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Leseprobe: Monika Karner - "Ein heißer Sommer."

Sogar dem Ginster ist dieser Sommer ein Verhängnis. Die Parterrewohnung wäre wesentlich kühler. Auch unter der Platane oder unter dem großen, cremeweißen Sonnenschirm am Swimmingpool wäre es kühler, auch im Segelboot auf dem Attersee wäre es kühler.
Kühl ist hier nur das Leitungswasser. Eins muß man unserer Stadt lassen: Das Trinkwasser ist gut. So muß ich wenigstens nicht ständig Mineralwasserflaschen die Stiegen hochschleppen, und wegen der Pannonischen Hitzewelle hat sich auch mein Weinkonsum ein wenig reduziert. Hitze und Alkohol, heißt es, belasten den Kreislauf. Meiner ist nicht mehr belastbar. Der gute Tropfen muß mehr und mehr verdünnt werden. Ungern. Ich gebe es zu.
Gut, daß sich die Freunde und Freundinnen der schönen Jahre nicht hierher verirren. Alle sind ihm geblieben. Irgendwie versteh' ich es sogar. Tut mir ohnehin nicht leid. Wirklich! Wenn ich niemanden einladen muß, spare ich Geld und Energie, nicht nur beim Flaschentransport über zweiundvierzig Treppenstufen, sondern auch beim Keepsmiling, wenn die Gäste da sind.
Nach der Scheidung hat sich mein Freundeskreis von zwei Dutzend auf zwei reduziert. Mit mir getrauert hat die liebe Greta. Ihre Mutter muß, wie meine, bei der Wahl des Vornamens ihrer Tochter eine romantische Ader gehabt haben. Meine schwärmte für Olivia de Havilland, die brave Melanie in Vom Winde verweht, die den von Scarlett heißbegehrten Ashley kriegt und Mantel- und Degenfilmgespielin von Errol Flynn war. Kann ich was dafür?
Ja, und auch Lore, Jeanne d'Arc der Unterdrückten, hat mir die Treue gehalten. Manchmal treffe ich sie in der Stadt oder sie ruft mich an. Hier, in meinen Bassena-Substandard, lade ich keine und keinen ein.
Der von vis-à-vis geht mir ordentlich auf die Nerven. Ich möchte meine Ruhe haben. Seit dieser Geschichte bin ich empfindlich geworden.
Getrunken hab ich früher weniger. Viel weniger. Vor dem Abendesssen hin und wieder einen Sherry, zum Abendessen ein gutes Glas Wein oder ein Seidl. Jetzt kippe ich pro Abend eine halbe Flasche Wein oder mehr. Eher mehr. Direkt nach der Scheidung war's eine ganze. Literflasche! Siebenzehntel sind zu teuer. Aber ich habe mir versprochen, mich auf ein Glas und hin und wieder kein Glas runterzulizitieren. Sobald es besser geht. Und ganz bestimmt geht es bald besser. Irgendwann geht es sogar wieder ausgezeichnet. Auch das habe ich mir versprochen.
Der Kühlschrank fangt zu brummen an. Die Hitze zwingt ihn zu Schwerstarbeit. Unfreundlich erinnert er mich an die Stromrechnung - aber einen Gedankenstrich später an gut gekühlten Veltliner, der gleich das eine, feine, stilvolle Weißweinglas, das einzige mir verbliebene, mit mir mitgegangene, edle, graziös ziselierte Bleikristallglas, das zwölfte von zwölfen, mit winzigen, eiskalten Wassertröpfchen zieren und diesen hitzeschweren Sommersonntagabend verzaubern wird.
Ich tue mir Gutes. Ich tue anderen Gutes. Ich bin ein guter Mensch. Ich verkaufe Süßes. Nein, nicht das! Sondern italienische Bonbons. Ein Plexiglaskasten, darauf Plexiglasschüsseln, darin Zuckerln, in einem Warenhaus der weniger vornehmen Einkaufsmeilen von Wien. Im Erdgeschoß, gleich neben dem Eingang. Immer wieder Erdgeschoß. Der gesamte Verkehrsmief schwappt über Zuckerzeug und mich. Die Bonbons sind in buntes Papier gewickelt, ich in ein bonbonrosa Minikleidchen mit weißem Rüschenkrägelein. Und jetzt auch noch vierzig Grad im Schatten. Wieso halten Zuckerln das aus? Ich bin da nicht so stabil. Ich zergehe. Unter den Achselhöhlen und am Rücken wachsen feuchte Flecken, durchtränken von Minute zu Minute mehr und mehr Bonbonrosa. In der Mittagspause wechsle ich das eine Bonbonrosa gegen das Reservebonbonrosa. Am Abend nehme ich beide mit, wasche sie durch und hänge sie tropfnaß in die Dusche. Am Morgen sind sie trocken. Weil sie aus Kunststoff sind, brauche ich sie nicht zu bügeln.
Auf dem Wetterbild, das über meinen Sechs-Quadratdezimeter-Bildschirm flimmert, ist kein Wölkchen zu sehen. Nichts, wohin die Hand des Fernseh-Wetterpropheten auch wandert. Wieder eine Nacht, die keine Kühlung bringt, wieder ein Tag, der mir Herz und Hirn aus den Poren treiben wird. Der im Winter teuflisch eisige Wind holt Luft für herbstlichere Zeiten. Jetzt ist August. Der Jahrhundertsommer! Der heißeste Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen! Der heißeste Sommer seit Beginn meines Lebens! Der beschissenste Sommer! (S. 9ff.)

(c) 1998, Milena, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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