere Schnapsidee, nicht, weil sie gedruckt und gebunden verbreitet wird, sondern weil man endlich schwarz auf weiß bestätigt findet, was man sich immer schon gedacht hatte, und natürlich können Aberglaube, Aversionen und Alltagsmythen sich auch in Pillenform verfestigen. Hin und wieder erscheint dann ein Lexikon der Irrtümer oder ein Weißbuch, da ein angeklagter Wunderdoktor oder Holocaustleugner sich maßgeblich auf eine zweifelhafte Expertise bezieht oder auf ein fragwürdiges Dokument, Material, das überdies nicht bei den Beweismitteln liegt und nicht ohne weiteres zitiert werden darf, läge es denn vor. Eine ähnliche Ausgangslage war womöglich gegeben, als Professor Wolfgang Benz sich daran setzte, DIE PROTOKOLLE DER WEISEN VON ZION als Werk- und Wirkungsgeschichte zu erarbeiten und (by C.H. Beck) vorzustellen. Er nennt die Protokolle „das zentrale Referenzdokument des internationalen Antisemitismus“ und „den Prototyp der Weltverschwörungsphantasie“. Seit den Zwanziger Jahren weiß man, daß dieser Text ein Konstrukt des zaristischen Geheimdienstes ist, ein Sachverhalt, auf den selbst die antisemitischen Editeure sich einlassen mussten, freilich mit der Schutzbehauptung, rivalisierende Zionisten hätten verschiedene Versionen in Umlauf gebracht, um „die trüben Quellen vollends zu verfinstern“. Am 17.10. d.J. schreibt Hans-Jürgen Dröscher in der FAZ: „Dem Autor ist es gelungen, gesicherte Befunde der Forschung mit neuen Erkenntnissen zur Instrumentalisierung der Protokolle durch die antizionistische Propaganda in einem lesenswerten Buch zu bündeln.“ Nur: Es sind weder im Ganzen, noch in grösseren Teilen DIE PROTOKOLLE DER WEISEN VON ZION enthalten, denn die bleiben weiterhin verboten, obwohl das Gefährlichste an diesem Elaborat der Versuch wäre, einem Antisemiten damit das Maul zu stopfen. Glaubt man, die Weisen von Zion schützen zu müssen? Oder gehören die Urheberrechte dem russischen Innenministerium wie MEIN KAMPF dem Freistaat Bayern? Der Umstand, daß Maxim Billers reale Romanfiguren noch in keiner Talkshow auftraten, erlaubt nicht die Folgerung, sie seien Fiktion, doch einer diesbezüglichen Schlüssellochstory lauert kein Zensor auf, mag Maxim lauern, bis er kahl is… |
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