Als ein anderer betrat ich die Straße. Jedes Privileg hatte ich abgetan, war schutzlos gegen Besatzer und Besetzte. Ich durfte meine Papiere nicht zeigen, meine Sprache nicht sprechen, eine falsche Vokabel verriet mich. Spätestens um halb acht musste ich die Rückverwandlung vollziehen, doch die Uhr, Erbstück mit deutscher Gravur, nahm ich nicht mit.
Als erstes wünschte ich mir einen anderen Namen, und bevor ich wusste, warum und weswegen, entschied ich mich für Antoine. Monsieur Antoine, Buchhändlergehilfe. Ich nahm den schmalen Band aus der Tasche, die Fabeln von La Fontaine. Das Buch gab mir Sicherheit, es bekräftigte meine Biografie. Monsieur Antoine machte einen Spaziergang. Er war nur ein unbeachtet Dahinschlendernder, ein junger Mann im Kleinkarierten. Seine Schritte klangen nicht anders als die der Menschen rundum. Kein scharfer Tritt, kein Grund für jemanden, auszuweichen. (S. 23)
"Und jetzt?" Chantal war dicht neben mir. Hinter uns Stimmen, Aufruhr. Stiefelschritte auf den Metallbalustraden. Wir standen im Schatten des Mauervorsprungs. Auf deutsch rief einer von unten: "Wir haben die Druckmaschine!"
"Sie haben eure Maschine gefunden", übersetzte ich.
"Was tun wir?" Ihr Kopf fuhr herum.
"Chantal?" Unsere Augen trafen sich.
"Ja?"
"Kannst du lachen?" Ich nahm ihre Hand.
"Lachen?" Sie zog sich zurück.
"Das Ganze ist doch ein riesiger Spaß."
Ein junger Mann in kleinkariertem Anzug trat aus dem Tor. Hinter ihm eine hübsche Frau in blaugestreiftem Kleid. Sie lachte aus vollem Hals. Während er weiterging, schloss sie zu ihm auf. Er musste sie festhalten, da sie sich krümmte vor lachen.
"Arrête, ca suffit", sagte er.
" Il a ... il ... il a jeté sa chaussure." Sie warf den Kopf zurück, konnte sich gar nicht halten, brüllte vor Gelächter, dass die Straße davon erfüllt war. Überall drehten Leute sich um. (S. 103-104)
© 2006, Luchterhand Verlag, München.