Termine Autoren Literatur Krimi Quellen Politik Geschichte Philosophie Zeitkritik Sachbuch Bilderbuch Filme |
|||
|
Anzeige ![]() Ein großformatiger Broschurband in einer limitierten Auflage von 1.000 Ex. mit 176 Seiten, die es in sich haben. Ohne Versandkosten bestellen! |
||
|
Einübung ins
Meisterdenken |
||
Wir verdanken Peter
Sloterdijk einige der bemerkenswertesten philosophischen Metaphern seit
Friedrich Nietzsche. Es sind Bilder, mit denen er die Probleme der Gegenwart
veredelt ohne die überflüssige Kraftanstrengung auf sich nehmen zu müssen, nach
unmöglichen Lösungen zu suchen. Denn er gefällt sich in der Rolle eines
Kommentators der politischen und gesellschaftlichen Krise. Seine ästhetisch
aufgeladene Andeutungsprosa, schwankend zwischen Kunstsprache und Sprechblase,
entfaltet ein polyfokales All-Over an Themen, Thesen und titanischer Theatralik.
So kann der große Poet unter Deutschlands Denkern jede Kritik problemlos als
absichtliche Fehldeutung kontern. Deine philosophische Strategie Schreibe nebulös und
zweideutig, damit Du jede Interpretation als »Nuancen-Mord« zurückweisen darfst.
Mach Andeutungen, vage Annahmen, tarne Deine Argumente als Hinweise oder
»launige Digression« – und Du hast nichts weiter zu fürchten als die naiven
Einwürfe der philosophisch Auszubildenden, deren Zeilen stets ins Leere laufen.
Bediene Dich skrupellos der Umdeutungskunst, die jeden Einwand als skrupellose
Umdeutungskunst enttarnt. Brandmarke Diskurse als überhitzt, obwohl Du selbst
die Debatte entzündet hast. Fühle Dich als ewig Missverstandener, damit man das
Dunkle Deiner Gedanken ans Licht der Öffentlichkeit zerrt. Stürz Dich ins
Metapherngestöber, neige zu Übertreibungen, sei stets suggestiv und provokant in
Deinen Äußerungen. Werde zum Trainer Deiner eigenen Sprachspiele. Bleibe in
allen Dialogen immer ein Solipsist: Spiele stille Post mit den Gedanken Deiner
Zeitgenossen. Habe immer Recht. Wer will schon mit Dir streiten, wenn Du in der
Wahrheit wohnst? Dein philosophischer Einstieg Fordere nicht weniger als
eine prophetische Vernunft und erinnere mit Thomas Hobbes an die Tatsache, dass
im Zeitalter des Menschen ein Krieg aller gegen alle entfesselt worden ist. Dein philosophischer Aufstieg Kehre sodann auf den Ozean
Deiner Metaphern zurück. Du musst Dich als »Angestellter des Ganzen« verstehen
lernen. Versuche, Deine Ethik aus
einer Neu-Interpretation der Sonne zu gewinnen. Versuche nie, auch nur einen
ethischen Satz zu formulieren. Beschäftige Dich ausgiebig mit Heidegger, weil alle Meisterdenker sich mit Heidegger beschäftigen müssen. Siehst Du in dem einstigen Rektor der Universität Freiburg nicht auch den »Adventsbeschleuniger« im Dienste der großen Geschichte – oder doch nur den brüllenden Messias mit hässlichem Oberlippenbart? Schreibe Sätze wie diese: »Nie ist der Denker [Heidegger] dem generativen Pol seiner Begriffskraft näher, als wenn er den Exodus aus der Pseudo-Ewigkeit des Schulwissens in die aufgewühlte Temporalität des gegenwärtigen Daseins ausarbeitet – eines Daseins, das ganz unter dem trüben Licht seiner Ratlosigkeit und Rastlosigkeit liegt. Bei diesem Geschäft entfaltet der Denker eine Kraft zur Explizitheit, die seinem Genie ein hohes Zeugnis ausstellt. Der Ausdruck Dasein lädt sich schon früh mit der Schwingung eines stark aktualisierten Zeitbewußtseins auf: Weil das Existieren im jungrealistischen Stil eine kontra-transzendente Bewegtheit aufweist; weil es mit hohem Einsatz seine Ent-Ewigung betreibt und im Abstieg von der derealisierten Höhe distanzierter Theorie die Vermählung mit der strömenden Gegenwart im Sinn hat ..., wird es von seinem eigenen Elan gedrängt, die Zugehörigkeit zu der reißenden Zeit affirmativ hervorzukehren.« Lass diese Sätze auf Deine Leser wirken. Dein philosophischer Abstieg Wer die Sonne gesehen hat, muss in die Höhle zurück. Du brauchst Weggefährten. Nimm Odysseus mit. Ein Sophist durch und durch, wie Du weißt. Denke bei ihm auch einmal in vorgedachten Bahnen. Betrachte ihn wie schon so viele vor Dir als polytropos, polymetis, polytlas und polymechanos: Reiselustig, vielwissend, geduldig und listenreich. Und obwohl ein Vergleich zwischen Odysseus und der Sophistik förmlich danach ruft: Lass den Hippias minor beiseite, denn Hippias von Elis hat Odysseus doch bloß als πονηρός und ψεῦδος, boshaft und falsch, portraitiert. Du kannst Odysseus freilich auch als Vorläufer des Platonismus betrachten. Fokussiere zu diesem Zweck die ἀνάμνησις-Lehre. Denke Odysseus als Prototypen. Vermittle über seine Person die Latenz historischer Erfahrungen, Erfindungen, Katastrophen und Geisteshaltungen, die im 20. Jahrhundert zum Durchbruch gelangen. Damit bist Du bei Deinem eigentlichen Thema: Den Mittellosen, die andere »durch ihre Kläglichkeit nötigen.« Errichte deshalb ein Trainingslager der Tüchtigkeit. Deine fünf philosophischen Maximen 1. Beginne stets mit
Philosophie und ende immer in Rhetorik. Artikel online seit 16.05.16 |
Peter Sloterdijk
|
||
|
|||