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Quarantäne oder eine andere Art Räumung
(ohne Scheiß, geschrieben wohl 2013 ... ich dachte, der Titel passt gerade gut)
Quarantäne
oder eine andere Art Räumung
1
Sie diskutieren im Radio
über den Taubenjagdbefehl –
mich interessiert im Kühlschrank
die Flaschenbiertemperatur
und durchs Fenster glotzt Natur,
zu Zynismus erstarrt –
Bewegung!
Ironischerweise
eine Taube, die auf dem Ast
der alten Birke landet
mit einem Ruck;
ich lege an, ziele,
und nehme einen Schluck.
2
Sie machen Werbung für ein Möbelhaus.
Sie verbreiten Neuigkeiten.
Sie tun, als hätte diese Welt
keinen Untergang verdient –
mich absorbiert ein Blumenstrauß,
welk und staubig, blasse Rosen,
die so tun, als sei ein Posen
genug für’s Gelten –
ich setze an, schlucke,
und gedenke der Welten.
3
Sie spielen Musik. Die ich höre,
zertrümmert Geschirr und schreit.
Sie tun, als ob was übrig bliebe,
sie spielen Musik.
Ich lege an, schlucke, zerstöre.
Bin zu Natur erstarrt. Bin weit
entfernt, zentriert. Von Liebe
berichten sie
in Atempausen.
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RE: Quarantäne oder eine andere Art Räumung
Hey poLet,
das passt wirklich gut und ist zudem ein sehr gelungenes Stück Lyrik
Ich hoffe, die Leute überstehen ihre Quarantäne besser als dein lyrisches Ich...
Viele Grüße
- Zack
“Die Farben sind der Ort, wo unser Gehirn und das Universum sich begegnen.” (Paul Cézanne)
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RE: Quarantäne oder eine andere Art Räumung
Danke, Zack!
Grüße zurück und bleibe gesund und gelassen!
poLet
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RE: Quarantäne oder eine andere Art Räumung
Ich gebe zu, ich hatte zuerst gar keine Lust, das Gedicht aufzurufen. Sag doch gleich dass es von 2013 ist
Allerdings erinnert es mich eben gerade nicht an die aktuelle Situation. Denn in dem Gedicht dudelt die ganze Welt ja weiter vor sich hin, als ob's ein Morgen gäbe ... Nur der einsame Lyriker sieht das anders.
Die Stimmung ist wieder einmal auf einen malerisch-trockenen Punkt gebracht - alles erwartungsgemäß poletenhaft
Tatsächlich allerdings stört mich irgendwas an der Form. Sie kommt mir nicht so kontrolliert und glatt gestriegelt vor wie sonst, weil sich alle drei "Teile" in der Form unterscheiden. Ich vermute, je länger ein Gedicht, desto schneller wirkt es zerfranst. Das ist jetzt jammern auf sehr hohem Niveau, aber daran bist du selbst schuld, denn vom PoLeten erwarte ich nur das Allerbeste
Ich werde mal drüber schlafen und dann noch einmal reinspüren. Vorerst so viel als ersten Eindruck.
Ich freue mich auf jeden Fall darüber, mich mit Randalelyrik beschäftigen zu dürfen
Ich sehe jetzt schon kommen dass mich die Kunst über den Ausnahmezustand retten wird.
Hm, ich glaub, die erwähnte Musik läuft bei mir auch manchmal
Viele vorläufige Grüße
Ichigo
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RE: Quarantäne oder eine andere Art Räumung
Hallo,
Oh weh, da hat aber jemand den Koller. Aber wirklich genau den Nerv getroffen. Respekt!
LG Persephone
Den Stil verbessern, das heißt den Gedanken verbessern
(Friedrich Nitzsche)
Werkeverzeichnis
12-07-2020, 18:25
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 12-07-2020, 18:27 von poLet.)
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RE: Quarantäne oder eine andere Art Räumung
Hallo Ichigo, hallo Persephone,
erst mal danke ich für Eure Entgegnungen!
Zu Ichigo:
Zitat:Ich gebe zu, ich hatte zuerst gar keine Lust, das Gedicht aufzurufen. Sag doch gleich dass es von 2013 ist
Du meinst so etwas wie "Quarantäne 2013" als Obertitel? Ich denke darüber nach.
Zitat:Tatsächlich allerdings stört mich irgendwas an der Form. Sie kommt mir nicht so kontrolliert und glatt gestriegelt vor wie sonst, weil sich alle drei "Teile" in der Form unterscheiden. Ich vermute, je länger ein Gedicht, desto schneller wirkt es zerfranst.
Ähem, mit Verlaub, "nicht so ... glatt gestriegelt ... wie sonst"!? - Ich behaupte, es gibt hier in diesem Forum mehrere Belege an 'Gedichten', bei denen poLet der 'Glatt-striegelung' ausgewichen ist, und auch versucht hat, jeglicher Kontrolle zu entsagen.
Meine Behauptung!
Es freut mich jedenfalls, dass Dich die Beschäftigung mit "Randalelyrik" freut!
(Bist Du sicher, dass Du dieses 'Gedicht' meinst?)
Danke für den Kommentar!
Zu Persephone: "Koller"? Ach was! Ich bin solche Zustände seit mindestens 2013 gewöhnt.
Jetzt google ich nach einem Billigflug nach Mallorca.
Soll man Spaß haben dort.

Danke Euch, alles Gesunde,
poLet
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RE: Quarantäne oder eine andere Art Räumung
Servus Polet.
Dein Gedicht ist visuell gut zu sehen, und auch das Reimschema ist vom Klang her harmonisch. Man sieht einen Mann, der in der Welt bewegungslos geworden ist, während nebenbei das Radio an ist, er was über Taubenjagden hört, von Werbungen und der Liebe in den Pausen. Man sieht die Prioritäten in den Versen in den ersten Lines, gefolgt von seinen Emotionen darüber. Die Reaktion des Mannes, der zuerst schießt, dann trinkt, und am Ende zur Natur erstarrt, ist für mich ein Hinweis auf das Vergehen jeglicher Bewegung im Kopf und in ihm selbst. Es liest sich wie ein living death, so als ob er zu einem Alkohol-Zombie mutiert.
Prost.
VG
Ray
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RE: Quarantäne oder eine andere Art Räumung
Hej Ray,
jetzt habe ich doch gute 3 Monate gebraucht, um Deinen Kommentar zu verdauen.
"Alkohol-Zombie" finde ich eine bemerkenswerte Beschreibung!
Danke dafür, sowie für Deine Entgegnung an sich.
Bis auf weiteres,
poLet
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