Anekdote vom Tod
Eine meiner lustigsten Geschichten, die ich sehr gerne in Gesellschaft erzählt habe, handelt von dem Tag, an dem ich zum erstenmal gestorben bin.
Mein Herz pochte damals so stark an meinen Brustkorb, als wollte es den schützenden Körper verlassen. Erste Hilfe konnte ich mir mangels Ausbildung nicht leisten, also suchte ich meine Hausärztin auf, die mich niemals zu Hause besuchte. Sie horchte mein Herz ab und gestand mir sehr aufgeregt, ich müsse sofot ins Spital, ohne EKG könne man nicht sagen, ob ich vor einem Infarkt stehe oder nicht. Für meine Gesundheit könne sie keine Verantwortung übernehmen. Da sah ich mich schon im Grabe.
Im Krankenhaus verlangte ich sofortige Behandlung, meiner laienhaften Ansicht nach konnt ich nur durch eine Notoperation am offenen Herzen gerettet werden. Mich wunderte, daß ich nicht in Ohnmacht fiel. Im Bewußtsein, Zeuge meiner letzten Minuten auf Erden zu sein, legte ich mich auf das Bett im EKG-Raum, als legte ich mich auf die Bahre.
Das Gerät befand, der Zustand meines Herzens sei meinem Alter entsprechend. Ich war noch keine dreißig. Ich verließ den Raum und fühlte mich wie neugeboren. (Der einzige stimmige Vergleich in diesem Buch.) Und tatsächlich begann ein neues Leben für mich.
Ein Kultbuch
Ich schrieb dann meine Autobiographie "Gesicht aus Sand". Darin erfand ich mir völlig frei gänzlich neue Lebensumstände. Ich behauptete, das Kind eines Postbeamten und einer Postangestellten gewesen zu sein, einen Bruder (Postbeamter) zu haben.
Ich präsentierte mich als blutleeren Bücherwurm, der alles nur aus zweiter Hand erlebt und nicht zu Unrecht den Eindruck hat, gar nicht wirklich am Leben zu sein. Und diese menschliche Attrappe schreibt ein paar weltfremde Bücher, die verständlicherweise keiner freiwillig lesen möchte. Und als Gipfel behauptete ich auch noch, eine streng monogame Ehe zu führen. Und derlei Lächerlichkeit mehr.
Aber dieses Lügengarn war genau, was die Menschen lesen wollten. Denn die blassen Literaturfreunde erkannten sich in diesem bleichen Nicht-Charakter wieder. "Gesicht aus Sand" wurde zum Kultbuch. Ich kenne niemanden, der es nicht in seinem Bücherschrank stehen hat. Eher noch hat einer keinen Bücherschrank, aber mein Buch besitzt er. Selbst hartgesottene Analphabeten wurden zu Schriftkundigen, nur wegen meines Werks.
Ich selbst wurde nicht müde, in Interview zu betonen, meine Autobiographie sei ein Machwerk, erstunken und erlogen, mit leichter Hand flüchtig aufs Papier geworfen, ganz unter meinem an sich schon niedrigen Niveau. Man hielt es für Scherz oder eine besonders schrullige Werbestrategie. Ich bestach mehrere namhafte Rezensenten, mein Buch grimmig zu verreißen. Manche weigerten sich, andere gingen auf mein Angebot ein, was eine erbitterte Debatte im Feuilleton zur Folge hatte, die den Verkauf unnötigerweise in Millionenhöhe trieb. (S. 74f.)
© 1999, Ritter, Klagenfurt, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.