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The Making of Didier Eribon |
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Von Geburt an hält die Gesellschaft Plätze für uns bereit, Schicksale, vorgezeichnete Bahnen, in denen wir uns fortan bewegen und Positionen in der sozialen Welt einnehmen, die uns in unseren individuellen Möglichkeiten beschränken. Das soziale Umfeld fällt Urteile, denen wir uns nicht entziehen können, und es zieht Grenzen, die den Einzelnen zu dem machen, was er ist. Bereits der Name des Einzelnen und seine Abstammung sind solche Vorurteile. Die hierarchische Ordnung der Gesellschaft erschwert es, sich diesem Urteil zu entziehen, denn es geht dem Individuum voran und begleitet es – wie in den Romanen Kafkas – sein Leben lang. Die Verurteilung geschieht ohne Kommentar: Die Urteile sind über Generationen hinweg stabil und werden selten hinterfragt. Die Gesellschaft fordert vielmehr die Akzeptanz dieses Urteils – Anzweiflungen sind nicht erwünscht. Aufgabe einer kritischen Soziologie sei es, diese Herrschaftsmechanismen ans Licht zu bringen und Widerspruch gegen das Urteil einzulegen. Das sind die zentralen Gedanken in Didier Eribons neuem Buch »Gesellschaft als Urteil«, das an die »Rückkehr nach Reims« unmittelbar anknüpft, indem es nicht zuletzt danach fragt, wie es möglich war, eine solch schonungslose autobiografische Analyse zu verfassen. Die Fortsetzung dieser Analyse ist eine Theorie des Individuums auf sozialer Ebene, eine philosophisch-soziologische Reflexion, die erneut durchsetzt ist mit autobiografischen Erzählsträngen, in denen es insbesondere um das soziale Erbe der Familie geht und die in dem erschütternden Satz münden: »In Arbeiterfamilien gibt es kein Familiengedächtnis.« Der britische Kultursoziologe Richard Hoggart buchstabiert diese These wie folgt aus: »Für Arbeiter sind die drei oder vielleicht vier Generationen, die noch am Leben sind, das gelegentlich heraufbeschworene Gesicht eines Verwandten ..., die wenigen kleinen Gegenstände und Anekdoten, die man besitzt, meistens schon alles.« In Arbeiterfamilien existieren keine über Jahrhunderte zurückreichenden Aufzeichnungen über Familienmitglieder; es gibt kein Langzeitgedächtnis in Bezug auf die Vorfahren, keine Archive, in denen etwas über die Herkunft zu erfahren wäre, keine Erinnerung an das, was die Ahnen prägte, nicht einmal, wer diese Ahnen überhaupt waren.
Auch ein sozialer Überläufer, ein »Klassenflüchtling« wie Eribon, bleibt in
seiner Abstammung verwurzelt und kann sie nie ganz abstreifen. Artikel online seit 03.02.17 |
Didier Eribon |
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