Die Bejahung des Durcheinanders durch postkoloniale Autoren verweist auf die Befreiung von Hierarchien und Konventionen. Wird der Schriftsteller wieder mehr Handwerker und Techniker, werden ihm die Hervorbringungen der sozialen Welt wichtiger als der formale Besitzstand im literarischen Feld. Muß er sich nicht mehr in Überbietungsformeln üben, kann er getrost aus dem reichen Fundus der Literatur schöpfen: Er kann Altes in neuer Form und Neues in alter Form erzählen.
Er muß nicht mehr Herrgott spielen - in Hypertexten, wie in der Naturwissenschaft üblich, kann er an einer anwendungsbezogenen Praxis teilhaben, die Theorien über eine von durchschaubaren Kräften gelenkte Welt hervorbringt. Wenn Literatur nicht mehr Unterwerfung von Kirchengängern bedeutet, wird der Schriftsteller nicht mehr gegen ein Publikum anschreiben, sondern um dieses Publikum werben. Weltzugewandtheit wird ihm viele Einsichten über das Bewußtsein eröffnen. Sobald Unterhaltung und Bildung nicht mehr strikt voneinander getrennt sind, darf er sich eingestehen, in seinem eigenen Leben weder das eine noch das andere missen zu wollen. (S. 119)
Nun habe ich inzwischen Simmels Roman Es muß nicht immer Kaviar sein gelesen, nicht anders, wie ich zum Beispiel Robert Musil zu lesen gewohnt bin. Kann es nicht sein, frage ich mich, daß Simmel vor dreißig Jahren etwas vorgeführt hat, was seit den späten achtziger Jahren - nicht zufällig zuerst im angloamerikanischen Raum - zum Standard der Cyberkultur geworden ist? Ist womöglich Simmel ein Urvater von Trashliteratur wie von Hypertexten? Einer Literatur, die sich aller komplexen Darstellungsformen bedient, um sie als ein kalkuliertes Melodram zu unterlaufen, eben weil nicht mehr das Mißtrauen des Autors gegenüber seiner eigenen Lebenswelt den Text regiert, sondern das Spiel mit verschiedenen Aggregatzuständen, die er zu entwerfen in der Lage ist? (S.126)
© 1999, Haymon, Innsbruck.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
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